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»Ich hab’ immer gedacht, daß es die Musik sein würde, die unser Gewissen am Ende wachrüttelt und unsere Seelen auf den Weg der Gnade führt. Dieser Glaube ist verantwortlich für Blowin’ in the Wind ganzam Anfang und Slow Train Coming und Shot of Love, als ich auf die Vierzig zuging. Die Illusionen der Jugend sterben schwer, besonders wenn man Talent hat. Aber es war dumm, so zu denken. Wenn Musik so viel Macht hätte, im Widerspruch zu Alexander Pope und Max Davis, müßte man sich doch wundern, daß Bach – ich meine, Papa Johann und die ganzen kleinen Bachs – nicht schon die ganze Welt für Jesus gewonnen hat. Daß Ravi Shankar uns nie dazu bewegt hat, Kalifornien in Hindustan umzubenennen. Daß Itzhak Perlman Israel und Syrien nicht dazu gebracht hat, sich zu küssen und wieder zu versöhnen. Daß Columbia Records nicht die vollständige Kontrolle über den Welthandelsmarkt erlangt hat.«

»Haben sie nicht?«

Dylan zielte an seinem Zeigefinger entlang und ließ den Hahn seines Daumens herabschnellen – aber eher, um sarkastische Zustimmung als den obligatorischen Groll von jemandem zu signalisieren, der dort früher unter Vertrag gestanden hatte. (Sonderbare Geste.)

Dann fing er wieder an, auf und ab zu gehen und dabei in philosophischen Erinnerungen zu schwelgen: »Ganz oft hab’ ich mich durch sie besser gefühlt, durch die Musik. Durch die Songs. Aber es hat sich als Sackgasse rausgestellt, stimmt’s nicht? Eine Sackgasse, an deren Ende eine Ziegelmauer auf mich wartet, in die ich mit dem Kopf voran hineinrennen würde, wenn ich verrückt genug wäre, dabei zu bleiben.

So bin ich drauf gekommen, daß es einen anderen Weg geben mußte. Diesen Weg. Den Weg des Computers, des Programms und der potentiellen Gläubigen an der Schnittstelle ihrer Terminals. Und schließlich eine Technik, die uns die Verbindung zum Glauben hergestellt hat. Eine Technik, die die Rudimente der Religion benutzerfreundlich gemacht hat. Ein bißchen wie bei den Japanern mit ihren leicht zugänglichen Shinto-Schreinen. So einen gibt’s da praktisch in jedem Haushalt. Das ist also der Weg, den wir mit dem Personal Computer gehen. Die Japaner auch. Fast jeder. In einer Kirche oder Synagoge können die Leute untergehen, sie können sich vom Gewicht des Rituals und der Tradition erdrückt fühlen. Aber nicht von einem Home Computer. Er ist ein Altar und ein Schrein, und man kann hingehen und sich an die Spiritualität anschließen, die in seinen Mikrochips versteckt ist, und die verbinden einen wiederum mit Gott. Jeder Hacker ein Beichtkind, jede Hausfrau ein kommunizierendes Kirchenmitglied. Wir werden mit unseren Fingern auf den Tastaturen unserer Apples oder IBMs beten. Wir werden an unsere Geräte gehen, um in uns zu gehen, und das Innere ist es – nicht dieser Anzug oder diese Schuhe –, was Gott sieht. Meine Programme – Orphilodeon ist das beste Beispiel – machen den Computer zu einem Bindeglied zwischen dem Pilger/User und unserer wahrsten Auffassung von Gott. Jeder von uns ist eine Kirche, und wir beten nur an unseren reflexhaft reagierenden Altären.«

»Ist es nicht bloß eine andere Art von Narzißmus?« fragte ich. »Und wenn jeder allein betet, wie steht’s dann mit der Glaubensgemeinschaft?«

»Sind Gebet, Meditation und Studium narzißtisch? Normalerweise nicht. Und was die Glaubensgemeinschaft betrifft, haben Sie noch nie was von einem Netzwerk gehört? Von Benutzergruppen? Von Computerclubs? Von Software-Tagungen und Computermessen? Da entsteht eine neue Kultur, eine mit starken gemeinsamen Bindungen zwischen ihren Mitgliedern, und sie haben begonnen, Anspruch auf ihr spirituelles Erbe zu erheben, indem sie sich die Macht des Mikroprozessors und die biblische Kraft erleuchteter Programme erschlossen haben.«

Ein Tambourin, das Emblem der Gesellschaft, hing an einem Haken an der Wand hinter Dylans Schreibtisch. Er nahm es herunter und schlug es gegen seine Hüfte, eine Reihe von Ausrufungszeichen hinter seiner letzten Bemerkung.

»Mr. Tambourine Man«, sagte ich. »Mein Lieblingssong von Bringing It All Back Home.«

»Tja, der ist da drauf«, sagte Dylan. Er mustert das Tambourin, als hätte er noch nie eins gesehen. »Aber auch noch andere Sachen.« Er schüttelte das Instrument kurz und fuhr fort: »Einer der Fehler am mittleren Alter ist, daß man anfängt, sich zu rechtfertigen. Wissen Sie, das ist so was wie ’ne musikalische Floppy Disk.«

»IN MY TIME OF DYIN’«

Danach – unser Interview war fast zu Ende – zeigte er mir die Galerie von Computergrafik-Selbstporträts an der Wand direkt beim Aussichtsfenster. Was mich an diesen farbenprächtigen Bildern beunruhigte – eins erinnerte an einen Bosch, eins an einen Goya, eins an einen El Greco, eins an Picassos Guernica, eins an eine alte Zeichnung von Escher, eins an einen frühen Mark Rothko und eins an eine exotische gemeinsame Arbeit von René Magritte und Peter Max –, war ihre bewußte Morbidität. Jedes stellte den Künstler entweder tot oder im Kampf mit dem Tod dar, aber keine zwei zeigten die gleiche Abschiedsvorstellung.

»Mein Gott«, sagte ich.

»Zumindest hab’ ich keinen Flugzeugabsturz à la Buddy Holly gemacht.«

Was er jedoch gemacht hatte – mit Hilfe des Computers, eines Tintenstrahldruckers mit 21 Farben und eines von ihm selbst entwickelten Malprogramms namens TüpfelGenesis™ –, waren Porträts von Bob Dillon, wie er auf der Bühne in bester Karloff-Manier durch Stromstöße starb, am Rande eines vietnamesischen Reisfeldes in Napalmflammen aufging, mit seinem Motorrad über eine Klippe an der Pazifikküste zur Hölle fuhr (›Going to Hell for Spanish Leather‹), sich in einem Spiegelsaal bis ins Nichts widerspiegelte, auf einem Berg über Jerusalem halbnackt am Kreuz hing und im Central Park auf einer Erhöhung innerhalb einer Menge von maskenhaften weißen Gesichtern einen Herzstillstand erlitt.

»Visuell attraktiv«, gab ich zu, »aber nicht sehr erhebend.«

»Okay. Sie haben recht, so zu urteilen. Aber Tüpfel-Genesis ist für den potentiellen Gläubigen mindestens so eine Hilfe wie zum Beispiel unsere Haushaltsprogramme. Der Tod hat mich schon immer fasziniert. Hier hab’ ich den Versuch gemacht, meine Überzeugung herauszuarbeiten, daß unser Wissen um unsere Sterblichkeit den religiösen Impuls auslöst und eine größere Intensität in unsere Suche nach Satori oder Gott bringt.« Er hüpfte von Gucci zu Gucci. »Ow ow ow ow«, sang er in seiner eigentümlichen nasalen Art.

Ich sagte: »In Dostojewskis Idiot bringt ein Porträt des toten Christus von Holbein Prinz Myshkin dazu auszurufen: ›Dieses Bild könnte manch einen den Glauben verlieren lassen!‹«

Dylan wurde wieder ernst. Er erklärte mir, er wüßte, was ich meinte. Wenn ein Bild des gekreuzigten Jesus das bewirken könnte, wie unwahrscheinlich wäre es dann, daß ein paar Computergrafiken vom Tod eines ehemaligen Rock’n’Rollers die Saat des Glaubens in irgendwen legen oder dessen Glauben befruchten könnten. Nun, sie seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, und daß ich sie gesehen hätte, sei eine zufällige Begleiterscheinung unseres Interviews. Jedenfalls hätte er etwas anderes damit beabsichtigt: sich an seine Beschäftigung mit dem Tod in jungen Jahren zu erinnern und sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie ihn zu dem Versuch geführt hatte, Gott wiederzuentdecken und in Primär- und Pastellfarben zu erklären, daß der Glaube und die Computertechnik erfolgversprechende Wege zur Unsterblichkeit seien.

»Unsterblichkeit?«

»Früher hab’ ich geglaubt, die Songs würden es schaffen. Jetzt bin ich in der Frage gespalten. Wenn in diesem Körper eine Seele ist, gehört sie Gott, und er wird sie auch kriegen. Aber meine Persönlichkeit – jede Nuance der Dylan-Rolle und des Zimmermann-Kerns in ihrem Innersten –, nun, die wird in meiner Software weiterleben. Das werde nicht ich sein, nicht so, daß ich es weiß, aber ich werde es trotzdem sein, mit dem einzigen Nachteil, daß ich nicht mehr bin. Man nimmt, was man kriegen kann, und preist Gottes Ruhm und Ehre. Ich werde weiter Songs schreiben, Programme erstellen und mich auf die Socken machen, um Satori zu suchen – aber nur in magnetischer Verkleidung als komplexe Reihe von Instruktion für einen Mikroprozessor.«