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Lehrer und Administratoren saßen auf kleinen Hockern an einer Seite des Saals. Im Mittelpunkt stand ein Podium, auf dem ein smaragdgrüner Teppich lag. Dort würde Mark niederknien und seinen Wunsch aussprechen. Aber noch war nichts von ihm zu sehen.

Zu beiden Seiten der Halle gingen Bogengänge ab, die den Saal mit Fluren verbanden. In jedem Zugang war ein Bogenschütze postiert, der auf einem Knie hockte und den großen asymmetrischen Bogen gespannt hatte. Die Bogenschützen trugen hellblaue Gewänder mit prächtigen Mustern, und die Bögen waren in Streifen mit den Grundfarben bemalt. Auf den Köpfen hatten die Bogenschützen hohe, festliche Hüte aus Schwarz und Gold, die unter dem Kinn mit schwarzen Bändern befestigt waren.

Hinter dem Podium am anderen Ende des Saals war ein riesiger Flachbildschirm, der im Augenblick nur ein neutrales Grau zeigte.

Der erste Teil der Zeremonie war eine schweigende Meditation, die von schräg klingender Musik, die gespenstisch durch den Saal wehte, begleitet wurde. Das größte Problem der knienden Novizen bestand darin, ihre schmerzenden Knie zu ignorieren. Hin und wieder stand ein Lehrer auf, um ein Gedicht oder eine mathematische Abhandlung vorzutragen. Der Lehrer, der am meisten Zeit mit Zenshara verbracht hatte, war als letzter an der Reihe. Er sprach mit einfachen Worten über die Geschichte der Klöster auf allen bewohnten Welten und über ihre Rolle bei der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und der Fortführung der Expansion der Menschheit im Universum.

Die eigentliche Heiligung Marks war nicht besonders feierlich. Sehr gefaßt kam er herein und bewegte sich gemessen in prächtigen schwarzen und grünen Gewändern. Er schwebte beinahe über den Boden zum schlichten Podium. Er stieg hinauf und kniete auf der Matte nieder.

Zwei Jungen übergaben ihm feierlich einen goldenen Pokal, der auf einem Kissen stand. Sie wichen zurück, als er die Augen schloß und in Trance fiel. Sein Gesicht war ruhig und friedlich. Hinter Mark erwachte der Bildschirm zum Leben und zeigte das große Kolonistenschiff, das hoch über Wusaba im schwarzen Weltraum in einer Umlaufbahn geparkt war. Das Bild wurde vermutlich von einer Sonde des Schiffs selbst übertragen, dachte Zenshara. Das Raumschiff sah aus wie ein kompliziertes Spielzeug. Kaum vorstellbar, daß dort tausend angehende Kolonisten darauf warteten, daß das große Abenteuer ihres Lebens begann. Sie fürchteten sicher das Schlimmste – und das Schlimmste wäre, daß sie nicht in Bewegung kamen und schändlich mit Shuttles zu den Häusern zurückkehren mußten, die sie verlassen hatten.

Nicht jeder Heilige war mit einer Visualisation begabt, die ausreichte, um ein so großes Schiff zu transportieren. Die meisten benutzten ihren Wunsch, um Daten oder Materie zu übertragen.

Die Bogenschützen legten die Pfeile ein. Gott verhüte, daß sie gebraucht würden. Ein Schauder lief durch Marks Körper, als die Wirkung des aus mehreren Zutaten gemischten Tranks einsetzte. Unter dem Kloster begannen riesige Maschinen zu arbeiten, die Marks forschendem Bewußtsein gewaltige Energien zur Verfügung stellten. Langsam tastete Mark sich mit seinem Bewußtsein weiter, bis er den Nicht-Raum zwischen einer Wellenfunktion und ihrem Zusammenbruch einnahm, bis er zur Buddha-Natur der Realität wurde.

»Ich wünsche, das Schiff sei in Aleph Mu.« Marks Stimme tönte erschreckend laut durch das Schweigen.

Es gab eine Verzögerung – das Aussprechen war noch nicht der Gedanke selbst –, und dann zeigte der Bildschirm den leeren Raum über dem Planeten. Das Kolonistenschiff war fort.

Die Stärke seines Wunsches hielt über die Lichtjahre hinweg einen Kommunikationskanal offen, bis schließlich das bärtige Gesicht des Schiffskapitäns auf dem Bildschirm erschien.

»Wir sind wohlbehalten angekommen. Bald wird eine neue Nation der Menschheit geboren werden. Unser Dank und unser Gebet geht zu euch zurück.«

Dann erlosch der Bildschirm.

Obwohl es streng verboten war, faßte Zenshara Zhiangs Hand. Sie hielten und drückten ihre Hände, während sie die Nachwirkungen des Tranks beobachteten. Alle Bewohner des Klosters sahen zu, wie Mark zu sterben begann. Sein Gesicht schien zu zerfallen, sein ganzer Körper schien zu schrumpfen. Allmählich wich die Spannung aus seinen Muskeln, und sein Kopf sank nach vorn. Sein Oberkörper kippte vornüber, bis sein Kopf auf dem Podium lag. Dann kam eine letzte Entladung, und dann waren die ganze Spannung und alles Leben aus Marks zusammengesunkenem Körper gewichen.

Der Geruch von Weihrauch trieb durch die Luft, als die weiß gewandeten Sargträger kamen, um den Toten auf einer zeremoniellen Schwebebahre fortzubringen. Für Heilige gab es keine Beerdigungszeremonie, denn sie hatten ihren Wunsch bekommen. Als die Träger mit ihrer Last den Saal verließen, wollte Zenshara nicht einsehen, daß sie Mark nie wiedersehen sollte. Sie konnte jetzt doch gewiß zu seinem Zimmer laufen und würde ihn dort lächelnd vorfinden? Aber gerade sie sollte es besser als alle anderen im Saal wissen. Denn auch Zenshara war für die Heiligkeit erwählt.

Nach der Zeremonie, als ihre Beine so weit wiederbelebt waren, daß sie laufen konnten, kehrten Zenshara und Zhiang in Zhiangs Zimmer zurück. An diesem Tag würde es keinen Unterricht geben. Den Schmerz in ihren Beinen empfanden sie als eine fast unerträgliche Freude. Es war die Freude, lebendig zu sein.

Sie hielten einander fest, aber es war Zhiang, der am meisten weinte. Später liebten sie sich zum ersten Mal. Es war die tiefste Erfahrung ihres jungen Lebens. Es war ein Ja zum Leben.

Sie kniete, das Gesicht zur Wand gerichtet, auf dem harten, glänzenden Holzboden ihres Zimmers. Die Wand war leer, alle Holographien und Rachbildschirme waren ausgeschaltet. Neben ihr kniete ihr Lehrer. Er konnte ihren Gesichtsausdruck beobachten, aber sie konnte sich nicht umdrehen, um seinen Blick zu erwidern.

»Wo lebt der Wunsch?«

»Im Raum zwischen Materie und Idee«, sagte Zenshara.

»Wann lebt der Wunsch?«

»In der Zeit zwischen Möglichkeit und Tatsache.«

»Wo sind dieser Raum und diese Zeit?«

»In Wirklichkeit«, sagte Zenshara.

Der Lehrer hielt inne und stellte eine weitere Frage, die vom formellen Fragenkatalog abwich. »Wie nennst du diesen Raum und diese Zeit?«

»Ich nenne sie Hoffnung«, sagte Zenshara leise.

Als sie an diesem Abend Zhiangs Zimmer betrat, fand sie es leer vor. Alle persönlichen Dinge waren verschwunden. Sie fragte niemand nach seinem Fortgang. Sie wußte, daß niemand ihr etwas sagen würde. Sie wußte, daß sie ihren Freund nie wiedersehen würde.

Am nächsten Tag gab sie sich während des Unterrichts besondere Mühe. Am Abend sagte man ihr, daß sie am Tisch der Meister bedienen solle. Während des Essens wartete sie zusammen mit zwei Dienerinnen des Klosters dem Tisch der Meister auf. Der Name war irreführend, denn der Tisch der Meister war ein wundervoller Speisesaal, der gelegentlich von älteren Lehrern und Administratoren beiderlei Geschlechts und ihren Besuchern aus der Außenwelt benutzt wurde. Diese Berufung war einerseits eine Erinnerung an die Demut, die Zenshara noch erwerben mußte, und andererseits eine Belohnung, weil sie dort dem Gespräch von Fremden von außerhalb des Klosters lauschen durfte.

Die Gäste waren reiche Patrizier und Kaufleute, wohlhabende Männer mit erlesenen Manieren, die beseelt waren vom Wunsch, das Kloster zu unterstützen. Daß die Spenden ihren gesellschaftlichen Status verbesserten, war ein willkommenes Nebenprodukt. Zenshara lauschte, wie die Administratoren schamlos den Besuchern schmeichelten in der Hoffnung, einen Beitrag zum enormen Finanzbedarf des Klosters zu bekommen. Die Lehrer, die am Tisch saßen, schwiegen die meiste Zeit.

In den folgenden Wochen wurde Zensharas mathematische Ausbildung vervollkommnet. Nach einer besonders anstrengenden Stunde, als sie im Simulationsraum eine gewaltige Zahl von Wahrscheinlichkeitsfunktionen gleichzeitig graphisch dargestellt hatte, wollte sie gerade gehen, als ihr Lehrer sie mit einer kleinen Geste aufhielt.