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Zweitens: Ein paar ausdrucksstarke Zeilen in der 783 Seiten langen Dokumentation des Programms (deren schwindelerregende Länge davon herrührt, daß der Autor sie vollständig in Versform geschrieben hat) erklären kühn, »die welt um uns her, die wir seh’n und berühr’n, ist gefror’ne musik/ prächtige weinende Strukturen aus ungehörtem klang« (Das Fehlen von Punkten am Satzende hier und oben folgt Dylan selbst.) Auch wenn diese Idee ursprünglich nicht von Dylan stammt, ist sie wahrscheinlich nie deutlicher demonstriert worden als in Orphilodeon, wo ihre Implementation in der Software sogar musikalische Analphabeten – Pilger mit Bohnen in den Ohren – befähigt, grandiose Oratorien zu komponieren und ebenso großartige (quasi-psychedelische) Grafiken zu entwerfen. Diejenigen, die von Bach hingerissen sind, geraten in einen Zustand exponentiell gesteigerter Kreativität wie Bach, während solche, die bei Mahler, Monk oder McCartney abheben, eine Superscript-Version dieser exemplarischen geistig-seelischen Seinsweisen erreichen.

Drittens hat Dylan in einem Interview in Byte gesagt, er hätte beim Schreiben gerade dieses Programms gespürt, daß der Heilige Geist von ihm Besitz ergriffen habe, ganz so wie von den Männern und Frauen, die die Bücher beider Testamente der Bibel verfaßt hätten.

Und schließlich schwankt der Preis von Orphilodeon zwischen rund 560 Dollar und 720 Dollar; das hängt davon ab, ob man es bei Tambourine Software als Vorzugskunde bestellt oder versucht, das Programm in einer der teuren Großstadtfilialen von Soft Warehouse™ oder CompuMall™ zu kaufen. Dylan gibt zu, daß dem einzelnen der Preis im Vergleich zu den großen Gesellschaften mit deren Einrichtungen, die geradezu einem Schnittstellen-Fetischismus huldigen, so oder so happig erscheinen mag. Er fügt jedoch hinzu, daß er auch mit übernatürlicher Hilfe länger brauchte, Orphilodeon zu schreiben, als bei jedem anderen einzelnen Werk seiner Platten- und Programmierkarriere (möglicherweise mit Ausnahme von Sad-Eyed Lady of the Lowlands von Blonde on Blonde), und daß niemand, der dieses Paket kauft, in andere Tambourine-Produkte investieren muß, um ein zufriedenstellendes Körnchen Erleuchtung zu erlangen. Rezepte für Möchtegern-Gläubige und Wie Kinder werden mögen sich für den neubekehrten Seligen als hilfreich erweisen, aber weder sie noch irgendwelche anderen Titel in der Bibliothek des Konsortiums sind für eine erfolgreiche oder zumindest brauchbare Gottessuche unbedingt erforderlich. Das sagt Dylan selbst, und die gewaltige Mehrheit der ersten Kritiken bestätigt seine Aussage.

»MR. TAMBOURINE MAN«

Und was ist mit dem früheren Troubadour? Wie hat Dylans jüngster Richtungswechsel sich auf seine eigenen spirituellen Explorationen ausgewirkt? Auf die kraftvolle, proteische Persönlichkeit des Suchers selbst? Kurz, wie hat die Veränderung Dylan verändert?

»Ich bin näher dran«, erklärte er mir kürzlich in einem Interview in den Büros von TS/3S in Peachtree Street im Geschäftsviertel von Atlanta. »Anders als Tricky Dick und der Pechvogel Lyndon kann ich kein Licht am Ende des Tunnels sehen, das uns alle erlöst, aber ich bin eindeutig näher an meinem Ziel, und von ganz oben an der Straße kommt so was wie ein Lichtschein. Unterwegs sein, das ist es, was zählt, aber jeder Halt am Weg hat auch etwas zu bedeuten. Ich hab’ nur keine Lust, zu lange an einem Punkt hängenzubleiben. Das ist Tod. Ein schlimmerer Tod als das altmodische körperliche Sterben. Ist natürlich genauso altmodisch, irgendwo hängenzubleiben, nicht wahr?«

Dylan sieht gut aus. Obwohl er schon immer ziemlich ausgemergelt war, wirkt seine Schlankheit jetzt eher wie die eines aufstrebenden, mobilen leitenden Angestellten in der Werbebranche als wie die eines äthiopischen Hungeropfers. Er hat sich den struppigen rabbinischen Bart rasiert, und seine flattrigen Satyrlocken sind ordentlich geschnitten. Als ich mit ihm sprach, trug er einen Anzug von Brooks Brothers, Schuhe von Gucci und eine Armbanduhr von Seiko. Er wollte nicht an seinem Schreibtisch sitzenbleiben, sondern schritt gelassen wie ein unruhiger Leopard zur Fütterungszeit in seinem Büro auf und ab. Er war genauso leichtfüßig und unterschwellig bedrohlich. Diese Bedrohlichkeit schien jedoch weniger eine hintergründige physische Drohung als vielmehr eine körperliche Auslegung meiner Angst zu sein, daß er jeden Moment eine Metamorphose durchmachen könnte, die ganz anders wäre als alles, was er uns bisher immer vorgeführt hat. Seine schlechten Zähne – schon immer sein unschönstes Merkmal – blieben hinter seinen geschürzten Lippen oder bei den Gelegenheiten, wo er sprach, hinter einer erhobenen Hand verborgen.

»Ich hab’ immer gesagt, daß spießige Klamotten wie die hier eine Uniform wären, ein brav bürgerliches Kennzeichen der Konventionalität. Die Mitgliedschaft im Club, wissen Sie. Konformität. Na ja, es funktioniert auch andersrum. Motorradjacken, Mad-Matter-Hüte, Jesuslatschen, sogar weltliche Käppies. Es ist alles eitel, stimmt’s? Jedes bißchen. Also, mich könnte man ebenso für einen Tycoon halten wie für einen Typhusüberträger.« Er lächelte. »Was wichtig ist, wirklich wichtig, ist, meinem Obermäc zu dienen, indem ich meine Software unter die Leute bringe. Das nützt meinem Nachbarn genauso wie Gott, und das ist alles, was ich von jetzt an bis zur Auffahrt ins Reich Gottes, zum Kommen des hebräischen Messias oder unserem selbstgemachten nuklearen Big Bang voraussichtlich tun werde – oder tun will. Aber wer weiß? Es ist ein Halt, und sogar Haltepunkte müssen einen Schlußpunkt haben.« Er lächelte wieder. »Hat aber nichts mit Kohle zu tun, das kann ich Ihnen sagen. Da bin ich drüber weg, und das hat’s mir ermöglicht … äh … Songs zu schreiben und zu programmieren, und die Programmiererei hat eine Tür wieder aufgestoßen, die zu durchschreiten ich allmählich nicht mehr geglaubt habe.«

Obwohl Dylan mir dreißig Minuten eingeräumt hatte, wurde unser Gespräch immer wieder von Botschaften seiner Sekretärin, Telefonanrufen und Eilzustellungen unterbrochen. Irgendwie schaffte er es, über diese Ablenkungen hinwegzugehen und unserer Unterhaltung, die ein völliges Kuddelmuddel hätte sein können, Kontinuität zu verleihen. Ich benutzte die Unterbrechungen dazu, mir Notizen über die Gestaltung, die Dekoration und Ausstrahlung seines Arbeitsbereichs zu machen; ein paar davon werde ich nun dem Leser gleich mitteilen.

»Was mit uns als Volk geschieht, ist, daß wir jetzt, nachdem wir uns unzählige Male von unseren eingefleischten Glaubensbekenntnissen und Konfessionen losgesagt und ein paar traurige und verzweifelte Anstrengungen unternommen haben, einen falschen Glauben und einen Pseudomessias zu übernehmen, na ja, da fangen wir nun tatsächlich an, religiöser zu werden und uns eher geistig zu orientieren. Wahrhaftig, meine ich. Das ist etwas, das tiefgehen wird, bis an die Wurzeln unserer Seelen, und diese erstaunliche spirituelle Revolution kommt im langen Schatten der Computer-Revolution auf uns zu. Niemand hat damit gerechnet, aber es passiert, und deshalb mußte ich mich da einklinken.«

(Mir kam der Gedanke, daß die Unvorhersehbarkeit der vielen Veränderungen in Dylans beruflicher Laufbahn eine Analogie in der scheinbar willkürlichen Art und Weise hat, wie er zwischen den Endungen wählt, wenn er ein Partizip Präsens ausspricht. Diese zufällige Beobachtung wird natürlich der wahren Intentionalität dieser Änderungen in seiner Laufbahn nicht gerecht.)