»Sie meinen die Spanner?«, gab Geary zurück. »Ja, warum nicht?«
»Das war auch meine Meinung, aber die Offiziere hier möchten dazu Ihre Meinung hören.«
»Ah, verstehe. Sagen Sie ihnen, der Admiral genehmigt und befürwortet die Anwesenheit von unbeteiligtem Personal, das Zeuge dieses Ereignisses werden möchte.«
So ungewöhnlich dieser Vorgang auch war, hatte der übereifrige Versuch, alles nichtautorisierte Personal wegschicken zu lassen, für Geary etwas beruhigend Routinemäßiges. Aber als er sich zu Desjani umdrehte, bemerkte er ihre irritierte Miene. »Was ist los?«
»Was machen die da?«
»Die Spezialisten von Midway? Die tragen alle Informationen zusammen, die sie über die Leute bekommen können, die sie mitnehmen werden. Dr. Nasr hat mir gesagt, dass die Übermittlung der Daten lange vor diesem Treffen geregelt worden ist. Medizinische Unterlagen, Aufzeichnungen über Behandlungen, die seit ihrer Befreiung durchgeführt wurden, über vorgenommene Tests, mit denen sichergestellt wurde, dass die Enigmas ihnen keine Gifte oder Seuchen implantiert haben. Alles solche Dinge.«
»Sieht aus«, sagte sie erstaunt, »wie eine ganz normale Menschenansammlung.«
»Natürlich ist das …« Geary unterbrach sich, da ihm klar wurde, dass Desjani so etwas noch nie mitgemacht hatte. Kein lebender Mensch außer ihm selbst kannte solche Bilder. Vor dem Krieg hatte es friedliche Treffen zwischen der Allianz und den Syndikatwelten gegeben, und bei einigen war er sogar persönlich anwesend gewesen, wenn offizielle Delegationen beider Seiten zusammengetroffen waren. Aber solche Treffen waren lange her. Eine der Begleiterscheinungen des hundert Jahre währenden Kriegs war eine kontinuierliche Verschlechterung der Beziehungen gewesen, bis beide Seiten jegliche Kommunikation eingestellt hatten. Wenn sie sich begegnet waren, dann im Gefecht, oder wenn die eine Seite Gefangene der anderen nahm. »So soll das ablaufen«, sagte er schließlich.
Desjani antwortete nicht, sondern zeigte auf eine Midway-Pilotin, die sich abrupt zu den Allianz-Offizieren und -Marines umdrehte und mit entschlossener Miene zu ihnen ging. Selbst bei dieser Einstellung konnte Geary erkennen, dass die Atmosphäre auf dem Deck durch das Verhalten dieser Pilotin mit einem Mal angespannter war. Die Marines entsicherten ihre Waffen, auch wenn sie sie noch auf niemanden gerichtet hielten.
Doch ein paar Meter von den Allianz-Offizieren entfernt blieb die Pilotin stehen und sah die Männer verblüfft an. »Ich … entschuldigen Sie … Wie soll ich das ausdrücken? Können Sie … würden Sie … mir etwas sagen?«
»Kommt drauf an«, antwortete einer der Offiziere verhalten. »Um was geht es denn?«
»Waren Sie …«, redete sie stockend weiter. »War einer von Ihnen bei Lakota? Als diese Flotte dort gekämpft hat?«
Nach einer kurzen Pause nickte ein anderer Offizier. »Nicht auf diesem Schiff. Die Haboob gehörte damals nicht zur Flotte. Aber ich war dort.«
»Mein Bruder ist bei Lakota gefallen«, sagte die Pilotin abgehackt. »Ich weiß nichts darüber, aber ich hatte gehofft … dass Sie vielleicht wissen, wie er gestorben ist.«
Die Allianz-Offiziere wurden darauf sichtlich entspannter. »Es gab dort verschiedene Gefechte«, erwiderte der Allianz-Offizier.
»Er diente auf einem Leichten Kreuzer. CL-901.«
»Tut mir leid«, sagte der Mann und schien es auch zu meinen. Es war eine Situation, mit der jeder mitfühlen konnte, der den Krieg mitgemacht hatte. »Wir kannten die Bezeichnungen der anderen Schiffe nicht.«
Die Pilotin biss sich auf die Lippe, blickte kurz zu Boden und sah den Mann wieder an. »Ich habe gehört, Sie haben Gefangene genommen. Unter dem Kommando von Black Jack. Es gab Gerüchte.«
»Das ist richtig, aber bei Lakota bekamen wir keine Chance dazu.« Der Offizier zögerte kurz, dann fragte er seinerseits: »Wissen Sie, was bei Lakota geschehen ist?«
»Nein. Aus Sicherheitsgründen. Von den üblichen Lügen abgesehen haben wir nie etwas von offizieller Seite erfahren.«
»Das Hypernet-Portal bei Lakota brach zusammen. Es wurde von einer Syndik-Flotte bewacht, und ich nehme an, sie hatte den Befehl, das Portal zu zerstören, wenn wir die übrigen Streitkräfte bei Lakota besiegen. Sie haben auf die Trossen gefeuert.«
Die Shuttle-Pilotin verzog den Mund und kniff die Augen zu, bis sie sich wieder im Griff hatte. »Sie wussten es nicht. Wir erfuhren erst davon, nachdem wir die Schlangen getötet hatten. Dann fanden wir heraus, was passiert, wenn ein Portal kollabiert. Sie wussten es nicht«, wiederholte sie.
»So etwas hatten wir uns schon gedacht. Es war Selbstmord. Auf den Schiffen wird vermutlich niemand lange genug überlebt haben, um zu begreifen, was sie angerichtet haben. Die Schockwelle raste durch ganz Lakota, sie löschte Shuttles und Handelsschiffe und alles aus, was nicht über ausreichende Schilde verfügte. Wir hatten noch Glück, weil wir weit genug entfernt waren und die Schockwelle uns nicht mehr mit voller Kraft erreichte. Aber sie hat das gesamte System verwüstet. Es tut mir leid, aber ich kann nichts dazu sagen, was mit Ihrem Bruder passiert ist.«
Die Pilotin nickte, ihr Gesicht war ein Wechselbad der Gefühle. »Ist schon gut. Ich weiß, wie das ist.«
»Sind Sie Shuttle-Pilotin auf einem Kriegsschiff?«
»Nein.« Mit dem Daumen zeigte sie auf das Schulterabzeichen an ihrer Uniform. »Bodentruppen. Luft-und Raumwaffe.«
»Regelmäßige Flüge in der Atmosphäre? Stürme, Wind und Nebel? Besser Sie als ich.«
Die Shuttle-Pilotin lächelte nur kurz. »Manchmal ist es brenzlig, aber nichts, womit wir nicht klarkommen könnten. Ich arbeite für General Drakon, und er schickt seine Mitarbeiter nirgendwohin, wo er nicht auch selbst hingehen würde.«
»Was genau machen Sie für General Drakon?«, wollte ein Marine wissen.
»Vor allem Unterstützung der planetaren Verteidigung und der Bodenstreitkräfte. Ich war auch beim Einsatz bei Taroa, wo wir dabei mitgeholfen haben, das Syndikat aus unserem Sternensystem zu vertreiben. General Drakon hat uns diesen Transport übertragen, weil die mobilen Streitkräfte … ich wollte sagen, die Midway-Kriegsflotte nicht über so viele Shuttles verfügt.«
Die Allianz-Offiziere sahen sich untereinander an, dann fragte einer von ihnen: »Was war das vorhin mit den Schlangen? Sie sprachen davon, Sie hätten die Schlangen getötet.«
»Ja, Schlangen. Agenten des Inneren Sicherheitsdienstes. Die Geheimpolizei des Syndikats.« Die Pilotin machte eine Miene, als wollte sie angewidert ausspucken, aber dann fuhr sie fort: »Die haben überall das Sagen gehabt. Sie haben alles beobachtet, jedem über die Schulter geschaut. Wenn man etwas falsch gemacht hatte oder wenn sie einen einfach nur verdächtigten, verschleppten sie ihn in ein Arbeitslager. Manchmal machten sie das einfach, weil sie Spaß daran hatten, völlig ohne Verdacht. Wir haben sie getötet. Wir haben dieses System von ihnen befreit.« Sie straffte die Schultern und erklärte mit Nachdruck: »Wir sind sie los. Lieber sterben wir, als dass wir ihnen noch einmal die Kontrolle überlassen. Niemand besitzt uns, kein Unternehmen, kein CEO, niemand. Niemals wieder.«
»Sie sind keine Syndiks?«, warf ein weiterer Offizier ein, der keinen Hehl aus seiner Skepsis machte.
»Nein! Nie wieder! Wir sind frei, und wir lassen uns nicht noch einmal vom Syndikat versklaven.« Sie wandte sich zum Gehen, sah aber die Allianz-Offiziere noch einmal an, wobei sie wieder etwas zögerlich wirkte. »Sie … Ich möchte Ihnen danken.«
»Tut mir leid, wenn wir Ihnen nichts dazu sagen können, was mit Ihrem Bruder geschehen ist.«
»Sie haben mir gesagt, was Sie wissen, und das ist sehr viel mehr als das, was ich bislang wusste.« Sie hielt kurz inne, dann salutierte sie auf die Syndik-Weise, indem sie die rechte Faust an die linke Brust legte. Ehe die Allianz-Offiziere sich entscheiden konnten, ob sie den Salut erwidern sollten oder nicht, hatte die Pilotin sich auch schon weggedreht und ging zurück zu ihren Kameraden.