Auf dem Hauptdisplay zoomte das Bild der Haboob heran, die Außenansicht wurde von den Sensoren all jener Schiffe der Flotte zusammengesetzt, die Sicht auf den Transporter hatten. Der Midway-Frachter hing nahe der Haboob im All, beide Schiffe schienen vor dem Hintergrund des unendlichen Weltraums mit seinen unendlich vielen Sternen völlig reglos zu verharren, während sie in Wahrheit mit hoher Geschwindigkeit ihrem Orbit um den Stern Midway folgten. Es lag nur an den gewaltigen Entfernungen und dem Mangel an stationären Objekten in der unmittelbaren Umgebung, dass der Eindruck einer erstarrten Szene entstand.
Vier Shuttles flogen vom Frachter zum Allianz-Transporter, was Desjani stutzig machte. »Ich dachte, wir setzen nur achtzehn ehemalige Enigma-Gefangene hier ab. Für achtzehn Passagiere sind das aber viele Shuttles.«
»Es sind ungewöhnliche Passagiere«, konterte Geary. Er überprüfte das Manifest für jedes Shuttle und fand eine lange Liste des medizinischen und technischen Personals vor, außerdem waren jedem Shuttle zwei Wachleute zugeteilt. »Nur zwei Aufpasser pro Shuttle? Ich hätte mehr erwartet.«
»Besonders für Syndiks«, stimmte sie ihm zu und warf ebenfalls einen Blick auf die Manifeste.
»Vielleicht sind ja die Mediziner und Techniker gleichzeitig auch Bewacher.«
»Wäre möglich.« Desjani traute den Leuten hier nicht über den Weg, und auch Geary war nicht restlos von ihrer Ehrlichkeit überzeugt. Er konnte nur hoffen, dass diese ehemaligen Gefangenen nach ihrer Rückkehr von den eigenen Leuten besser behandelt wurden als zuvor von den Enigmas.
Dr. Nasr tauchte in einem separaten Fenster auf. »Admiral«, grüßte er Geary und sah zu Desjani. »Captain.«
»Was haben Sie bei der Sache für ein Gefühl?«, wollte Geary wissen.
»Es ist immer noch die beste Option unter vielen noch schlechteren«, gab Nasr zurück. »Das ist immer noch meine Meinung zu dem Thema.«
Desjani verzog das Gesicht. »Ich kann mir nicht erklären, wie man sich freiwillig wieder der Kontrolle durch die Syndiks unterstellen will.«
»Es sind Syndiks«, machte der Doctor deutlich. »Ihre Familien leben hier oder ganz in der Nähe, und Midway wird zudem nicht mehr von den Syndiks beherrscht. Deshalb wollen jetzt sogar die zu ihren Heimatsternen zurückkehren, die sich bislang noch zögerlich verhalten hatten. In der letzten Stunde habe ich mich mit jedem der achtzehn noch einmal unterhalten, und ich bin davon überzeugt, dass sie uns wirklich völlig aus freien Stücken verlassen wollen.«
»Dann werden wir ihren Wunsch respektieren«, sprach Geary. Damit blieben nur noch dreihundertfünfzehn ehemalige Enigma-Gefangene, die sie irgendwo unterbringen mussten. »Ich wünschte, wir hätten herausgefunden«, redete er an Tanya Desjani gewandt weiter, »warum die Enigmas immer genau dreihundertdreiunddreißig Gefangene festgehalten haben.«
»Schreiben Sie das mit auf die lange Liste offener Fragen«, schnaubte sie. »Wir haben über die Enigmas so gut wie nichts herausgefunden, außer dass sie schon krankhaft besessen sind, keine Informationen über sich nach außen dringen zu lassen. Und jetzt machen wir ihnen ihr kleines Zahlenspiel auch noch kaputt. Ich möchte wetten, es würde sie wahnsinnig machen, wenn sie das wüssten.« Tanya fügte das in einem Tonfall an, der keinen Zweifel daran ließ, dass es ihr nichts ausmachte, die Enigmas geistig zu quälen. »Sind Sie sich sicher, dass diese Leute hier die ehemaligen Gefangenen, die wir ihnen überlassen, nicht wie Versuchskaninchen behandeln werden?«
»Nein.«
Das einzelne Wort hätte Desjani einen weiteren Kommentar entlocken können, doch die Art, wie er es aussprach, ließ sie nur kurz einen Blick in seine Richtung werfen, dann wandte sie sich wieder schweigend dem Display zu. Sie kannte ihn inzwischen auch sehr gut.
Die Videoverbindung zum Sturmtransporter Haboob lieferte gestochen scharfe Bilder, die die gesamte Gruppe ehemaliger Gefangener zu zeigen schien, wie sie sich an Steuerbord im vorderen Ladebereich des Transporters drängten. Nachdem sie so viele Jahre in ihrer kleinen Welt zusammengepfercht gelebt hatten, wollte es ihnen offenbar seit ihrer Befreiung nicht gelingen, dieses Verhalten abzulegen. Auch jetzt bildeten sie eine kompakte Gruppe, in der die achtzehn, die nach Midway wollten, nur anhand der Allianz-Taschen auszumachen waren, in denen sie ihre wenigen Habseligkeiten bei sich trugen, die sie entweder aus ihrem Gefängnis auf dem Asteroiden mitgenommen hatten oder die seitdem in ihren Besitz gelangt waren.
Die Marines, die das Geschehen im Auge behalten sollten, standen am Rand des Ladebereichs, unterhielten sich untereinander und wirkten entspannt. Seit ihrer Ankunft auf der Haboob hatten die Befreiten keinerlei Probleme bereitet, als fürchteten sie, dass man sie in ihr altes Gefängnis zurückschicken würde, wenn sie nur ein falsches Wort sagten. Diese Angst hatte dem medizinischen Flottenpersonal sehr viel Arbeit bereitet, da sie immer wieder versucht hatten, ihre Patienten davon zu überzeugen, dass niemand etwas Derartiges mit ihnen machen würde. Den Marines, die an Bord der Haboob für Ordnung und Disziplin sorgen sollten, hatte dieser Umstand die Arbeit hingegen ganz erheblich erleichtert.
Lichter leuchteten über den vier Hauptschleusen des Ladebereichs auf, da die Midway-Shuttles den Andockvorgang beendeten und ihre Luken mit denen des Transporters versiegelt wurden. Die Allianz-Marines versteiften sich und spielten mit ihren Waffen.
Die Midway-Shuttles waren von den Syndikatwelten gebaut worden, bemannt und gesteuert wurden sie von Männern und Frauen, die noch vor Kurzem für die Syndikatwelten gekämpft hatten. Niemand an Bord der Haboob würde auch nur einen Moment lang in seiner Wachsamkeit nachlassen, solange die Shuttles angedockt waren und sich deren Personal an Bord befand.
Die zivilen Spezialisten von Midway kamen als Erste an Bord. Irgendjemand war umsichtig genug gewesen, in dieser Situation kein militärisches Personal vorzuschicken. Eine von Dr. Nasr angeführte Gruppe kam ihnen entgegen. Geary machte sich nicht die Mühe, das Bild heranzuholen oder den Ton dazu zu schalten, da auch aus der Ferne betrachtet deutlich war, dass dies eine routinemäßige Begrüßung unter Fachleuten war.
Stattdessen sah Geary sich die Zivilisten genauer an und stellte fest, dass keiner von ihnen die übliche Syndik-Standardkleidung trug, die auf den verschiedenen Ebenen der Organisationshierarchien der Syndikatwelten vorgeschrieben gewesen war. »Wenigstens ist man so schlau gewesen, die Leute nicht in Syndik-Anzügen herzuschicken.«
Nachdem auch noch die letzten Ärzte und Techniker an Bord gekommen waren, folgten die vier Piloten der Shuttles, die in der Nähe der Schleusen eine Gruppe bildeten, während die Midway-Zivilisten mit dem medizinischen Personal der Allianz zusammentrafen.
Desjani nickte. »Und die Piloten tragen auch keine Syndik-Uniformen. Was die Offiziere der Kriegsschiffe tragen, sieht nach leicht veränderten Syndik-Beständen aus, aber diese Shuttle-Piloten hat man komplett neu eingekleidet.« Desjanis Stimme gab keinen Hinweis darauf, ob sie das guthieß oder ob sie es nur für einen weiteren Syndik-Trick hielt.
Die ängstlichen Ex-Gefangenen musterten die Leute von Midway, als suchten sie nach vertrauten Gesichtern. Die Marines hielten die Spezialisten von Midway und die Gefangenen unter Beobachtung. Eine Gruppe von Allianz- und Marine-Offizieren betrat den Ladebereich, alle blieben stehen und sahen neugierig die Anwesenden an. Gaffer. Sobald sich auf einem Schiff etwas Ungewöhnliches ereignete, kam jeder, der gerade keine anderen Aufgaben hatte, vorbei und riskierte einen Blick.
»Admiral?«, meldete sich Dr. Nasr ungewöhnlich schroff. »Der verantwortliche Offizier möchte wissen, ob es seine Richtigkeit hat, dass Personen anwesend sind, die mit dem eigentlichen Vorgang nichts zu tun haben.«