Jack Campbell
Die Wächter
Widmung
Für meinen jüngeren Bruder Robert, der immer wieder aufstand, wenn das Leben ihn zu Boden schickte. Er war der Stärkste von uns allen. Und für seine Ehefrau Debbie C., die ihm gab, wonach er stets gesucht hatte, die an seiner Seite blieb und immer zur Familie gehören wird.
Und wie immer für S.
Eins
Der Admiral hatte einen schlechten Tag, und wenn das der Fall war, wollte niemand seine Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Fast niemand.
»Stimmt irgendetwas nicht, Admiral?«
Admiral John »Black Jack« Geary, der bis gerade eben zusammengesunken in seinem Kommandosessel auf der Brücke des Allianz-Schlachtkreuzers Dauntless gesessen hatte, drückte den Rücken durch und warf Captain Tanya Desjani einen finsteren Blick zu. »Ist das jetzt Ihr Ernst? Wir sind momentan extrem weit von der Allianz entfernt, die Syndiks bereiten uns nach wie vor Schwierigkeiten, und die Kriegsschiffe dieser Flotte sind brutal zusammengeschossen worden, damit wir das von den Enigmas und den Kiks kontrollierte Gebiet hinter uns lassen konnten, und hier mussten wir schon wieder kämpfen. Dieses Kriegsschiff, das wir den Kiks abgenommen haben, ist zwar von unschätzbarem Wert, aber es zieht auch jede denkbare Gefahr magnetisch an, und es hält unsere Flotte auf. Wir haben keine Ahnung, was derzeit in der Allianz los ist, aber wir haben allen Grund zu der Annahme, dass es nichts Gutes sein dürfte. Habe ich noch irgendwas vergessen? Ach ja, die befehlshabende Offizierin meines Schiffs hat mich gerade gefragt, ob irgendetwas nicht stimmt!«
Desjani, die im Sessel des Captains neben ihm saß, nickte verstehend und sah ihn gelassen an. »Aber davon abgesehen ist alles mit Ihnen in Ordnung?«
»Davon abgesehen?«, wiederholte er und wäre am liebsten explodiert, doch Desjani kannte ihn besser als jeder andere Mensch. Hätte er nicht ein Faible für das Absurde gehabt, dann wäre er vom Umfang seiner Verantwortung längst in den Wahnsinn getrieben worden. »Ja, davon abgesehen ist alles in Ordnung. Sie erstaunen mich, Captain Desjani.«
»Ich gebe mir Mühe, Admiral Geary.«
Die Wachhabenden auf der Brücke konnten zwar sehen, dass sie redeten, und sie wussten auch, wie es um die Laune des Admirals bestellt war, aber sie konnten kein Wort von dem hören, was die beiden redeten. Deshalb klang Lieutenant Castries auch ein wenig verhalten, als sie allen anderen auf der Brücke der Dauntless meldete: »Ein Kriegsschiff hat eben das Portal verlassen.«
Der Alarm der Gefechtssysteme war bereits aktiviert worden, noch bevor Geary sich gerade hinsetzen konnte. Sein mürrischer Gesichtsausdruck, der ihm selbst bis dahin gar nicht bewusst gewesen war, verschwand, als er sich auf das Hypernet-Portal auf seinem Display konzentrierte, das ganz am Rand des Midway-Sternensystems sein Dasein fristete. Vom Orbit der Dauntless und dem Rest der Allianz-Flotte war es fast zwei Lichtstunden entfernt.
»Ein weiterer Schwerer Kreuzer der Syndiks«, merkte Tanya an und klang ein wenig enttäuscht. »Nichts, was irgendwelche Aufregung wert wäre oder …« Sie unterbrach sich und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen ihr eigenes Display. »Anomalien?«
Geary sah auf seinem Display die gleichen Informationen aufleuchten, während die Flottensensoren jedes noch so kleine Detail von dem noch Lichtstunden entfernten Schweren Kreuzer erfassten. Er fühlte sich aufgeregt, obwohl er genau wusste, dass er momentan einen Blick in die Vergangenheit geboten bekam. Der Schwere Kreuzer war vor fast zwei Stunden ins System gekommen, lediglich das Licht seiner Ankunft hatte erst jetzt die Dauntless als das Flaggschiff der Ersten Flotte der Allianz erreicht.
Alles, was sie in den kommenden zwei Stunden beobachten konnten, war bereits geschehen, dennoch kam es ihm so vor, als sähe er ein Bild von etwas, das sich jetzt gerade ereignete. »Die haben zusätzliche Frachtkapazitäten auf der Außenhülle geschaffen und mit Lebenserhaltungssystemen ausgerüstet«, stellte er fest.
»Das bedeutet, dass sie deutlich mehr Passagiere an Bord haben«, folgerte Desjani. »Eine Eingreiftruppe, die sich die hiesigen Einrichtungen vornehmen soll?«
Diese Möglichkeit war nicht aus der Luft gegriffen. Midway hatte sich vor Monaten mit einer Revolte von der Kontrolle durch die Syndikatwelten losgesagt und sich für unabhängig erklärt. Nach der Niederlage im Krieg gegen die Allianz waren die Syndikatwelten allmählich zerfallen, aber auch wenn viele Sternensysteme sich von ihnen abwandten, war Midway für die Syndik-Regierung viel zu wertvoll, als dass man diesen Verlust einfach so hätte hinnehmen wollen. Geary hatte sich schon länger gefragt, was die Syndiks wohl als Nächstes versuchen würden, um wenigstens einen Teil ihrer Kontrolle zurückzuerlangen.
Bevor er jedoch etwas entgegnen konnte, zog Desjani verblüfft die Augenbrauen hoch. »Er flieht.«
Der Schwere Kreuzer musste die kleine Syndik-Flotte bemerkt haben, die sich noch immer in der Nähe des Hypernet-Portals aufhielt, aber anstatt Kurs auf sie zu nehmen, drehte er ab und beschleunigte.
»Die sind nicht auf Befehl der Syndiks hier. Das sind weitere Abtrünnige«, stellte Geary fest. Ein weiteres Element der bewaffneten Streitkräfte der Syndikatwelten, das auf die anhaltende Zersplitterung des Imperiums reagierte, indem es sich davonmachte, vermutlich mit Kurs auf das Heimatsystem der Crew. »Oder gehört der Kreuzer zu den Behörden hier in Midway?«
»Nicht, wenn sie uns die Wahrheit darüber gesagt haben, wie viele Kriegsschiffe ihnen zur Verfügung stehen«, meinte Desjani, stutzte und musste laut lachen. »Haben Sie das gerade gehört? Ich habe mich gefragt, ob ein paar Syndiks uns wohl die Wahrheit gesagt haben könnten.«
Der Rest der Brückencrew stimmte in ihr Lachen über eine so absurde Aussage ein.
»Midway hat sich gegen die Syndikatwelten gestellt«, machte Geary klar, auch wenn er zugeben musste, dass Desjanis Belustigung durchaus begründet war. Er war ein paar Syndiks begegnet, die sich ihm gegenüber fair verhalten hatten, doch der größte Teil und dabei vor allem diejenigen auf der CEO-Ebene schienen die Wahrheit als etwas anzusehen, das man erst ins Spiel bringen durfte, wenn alle denkbaren Alternativen fehlgeschlagen waren.
»Okay, sie haben die Streifen auf ihrem Schwanz übermalt«, gab Desjani zurück. »Aber heißt das auch zwangsläufig, dass sie keine Stinktiere mehr sind?«
Er antwortete nicht darauf, weil er wusste, sein Gegenargument würde in der gesamten Flotte die Runde machen. Immerhin hatte jeder der Anwesenden den Krieg gegen die Syndiks aus erster Hand miterlebt; ein Konflikt, der hundert Jahre zuvor begonnen hatte und bei dem beide Seiten wie bei einer Spirale immer tiefer gesunken waren. Aber es waren die Syndikatwelten, die stets den ersten Schritt hin zu einem noch niedrigeren Niveau unternommen hatten, da deren Führer vor nichts zurückschreckten, um einen Krieg voranzutreiben, den sie nicht gewinnen konnten, aber auch keinesfalls verlieren wollten – bis Geary einschritt und ihre Flotte fast völlig aufrieb.
Der Befehlshaber der kleineren Syndikflotte – Gearys alter Bekannter CEO Boyens – hatte fast sofort auf die Ankunft des Schweren Kreuzers reagiert, als der von der Flotte gesichtet worden war. Das einzelne Schlachtschiff, das den Kern der Flotte bildete, hatte seinen Orbit nicht verändert, doch die Eskortschiffe hatten kehrtgemacht und beschleunigten nun auf ausholenden Vektoren, um den Neuankömmling abzufangen.
Desjani schüttelte verwundert den Kopf. »Er schickt sechs seiner Schweren Kreuzer und alle neun Jäger hinterher? Das ist ja maßlos übertrieben.«
»Wir wissen, dass Boyens üblicherweise sehr vorsichtig ist«, hielt Geary dagegen. »Er geht kein Risiko ein, außerdem muss er befürchten, dass sich Leute hier aus dem System einmischen.«