»Warum haben sie uns nicht gesagt, weshalb sie herkommen wollten?«, fragte Desjani schließlich.
»Wie hätten sie uns das erklären sollen?«, erwiderte Charban. »Offenbar fühlten sie sich verpflichtet, den Leichnam herzubringen. Hätten sie uns bei Varandal gesagt, dass sie ihn haben, dann hätten wir gewollt, dass sie ihn uns dort übergeben. Was wäre geschehen, wenn sie sich geweigert hätten, das zu tun, nur weil sie nicht in der Lage waren, uns ihre Beweggründe zu erklären?«
»Wir hätten alles gründlich missverstanden«, sagte Rione.
Dr. Nasr kniete neben dem Behältnis mit den sterblichen Überresten von Major Crabaugh. »Ich kann keinen Hinweis auf eine Autopsie oder auf andere invasive Maßnahmen entdecken. Falls sie ihn untersucht haben, muss es auf eine nichtinvasive Weise geschehen sein.«
»Sie hatten Respekt vor ihm«, sagte Costa verärgert. Als sie aber zu den anderen Menschen sah, wurde deutlich, dass ihre Verärgerung nicht den Tänzern galt. »Sie haben ihn nicht zerpflückt, haben nicht seinen Körper entehrt und ihn nicht wie ein totes Tier behandelt, das sie zufällig vor ihrer Haustür entdeckt haben. Vielmehr sind sie so mit ihm umgegangen, als ob … als ob …« Sie suchte nach den richtigen Worten.
»Als ob er einer von ihnen wäre«, führte Dr. Nasr für sie den Satz zu Ende. Er richtete sich auf, sah aber weiter den Leichnam an. »Sie wussten nicht, wer und was er war oder woher er gekommen ist. Sein Aussehen unterschied sich völlig von ihrem eigenen, vielleicht empfanden sie ihn sogar als genauso abscheulich, wie die Tänzer auf uns wirken. Aber sie betrachteten die Artefakte, die er bei sich führte, sie sahen ihn an und entdeckten ein Wesen, das ihnen ganz ähnlich sein musste. Ein Wesen, das eine respektvolle Behandlung verdient hatte. Sie achteten nicht darauf, inwieweit er sich von ihnen unterschied, stattdessen konzentrierten sie sich darauf, was dieser Mensch mit ihnen gemeinsam haben musste, und als sich die Gelegenheit ergab, da brachten sie die sorgfältig geschützten Überreste nach Hause.«
»Sie haben uns beschämt«, sagte Senatorin Suva, die kerzengerade dastand, während ihr Tränen über die Wangen liefen. »Sie haben uns beschämt. Wir hätten uns nicht so verhalten wie sie. Das haben wir noch nie gemacht, und auch nach Jahrhunderten angeblichen Fortschritts sehen wir immer noch nur das, was uns unterscheidet, wenn wir einander anschauen.«
»Ich lasse mich nicht von etwas beschämen, das so aussieht wie das da«, murmelte Senatorin Costa und warf Suva einen trotzigen Blick zu. »Ich bin nicht weniger wert als die. Was die können, kann ich auch.«
Nach kurzem Zögern nickte Suva. »Wir können es versuchen.«
Der neben Geary stehende Senator Sakai sagte leise: »So viele Jahre haben wir nach ihnen gesucht, nach jemandem, der uns ähnlich, aber doch ganz anders ist. Als wir sie fanden, dachten wir, wir könnten von ihnen lernen, dass sie trotz ihrer Andersartigkeit Dinge in uns entdecken würden, die wir selbst nicht sehen konnten. Wie es scheint, hatten die Philosophen recht. Aber wird dieses Wissen genügen, um die menschliche Dummheit zu überwinden?«
»Wir wissen nicht einmal, ob wir ihr Handeln richtig deuten«, sprach Geary so leise, dass nur Sakai und Desjani ihn hören konnten. »Aber ich glaube nicht, dass ich diese Möglichkeit jetzt ansprechen sollte. Vielleicht ist es am besten, wenn wir das, was wir hier zu sehen glauben, vorläufig nicht eingehender analysieren.«
Tanya fasste nach Gearys Handgelenk. »Solche Fragen übersteigen meine Besoldungsstufe. Wir haben die Tänzer hergebracht, sie konnten das tun, was sie tun wollten. Und was machen wir jetzt?«
Geary blickte zu den verfallenen Ruinen dieser Stadt, er betrachtete die sterblichen Überreste von Major Crabaugh, der endlich heimgekehrt war. Dann wanderte sein Blick über die Tänzer in ihren Schutzanzügen und über die Menschen der Allianz und von Sol. Er sah sich das Gras an, das zu sprießen begonnen hatte und das so grün leuchtete wie auf dem emaillierten Stück Metall. Die Vergangenheit lastete schwer auf der Alten Erde, aber die Lebenden blickten schon wieder in die Zukunft.
»Wir kehren heim«, sagte er. »Wenn die Crew die Heimat besucht hat, wenn unsere Senatoren ihre Gespräche mit den hiesigen Behörden abgeschlossen haben und alle Zeremonien beendet sind, dann kehren wir zu uns nach Hause zurück. Auf uns wartet noch viel Arbeit.«
Anmerkungen des Autors
Es hat sich hier einiges verändert.
Captain Tanya Desjani
Damals im 20. Jahrhundert (Ende der 60er-Jahre, um genau zu sein) lebte ich einige Jahre lang auf Midway Island mitten im Pazifischen Ozean. In jener Zeit war Satellitenfernsehen buchstäblich Zukunftsmusik. Das einzige Fernsehprogramm auf der Insel wurde von einem Lokalsender ausgestrahlt, der jeden Tag ein paar Stunden lang außer alten Serien nichts zu bieten hatte. Manchmal konnten da sogar weiße Sandstrände, eine von einem Korallenriff geschützte Lagune und die Possen der Schwarzfußalbatrosse aller Schönheit zum Trotz nur Langeweile verbreiten. Wenn es mir langweilig wurde, konnte ich immer noch lesen, vor allem Geschichtsbücher.
Aber es gab noch etwas anderes, womit man sich die Zeit vertreiben konnte. Jeden Samstag und Sonntag gab es im Kino auf der Militärbasis eine Frühvorstellung, in der es eine Episode von Kobra, übernehmen Sie oder Big Valley und eine Star Trek-Episode (natürlich aus der Originalserie) zu sehen gab. Während der Rest der USA Kirk, Spock und McCoy auf einem kleinen Fernsehbildschirm vorgesetzt bekam, konnte ich ihre Abenteuer auf der Kinoleinwand erleben.
Als ich mit dem Schreiben begann, stellte ich fest, dass sich diese Einflüsse in meinen Geschichten widerspiegelten. Die Geschichtsbücher brachten mich auf interessante Ideen, und Star Trek hatte mir gezeigt, dass SF spannend und unterhaltsam sein und gleichzeitig zum Nachdenken anregen konnte. Und ich lernte dadurch auch, wie wichtig die Figuren waren. Die Raumschiffe an sich waren cool, aber die Geschichten wären nicht so gut gewesen, wenn es da nicht die Charaktere gegeben hätte, deren Handeln etwas bewirkte und die immer ihr Bestes gaben, auch wenn sie vor fast unlösbaren Problemen standen.
Aber auch viele andere Faktoren haben bei der Entstehung der Verschollenen Flotte eine Rolle gespielt. Die Grundlage bilden zwar diese äußeren Einflüsse, doch wenn ein Autor Charaktere erschafft, dann kommt es vor, dass sie die Geschichte beeinflussen, weil sie einem vorschreiben, was sie tun werden und was nicht, weil sie einem sagen, dass sie sich anders entscheiden würden, als man es selbst für sie geplant hatte. Als ich Black Jacks Geschichte erzählt habe, wurde ich von ihm mehr als einmal überrascht. Er hat Freunde und Verbündete gefunden, er hat eine Vielzahl von Widersachern besiegt, und er hat eine sehr enge Beziehung zu einer bestimmten Befehlshaberin eines Schlachtkreuzers entwickelt. Als sich die Möglichkeit eröffnete, mit ihm neue Schauplätze zu besuchen, wo er sich neuen Herausforderungen stellen musste, da war ich sehr erfreut darüber, Gearys Geschichte in der Reihe Beyond the Frontiers weiterzuerzählen.
Wenn ich Black Jack Gearys Geschichte schrieb, dann schrieb ich dabei auch immer über seine Gegner, vor allem über die Syndikatwelten. Bei jedem Problem, das sich ihm stellte, hat Geary sein Bestes gegeben, seine Pflicht zu erfüllen und dabei stets ehrlich und ehrbar zu handeln. Den Gegensatz dazu bildeten die Syndiks, deren Verhalten in jeder Hinsicht Gearys Ansichten und Überzeugungen zuwiderlief. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Syndiks einfach aus dem Grund als die Bösen abzustempeln, dass sie nur böse sind. Aber damit hätte ich der Handlung keinen Gefallen getan, weil es nicht den monolithischen Feind gibt. Jede Person, die zur gegnerischen Seite gehört, ist ein Individuum und unterscheidet sich von den anderen Individuen. Die Angehörigen der Syndikatwelten sind Menschen. Manche haben sich dem System verpflichtet, weil es ihnen Macht gibt, andere sind fest davon überzeugt, dass nur dieses System Ordnung wahren kann. Weitere erkennen die Schwächen im System und arbeiten dagegen, und wieder andere haben sich gegen das System gewandt, weil sie dessen Ungerechtigkeit erkannt oder sogar am eigenen Leib erfahren haben.