Выбрать главу

»Zenshara«, sagte er. »Es gibt eine Frage, die du mir noch nie gestellt hast, solange du hier bist.«

Zenshara fragte sich, was für eine Art von Prüfung das werden sollte. »Welche Frage meinst du, mein Lehrer?«

»Du hast noch nie gefragt, warum ein Heiliger sterben muß.«

Die meisten Leute glaubten, der Tod sei ein unvermeidlicher Nebeneffekt der Drogen, die ein Heiliger nehmen mußte, wenn er sich mit den Maschinen vereinen wollte. Aber Zenshara und der Lehrer wußten es besser. Das Gift wurde absichtlich in den Trank gemischt.

»Wenn die Verbindung mit den Maschinen einmal hergestellt wurde«, sagte sie, »dann kann sie nie wieder unterbrochen werden. Und wer kann schon jederzeit seine Wünsche absolut kontrollieren? Wer könnte im Schlaf seine Träume kontrollieren?«

Der Lehrer schwieg. Ein Heiliger, der einen Alptraum hatte, konnte ihnen allen Tod und Zerstörung bringen. Zenshara hatte es verstanden. Er war über ihre Klugheit zugleich erfreut und bekümmert.

Niemand sagte etwas, aber Zenshara wußte, daß die Zeit ihrer eigenen Heiligkeit näherrückte. Der Lehrer bat sie in sein Studierzimmer, wo er mit ihr über die Arten der Wünsche sprach, die Heilige äußern konnten. Am häufigsten transportierten sie Schiffe über unvorstellbare Entfernungen, oder sie hielten die Kommunikationswege zwischen den vielen Welten so lange wie möglich offen, während die Menschen hochkomprimierte Nachrichten austauschten, die sie gesammelt hatten, bis eine Verbindung hergestellt werden konnte.

Andere hatten recht ausgefallene Wünsche, und nicht jeder Heilige wußte im voraus, wie sein Wunsch lauten würde. Es war jedenfalls gut zu wissen, ob ein Heiliger ein Kolonistenschiff befördern wollte oder nicht, denn auf diese Weise konnte man sich Kosten und Kopfschmerzen ersparen. Zenshara sagte, sie hätte keine Ahnung, welcher Wunsch der ihre sei. Sie meinte damit, daß sie dem Lehrer noch nicht sagen konnte, wie ihr Wunsch lauten würde, falls sie die Heiligkeit erlangte. Es wäre vermessen anzunehmen, daß ihr dies in jedem Fall gelingen würde.

»Welche Arten von Wünschen gibt es noch, mein Lehrer? Was sind die seltsamsten?«

»Ah, mein Kind«, sagte er, »das sind die metaphysischen Wünsche. Wünsche, die irgendeine tiefe Wirkung zeitigen. Sie sind gewöhnlich auf den Heimatplaneten des Heiligen oder gar nur auf das jeweilige Kloster beschränkt. Die erhöhte Intelligenz und Langlebigkeit der Menschen beruht auf solchen Wünschen.«

Zenshara nickte gedankenverloren.

Am Tag vor ihrer Heiligung stand Zenshara im Morgengrauen auf und verließ das Kloster.

Keins der Sicherheitssysteme versuchte sie aufzuhalten, wie es zu jeder anderen Zeit geschehen wäre. Zweifellos weckte die Anlage ihren Lehrer und einige seiner Kollegen, aber sie würden nur beobachten und nicht eingreifen und hoffen, daß sie von selbst zurückkehrte. Ihr Lehrer würde ihr Gehen natürlich mit gemischten Gefühlen beobachten. Zenshara wußte, daß er sie sehr ins Herz geschlossen hatte. Wenn sie ihre Pflicht tat, ihre Verpflichtungen erfüllte und das höchste Ziel all derer erreichte, die dem Kloster dienten, dann würde morgen der letzte Tag ihres Lebens sein.

Der Sonnenaufgang erfaßte gerade den kristallblauen Belag der Allee der Hände. Gespenstisch und blaßgrün funkelte das werdende Tageslicht auf dem Boden. Zu dieser frühen Stunde waren nur wenige Menschen unterwegs. Die kleinen dunklen Gestalten unter den hochgereckten Steinarmen waren in Lumpen gewickelte Bettler, die keinen anderen Schlafplatz finden konnten. Zenshara zählte für sich auf, welche Merkmale ihre letzte Reise auf dieser Straße von der jetzigen unterschieden. Heute steckten ihre Füße in teuren Schuhen, und sie trug statt billiger Fetzen ein prächtiges, temperaturgeregeltes Gewand. Und vor allem war sie jetzt gebildet.

Als die Sonne höher stieg, erwachte die Welt. Geschäftige Kaufleute und Diener, die mit Botengängen unterwegs waren, stellten den Hauptteil der Frühaufsteher. Viele Bettler waren noch nicht wach (Zenshara fragte sich, wie viele über Nacht gestorben waren und überhaupt nicht mehr erwachen würden), aber einige rezitierten in der kühlen Morgenstille bereits Schriften oder Gedichte. Sie hatte zwar keine Hoffnung, den alten Mann zu finden, der sie veranlaßt hatte, ins Kloster zu gehen, aber Zenshara zwang sich dennoch, jedem Bettler, an dem sie vorbeikam, ins Gesicht zu sehen. Viele hatten von Krankheiten oder Unfällen verstümmelte Gliedmaßen. Gräßlich verunstaltete Gesichter mit schlimmen Entstellungen oder wuchernden Knoten waren die schlimmsten. Frühere Wünsche hatten den Menschen die Fähigkeit gegeben, sich drei Jahrhunderte ans Leben zu klammern, auch wenn ihre Gesundheit schrecklich gelitten hatte. Hätten sie sich die Behandlungen leisten können, dann hätten die Arztmaschinen ihnen eine vollkommene Gesundheit schenken können.

Sie benutzte ihren Kreditring, um an einem schäbigen Stand eine Frucht zu kaufen. Die alte Frau, der der Stand gehörte, machte eine tiefe Ehrenbezeugung, als sie Zenshara die Frucht gab. Etwas verstört nach dieser Demutsgeste, wanderte Zenshara weiter. Noch bevor sie in die Frucht beißen konnte, sah sie einen alten Mann, der am Fuß einer Säule in graue Lumpen gewickelt lag und sich gerade schmerzhaft aus dem Schlaf löste. Wortlos gab sie ihm die Frucht und ging weiter.

Gegen Mittag erreichte sie einen Basar, der jener sein mochte, den sie vor so vielen Jahren besucht hatte. Im Gedränge bemerkte sie ein schmutziges Mädchen, das gerade einem dicken alten Kaufmann in die Hosentasche griff. Sie eilte hinüber und faßte das Mädchen am Ohr.

»So, meine Liebe«, sagte Zenshara, »was soll ich jetzt mit dir machen?«

Das Mädchen wand sich und versuchte, sich zu befreien, dann kapitulierte es. »Madame, es tut mir leid. Ich wollte es meinem Herrn geben, ehrlich.« Sie begann zu schniefen.

Zenshara glaubte ihr. Der Herr des Mädchens war sich offensichtlich nicht zu fein, die Geschicklichkeit der Dienerin zu benutzen, um sein Einkommen aufzubessern.

»Bring mich zum Haus deines Herrn«, befahl Zenshara.

Es war ein mittelgroßes Haus mit einem kleinen Obstgarten und einem Springbrunnen. Besser als das Haus, in dem Zenshara als Mädchen gelebt hatte, aber verglichen mit der teuren Schlichtheit des Klosters war es immer noch elend und schäbig. Sie kündigte sich an der Vordertür an und verlangte Einlaß.

Der Besitzer und seine Frau kamen voller Furcht zur Tür und luden Zenshara in ihr Haus ein. Die Frau scheuchte einen Schwarm Diener, um Essen für ihren Gast zu holen, aber Zenshara hielt sie zurück. Sie bat darum, zunächst das Terminal benutzen zu dürfen.

Zenshara erkundigte sich als erstes nach Zhiang. Nach Auskunft des Terminals hatte sich der Junge bei einem technischen Institut in der Stadt eingeschrieben und sich als herausragender Student erwiesen. Zensharas klösterlicher Zugangscode hätte es ihr erlaubt, noch mehr herauszufinden, aber sie ließ es dabei bewenden. Ein Nebeneffekt ihrer Anfrage war, daß das Kloster auf ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht wurde. Diese Tatsache konnte dem Besitzer und seiner Frau nicht entgehen. Nervös fragten sie, ob sie noch etwas für Zenshara tun könnten.

»Zeigt mir die Quartiere eurer Diener«, sagte sie.

Sie mußte noch einmal nachdrücklich darum bitten, bevor man sie in die kalten Steinkammern führte, wo die Diener schliefen. Zenshara bat um etwas Essen und erklärte, sie werde über Nacht bleiben. Verwirrt und erschreckt versuchten die Gastgeber, Zenshara zu überzeugen, ihr eigenes oder ein Gästezimmer zu nehmen, aber sie fügten sich schließlich, als Zenshara wortkarg ablehnte.

So verbrachte Zenshara die Nacht im erbärmlichen Quartier der Diener. Sie fand kaum Schlaf in der Kälte. Die Diener sprachen nicht mit ihr und schliefen, obwohl in ihrer Gegenwart verunsichert, lange vor ihr ein.