Der Präsident, Manager und hervorragendste kreative Kopf von TS/3S, führte mich zum Bücherregal am Ende der Galerie von Computergrafiken und zeigte mir die vinylgepolsterte Aktenmappe, welche die Dokumentation für das neueste Programm von Tambourine Software enthielt. Der Titel auf dem Rücken der Mappe war Bob Dylan™, 1.00, der Prototyp seines Persönlichkeits-Duplikators und das erste Stück Software, das seinem Programmierer je Quasi-Unsterblichkeit zu verschaffen suchte. Der Umschlag der Mappe gab das Bild auf seinem bei Columbia erschienenen Doppelalbum Self-Portrait aus den frühen Siebzigern wieder.
»Wollen Sie es auf den Markt bringen?« fragte ich ihn.
»O nein. Das hier nicht. Niemals.«
»Warum nicht?«
»Man verkauft sich doch nicht selbst. Ich meine, man tut’s schon, aber nicht so, nicht indem man seine Seele zur Ware macht.«
»Was dann?«
»Es kommt in eine Zeitkapsel. Eine Kopie davon, natürlich. Um irgendwann später mal, wenn’s was bringen könnte, wieder zum Leben erweckt zu werden, unschönerweise ohne den Körper.«
Meine Zeit war um. »Sie sind früher schon das Opfer von Raubpressungen geworden«, beeilte ich mich mit der Frage, die zu stellen mir zwei meiner Redakteure aufgetragen hatten. »Die Basement Tapes mit The Band. Eine ganze Reihe andere. Wie stehen Sie zu Raubkopien von Software?«
Die Frage brachte ihn in Schwierigkeiten. Er runzelte die Stirn und legte das Bob Dylan-Programm ins Regal zurück. Er zog das Jackett seines Anzugs hoch und steckte die Hände in die Hüftentaschen seiner Hose. »Eines Tages«, sagte er bedächtig, »werden wir mitten in der Stadt einen Stand aufstellen und unsere Software umsonst weggeben. Wenn alle Fehler ausgemerzt sind, meine ich. Niemand sollte eine Raubkopie von Gottesbewußtheit machen müssen. Niemand. Nicht mal Ronnie Reagan.«
Ich beeilte mich, diese Bemerkungen in meinem Notizbuch festzuhalten.
»Das ist off the record. Alles.«
Ich steckte meinen Schreibstift weg. Off the record, dachte ich, aber dauerhaft auf der Software meiner Reporterinstinkte. Das Zitat war zu gut, um es in den Wassern des Vergessens untergehen zu lassen. Deshalb war es das Zitat, mit dem ich meine Story beendete:
»Niemand sollte eine Raubkopie von Gottesbewußtheit machen müssen.«
»MOST LIKELY YOU GO YOUR WAY AND I’LL GO MINE«
Heute abend sitze ich mit Raubdisketten von Seelenfall, Erleuchtung Jetzt! und Orphilodeon an meinem Computer. Ich versuche, auf meditative Weise eine Verbindung mit den Phosphorpunkten herzustellen, die sich auf dem Schirm meines Mikroprozessors fortwährend erneuern. Und ich versuche auch, Dylans nächsten beruflichen Schritt vorauszusehen. Vielleicht plant er in der Hoffnung, das Antlitz Gottes während eines Raumspazierganges bei einem unserer Shuttleflüge zu berühren, sich bei der NASA um ein Astronautentraining zu bewerben. Vielleicht plant er in der Hoffnung, die enzymcodierten Melodien unserer Gene analysieren und aus dieser zellularen Musik die von Dem Alten dort eingeschlossenen Ornamente extrahieren zu können, sich wieder an der Universität von Minnesota einzuschreiben – in ein Lehrprogramm, das zu einer Promotion in der DNA-Rekombinationsforschung führt.
Wer weiß? Gott weiß es. Ich bete zu Gott durch meine Fingerspitzen, durch diese Maschine. Ich bete um ein kurzes Aufflackern der Erleuchtung in bezug auf die Intentionen dieses quecksilbrigsten Propheten unserer Zeit. Immerhin verdiene ich mir unter anderem auf diese Weise meinen Lebensunterhalt.
Originaltiteclass="underline" ›THE BOB DYLAN SOFTWARE & SATORI SUPPORT SERVICES CONSORTIUM, LTD.‹ • Copyright © 1985 by Michael Bishop • Erstmals erschienen in ›Interzone‹, Dezember 1985 • Mit freundlicher Genehmigung des Autors und Thomas Schlück, Literarische Agentur, Garbsen • Copyright © 1996 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München • Aus dem Amerikanischen übersetzt von Peter Robert
Garry Kilworth • England
IM LAND DER TÄTOWIERTEN MÄNNER
Der Herausgeber meiner Bücher mit Kriegsfotografien hatte den Brief an meine Adresse in Kalifornien weitergeleitet. Wir sollten uns, schlug der Briefschreiber vor, in seiner New Yorker Wohnung treffen, weil er zur Zeit nicht reisen könne. Ich entnahm dem Brief, daß er einige seltsame Erfahrungen machte, und daß ich seine ›Veränderungen‹ für die Nachwelt dokumentieren sollte. Vorausgesetzt, es steckte ein Körnchen Wahrheit darin, durfte ich auf eine gute Story hoffen. Er wäre nicht der erste Vietnamveteran, der ausflippte. Zuerst spielte ich sogar mit dem Gedanken, den Brief zu ignorieren, aber wenn Asien sonst nichts für einen tut, es weckt auf jeden Fall dauerhaft die Neugierde. Am folgenden Mittwoch flog ich zur Ostküste.
Ich stieg im Roosevelt ab, das mit seinem europäischen Charme einem ausgewanderten Engländer in der ansonsten einschüchternden New Yorker Architektur ein kleines Stück Heimatgefühl vermitteln kann. Ich fühle mich in New York immer verloren, wenn ich zwischen den Riesenbauten herumwandere, die einander an den Spitzen zu berühren scheinen, um den Himmel auszusperren. Zwischen den Wolkenkratzern dieser Stadt fühle ich mich kleiner, als wenn ich über die Entfernungen zwischen den Sternen nachdenke. Es hilft nicht zu wissen, daß es auf den Dächern einiger dieser schwindelnd hohen Gebäude Wiesen und Obstgärten gibt: das weckt nur den Eindruck, die Häuser seien womöglich über Nacht gewachsen, hätten die Krume mit sich hochgedrückt und uns verletzliche Sterbliche in den tiefen Abgründen zwischen sich zurückgelassen.
Die Einrichtung des Roosevelt wirkt europäisch: zierliche Messinglampen mit Tiffany-Schirmen, mit Marmorplatten belegte Kommoden. Ich fühle mich besser, wenn ich solche Möbel in der Nähe weiß. Nicht ganz so unsicher.
»Ich werde mich wirklich darum kümmern, Sir«, sagte der Mann, der meine schmutzige Wäsche zum Waschen mitnahm. Er hielt in der Tür inne und wartete, bis ich die Geheimsprache verstanden und ihm die zwei Dollar gegeben hatte, die die Sicherheit meiner schmutzigen Hemden garantierten.
Als die Tür zu war, nahm ich die New York Times zur Hand, die auf meinem Bett lag. Die Titelgeschichte handelte von einem Vergewaltiger, der im Central Park getötet worden war. Anscheinend ein Fall von Selbstjustiz. Die Mitglieder der Straßenbande hatten zwar mitbekommen, daß ihr Anführer starb, aber sie waren nicht sicher, was sie gesehen hatten. Die Frau, die angegriffen worden war, behauptete ebenfalls, sie hätte den Mörder nicht gesehen, war aber aus verständlichen Gründen nicht unglücklich über sein Eingreifen. All dies wäre nicht weiter verwunderlich gewesen, wenn der Vergewaltiger mit einem Gewehr oder mit einer Handfeuerwaffe erschossen worden wäre. Aber er war erwürgt worden. Der Gerichtsmediziner erklärte, aus den Quetschungen am Hals des Toten könne man schließen, daß der Mörder eine Nylonschnur oder eine Drahtschlinge benutzt habe.
Unter diesem Artikel war ein kleinerer Beitrag abgedruckt, in dem es um den Kommentar des neu gewählten Präsidenten zu der Frage ging, ob man Militärberater in ein gewisses asiatisches Land schicken solle, um ihm im Krieg gegen einen Aggressor beizustehen.