»Steuerdüsen auf allen Schiffen gezündet«, rief Lieutenant Yuon. »Vektoren ändern sich und werden auf das Hypernet-Portal ausgerichtet.«
»Na bitte«, sagte Desjani erfreut und prophezeite: »Mit der Zündung der Hauptantriebseinheiten wird er ebenfalls bis zur letzten Sekunde warten.«
»Und wenn er sich dabei verrechnet?«, warf Geary ein.
»Dann schießen wir ihm ein paar Löcher in den Rumpf seines Schlachtschiffs, damit er sich für die Zukunft merkt, seinen Maschinen und Leuten etwas mehr Spielraum zu gewähren.« Sie lächelte Geary an. »Stimmt’s?«
»Ja, stimmt. Übrigens, wer immer unseren ›gecharterten‹ Schweren Kreuzer lenkt, leistet verdammt gute Arbeit.«
Der einzelne Schwere Kreuzer beschleunigte weiter und baute seinen Vorsprung vor den Verfolgern kontinuierlich aus. Die Syndik-Kreuzer und -Jäger drehten sich leicht zu einer Seite, um den herannahenden Raketen die Zielerfassung so schwer wie möglich zu machen. Gearys Blick zuckte zu der Midway-Flotte, die sich von der Seite näherte, von der aus sie die Schweren Kreuzer der Syndik-Einheit attackieren konnte, die sich an die Verfolgung des einzelnen Kreuzers gemacht hatte. »Die täuschen nichts vor, die wollen diese Syndik-Kriegsschiffe wirklich unter Beschuss nehmen.«
Desjani sah ihn von der Seite an. »Die Midway-Schiffe sind den Syndiks bei den Schweren Kreuzern im Verhältnis drei zu sechs unterlegen. Dass sie ein paar Leichte Kreuzer an ihrer Seite haben, kann das auch nicht wettmachen. Wenn deren Kommodor schnurstracks in die andere Formation hineinfliegt, wird die Midway-Flotte ordentlich Prügel einstecken müssen.«
»Vermutlich ja«, stimmte Geary ihr zu. »Hoffen wir, dass sie nicht so dumm sind.«
Etwas anderes lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich, da die Tänzer-Schiffe ihren bisherigen Orbit verließen und Kurs auf die Allianz-Schiffe nahmen. »Ich würde zu gern wissen, was die Tänzer denken, während sie das hier beobachten.«
»Wenn sie uns wirklich schon so lange heimlich beobachtet haben, wie wir es vermuten, dann werden sie jetzt wahrscheinlich denken: Das sehen wir bei den Menschen auch nicht zum ersten Mal«, meinte Charban nachdenklich. »Es muss noch vieles geben, was sie über uns nicht wissen, aber ich bin mir sicher, dass die Tänzer jede unserer Aktionen sehr aufmerksam mitverfolgen und von dem hier nicht allzu überrascht sein werden.«
Zur Abwechslung klang Rione diesmal amüsiert, als sie ergänzte: »Es wäre interessant zu erfahren, wie sie interpretieren, was sie gerade sehen.«
Geary antwortete nicht, da sein Blick wieder gebannt auf die rückwärts laufende Zeitanzeige gerichtet war. Wenn die Syndik-Flotte nicht innerhalb weiterer zwanzig Sekunden die Hauptantriebseinheiten aktivierte, würde Gearys Flotte definitiv in Feuerreichweite kommen, bevor die Syndiks durch das Hypernet-Portal fliehen konnten.
»Er lässt nicht viel Spielraum für mögliche Fehler«, stellte Desjani fest. »Selbst wenn er … oh, jetzt. Endlich.« Sie klang ein wenig enttäuscht.
»Die Hauptantriebseinheiten sind auf allen Syndik-Kriegsschiffen aktiviert worden«, gab Lieutenant Castries bekannt. »Sie gehen auf maximale Beschleunigung.«
»Viel knapper geht es kaum noch«, murmelte Desjani. »Ich frage mich …«
»Was?«, wollte Geary sofort wissen.
»Vielleicht geht es hier gar nicht um Boyens’ Stolz. Möglicherweise will er uns nur ein letztes Mal ärgern, indem er ganz besonders knapp vor uns herfliegt und eben so durch das Hypernet-Portal entwischt, bevor wir ihn in Stücke schießen können.«
»Ein riskantes Spiel bleibt das dennoch. Wenn er so auf den Sekundenbruchteil exakt handelt, dann genügt eine kleine Fehlberechnung, und er kann sich vor Treffern kaum noch retten.«
Eine wellenartige Bewegung huschte über sein Display, da eine ganze Reihe von Daten aktualisiert wurde. »Was ist das?«
»Eine taktische Datenverbindung zur Midway-Flotte«, erklärte Desjani. »Ich habe meinen Systemleuten gesagt, dass sie die Daten nicht in Echtzeit durchlaufen lassen sollen, sondern sie erst gründlich säubern müssen. Aktualisierungen sollen sie dann von Zeit zu Zeit vornehmen.«
Mich wundert, dass du überhaupt Datenübertragungen von einer Flotte aus ehemaligen Syndik-Kriegsschiffen zulässt, überlegte er, auch wenn er erkennen konnte, dass diese taktischen Verbindungen einige nützliche Informationen über den Bereitschaftsstatus der Midway-Schiffe und über den einzelnen Schweren Kreuzer lieferten, der vor den Syndiks floh. Dieser Kreuzer wurde nun als die Manticore benannt. Die auf die Manticore abgefeuerten Raketen hatten ihre Vektoren verändert, um den Abfangkurs zu korrigieren, nachdem der Kreuzer beschleunigt und eine Kursänderung vorgenommen hatte.
Die Projektile rückten nach wie vor näher und näher, aber dank der geringen relativen Geschwindigkeit gaben sie für den massiv bewaffneten Kreuzer leichte Ziele ab. Geary sah zu, wie eine Salve aus Höllenspeeren die Spitzengruppe traf und vier Raketen ausschaltete. Damit blieben allerdings immer noch zwanzig übrig.
Auf einmal änderte sich der Vektor der Manticore, da die Hauptantriebseinheit abgeschaltet wurde und die Steuerdüsen dafür sorgten, dass sich das Schiff um seine eigene Achse drehte, bis der Bug auf die Raketen gerichtet war, während der Kreuzer selbst immer noch vor den Geschossen davonflog.
Ich kenne dieses Manöver. Als Nächstes folgt …, dachte Geary flüchtig, aber die Ereignisse überholten ihn bereits.
Der Hauptantrieb der Manticore wurde wieder aktiviert und ging sofort auf maximale Leistung, sodass der Schwere Kreuzer abrupt abgebremst wurde. Die herbeieilenden Raketen konnten ihre eigene Geschwindigkeit nicht annähernd so schnell bremsen, stattdessen ließen sie die Steuerdüsen mit maximaler Leistung arbeiten, um auf diese Weise doch noch schnell genug eine Kursänderung vorzunehmen. Das war die einzige Möglichkeit, wie sie ihren Auftrag noch erfüllen und den Schweren Kreuzer abfangen konnten, während ihre Näherungsgeschwindigkeit rasch anstieg. Die Manticore kam ihnen dabei deutlich schneller näher, als die Lenksysteme der Raketen es eingeplant hatten.
Deren Vektoren drehten so abrupt, während sie an der Manticore vorbeiglitten, dass viele der Geschosse die auf sie einwirkenden Kräfte nicht aushielten und, noch in der Drehung begriffen, zerstört wurden. Die überlebenden Raketen verbrannten ihren restlichen Treibstoff beim Versuch, wieder den Anschluss an die davonfliegende Manticore zu finden. Durch die Wendemanöver wurden die Raketen so stark abgebremst, dass sie nahezu zum Stillstand kamen, was sie zur idealen Zielscheibe machte.
Die sechs verbliebenen Raketen wurden in Stücke gerissen, als Höllenspeere ihre Hülle durchbohrten.
»Dieses Manöver sollte man allenfalls mit einem Leichten Kreuzer versuchen, aber nicht mit größeren Schiffen«, merkte Geary an.
»Diese Doktrin muss noch aus der Zeit vor dem Krieg stammen«, gab Desjani zurück. »Ich habe das schon mit einem Schlachtkreuzer gemacht, und Bradamont ebenfalls. Sieht ganz so aus, als würde sie den ehemaligen Syndiks zeigen, wie man ein Raumschiff richtig fliegt.«
Während die Manticore allmählich langsamer wurde, richteten sich die Vektoren aller übrigen Streitmächte in der näheren Umgebung auf das Hypernet-Portal aus. Boyens beschleunigte mit seinem Schlachtschiff so schnell, wie es für diesen Schiffstyp möglich war, und wurde dabei von seinen vier Leichten Kreuzern begleitet. Gearys deutlich größere Formation flog dicht hinter Boyens her, doch der errechnete Abfangkurs führte hinter das Portal, sodass Boyens’ Schiffe bei gleichbleibender Geschwindigkeit ins Hypernet entwischen würden, bevor ihre Verfolger in Feuerreichweite kommen konnten.
Die sechs Schweren Kreuzer und die zehn Jäger, die von Boyens auf die Manticore angesetzt worden waren, hatten inzwischen gewendet und flohen nun von unten kommend, um mit dem Schlachtschiff zusammenzutreffen, kurz bevor die gesamte Flotte dann das Portal erreichen würde.