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»Aber das hier ist etwas anderes.« Als Dzik den Finger von dem Hochglanzbild nahm, blieb ein fettiger Fleck zurück. »Das ist nichts Technisches, nichts Finanzielles und auch nichts Politisches. Wir sind auf etwas gestoßen, das nicht einmal menschlich ist. Und ich bin mir nicht sicher, ob es dafür eine Lösung gibt.«

Eine sanfte Erschütterung lief durch das Shuttle. Sie befanden sich jetzt kurz vor dem Schlund des Wurmlochs. Die stahlblaue Verstrebung aus exotischer Materie war gleichsam das Skelett eines gigantischen Schlauchs, und ihre negative Energiedichte erzeugte das Abstoßungsfeld, das den Schlund offenhielt. Die Wandung des Schlauchs war ein einziges Feuerwerk: Gravitationsspannungen entluden sich in Strömen exotischer Partikel.

Poole besah sich die Bilder aufs neue, er hielt sie unter die Kabinenbeleuchtung. »Was ist das hier?«

Dzik formte mit den Händen eine Kugel. »Sie wissen, was Baked Alaska ist: ein Ball von hundert Meilen Durchmesser – halb bröckliges Gestein, halb Eis, Spuren von Wasserstoff, Helium und ein paar Kohlenwasserstoffe. Eine Art riesiger Kometenkern. Im Kuiper-Gürtel, knapp hinter dem Orbit von Pluto, zusammen mit wer-weiß-wieviel anderen Objekten seiner Art. Und mit einem Stern durchschnittlicher Helligkeit als Sonne ist Baked Alaska so kalt, daß Helium an seiner Oberfläche kondensiert – zu supraflüssigen[17] Pfützen, die auf der Eiskruste Schlittschuh laufen.

Nach unserer Ankunft haben wir Alaska nicht sonderlich unter die Lupe genommen.« Dzik hob die Schultern. »Uns war klar, sobald wir einmal angefangen hatten, würden wir die Oberfläche sowieso ruinieren …«

Der Bautrupp hatte über die blinde, winzige Welt eine Sintflut aus Wärme und Licht gebracht. Man fühlte sich gleich wie zu Hause; sogar die Rotationsdauer von Alaska entsprach ungefähr einem Erdentag. Der mehr oder weniger zufällig gewählte Landeplatz war der Ausgangspunkt; die Leute schwärmten aus, nahmen Bohrproben, erkundeten, spielten, bauten und schufen die Basis für den künftigen Port Sol. Strukturen aus Eis und flüssigem Helium, die in der lichtlosen Tiefe des äußeren Systems Milliarden von Jahren überdauert hatten, sie zerbröselten, verdampften.

»Dann brachte jemand das hier …«

Dzik blätterte in den Hochglanzfotos, legte eines obenauf. Es zeigte einen Buckel mit acht schlanken Ausläufern auf dem Eis; als liege da ein großes verschneites Rad, von dem man nur die Nabe und die acht Speichen sah. »Ein Mädchen hat diesen Schnappschuß gemacht, sozusagen als Souvenir. Etwas Ungewöhnliches eben. Sie hielt es für eine Art Kristallbildung – wie bei Schneeflocken. Das dachten wir anfangs auch.

Aber dann fanden wir noch mehr von den verdammten Dingern.« Dzik verteilte die Hochglanzfotos auf der Mappe. Alle Gebilde ließen dieselbe achtspeichige Symmetrie erkennen. »Alle«, fuhr er fort, »haben etwa die gleiche Größe – die Spannweite dieser wurzelartigen Rüssel liegt bei zwölf Fuß; der Rumpf in der Mitte ist etwa sechs Fuß hoch. Sie finden sich überall auf Alaska – vornehmlich auf Hügelkämmen, die das Sonnenlicht einfangen. Jedenfalls, bis wir anfingen, da herumzumurksen.« Er blickte Poole an wie jemand, der mit dem Rücken an der Wand steht. »Mike, als ich begriffen habe, was wir da vor uns haben, habe ich die Leute sofort zurückgepfiffen und in die GUT-Schiffe beordert. Wir haben viel Schaden angerichtet, aber – Mike, wer rechnet denn mit sowas? Wir sind Ingenieure und Techniker, keine Biologen.«

Biologen?

»Wir haben sogar eins von den Dingern aufgelasert. Es ist durchsetzt mit haarfeinen Kanälen. Kapillaren. Adern für flüssiges Helium. Supraflüssiges?« Er forschte in Pooles Gesicht. »Begreifen Sie, Mike? Die verdammten Dinger hocken auf den Hügelkämmen, halb im Schatten, halb in der Sonne. Die Sonne bewirkt eine Temperaturdifferenz – winzig zwar, aber groß genug, um supraflüssiges Helium in die Wurzeln zu holen.«

Poole starrte staunend auf die Bilder.

Dzik ließ sich in den Sitz zurückfallen und verschränkte die Finger über dem Bauch; er blickte durchs Fenster in den sprühenden Tunnel aus gedehnter Raumzeit. »Das ist das Ende des Projekts; die Behörden werden nicht zulassen, daß wir weitermachen mit Port Sol. Nicht, solange wir damit die ›Baumstümpfe‹ ausrotten. Andererseits sind die Dinger so verdammt teilnahmslos, so stumpfsinnig. Mike, dieser Wurmloch-Highway hat uns Billionen Dollar gekostet – ein Highway zu einem botanischen Eisgarten. Tourismus wär nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Vielleicht können wir das Wurmloch-Portal zu einem anderen Kuiper-Objekt verlegen; nicht auszudenken, was uns das kosten wird …«

»Wollen Sie sagen, daß diese Dinger hier – daß sie leben?«

Es war, als wolle Dziks Gesicht den entschwundenen Mond ersetzen. »Bingo, Mike«, sagte er wohlwollend. »Sie bestehen aus Eis und Stein, und sie trinken flüssiges Helium. Es sind Pflanzen.«

Die Sonnenwesen jagten über den Himmel. Bildhauer duckte sich flach an den ungewohnten Boden.

Er stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er angewachsen war und ein Sonnenwesen zu ihm herabstieg. Ob es wehtun würde, wenn ihn die teuflische Hitze des Wesens wegpustete. Würde er überhaupt merken, wenn der verhärtete Körper zu einer Wolke aus Blut und Knochen zerstob?

Er stieß sich von dem zerklüfteten Boden ab. Wie sollte man anwachsen, wenn man nirgends mehr sicher war; das dringende Bedürfnis nach verläßlichen Hügeln mit günstigem Schatten war wie ein wühlender Schmerz. Und so strauchelte Bildhauer 472 mit seinem Volk dahin, auf der Flucht vor den glühenden, unförmigen Fremdlingen.

Er war bereits anderthalb Tage alt. Hatte die Hälfte seines aktiven Lebens bereits hinter sich. Er war niedergeschlagen, beklagte sich bei seinem Vater. Er ließ den Blick über die ungeschlachten, fliehenden Gestalten seines Volkes schweifen und fragte sich, mit wem – auf einer anderen Welt, wo es keine Sonnenwesen gab – er sich gepaart hätte und mit wem er die kurzen, wilden und aufsehenerregenden Ringkämpfe um den besseren Platz zum Anwachsen ausgetragen hätte. Bildhauer war größer, kräftiger und klüger als die meisten. Er hätte kein Problem gehabt, sich den besten Platz zu sichern …

Hätte, hätte. Er war ein Flüchtling unter Flüchtlingen. Er konnte froh sein, wenn er überhaupt einen Platz fand. Er hob die Sprechmembrane gen Himmel und stöhnte. Warum ich? Warum muß meine Generation so leiden?

471 stolperte. Zwei Vorderläufe waren eingeknickt. Er versuchte, die schlenkernden Glieder wieder unter Kontrolle zu bringen, konnte sich aber nicht mehr fangen.

Ein weicher, entsagungsvoller Seufzer, und 471 stürzte schwer zu Boden.

472 eilte ihm zu Hilfe. »Du mußt aufstehen. Bist du krank?« Er packte die erstbesten Glieder und wollte den Gestürzten hinter sich herziehen.

471 lag auf der Seite, seine Struktur litt unter ihrem Gewicht, wurde flachgedrückt. »Laß mich liegen«, sagte er sanft. »Los, lauf weiter, mein Junge! Ist schon gut.«

Die versagende Stimme und das eingefallene Gesicht waren unerträglich für 472. Er schlang die Glieder um seinen Vater und drückte zu, als könne er damit die große, vertrauenerweckende Gestalt, die ihn während der ersten Augenblicke seines Lebens beschirmt hatte –, als könne er sie dadurch wiedererstehen lassen. »Ich kann dich nicht im Stich lassen.«

»Du mußt, das weißt du. Meine Zeit ist gekommen. Ich werde hier anwachsen.«

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17

Suprafluidität ist ein bislang nur an Helium beobachteter physikalischer Zustand mit ganz absonderlichen Eigenschaften. – Anm. d. Übers.