Nachdem die Verbindung zu Rione geschlossen war, sah Geary zu Desjani, die so tat, als habe sie diese Unterhaltung gar nicht bemerkt. »Haben Sie irgendwas davon mitbekommen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ihre Privatsphäre wurde aktiviert. Was wollte die Frau von Ihnen?«
»Ist es eigentlich so schwer, Victoria Riones Namen auszusprechen?«, fragte er, obwohl er das besser wissen sollte.
»Ja, das ist so schwer.«
»Okay.« Er würde in diesem Punkt niemals irgendetwas erreichen können, also ließ er Desjani stattdessen nur wissen, was Rione ihm mitgeteilt hatte. »Ich werde einem der Shuttles sagen, dass sie die beiden herbringen sollen. Dann werden wir ja sehen, was sie uns mitteilen wollen.«
»Mögen die Vorfahren uns beistehen«, murmelte Desjani und wandte sich an ihre Wachhabenden. »Ich benötige gefechtsbereite Marines als Wachen im Shuttlehangar, Konferenzraum 4D576 soll gesichert und geräumt werden, und für alle Korridore vom Hangar zum Konferenzraum gilt bis auf Weiteres ein Zugangsverbot.«
»Ja, Captain«, erwiderte Lieutenant Castries sofort.
Als Geary und Tanya wenig später den Shuttlehangar erreichten, standen die Marines in kompletter Gefechtsausrüstung bereit. Desjani lächelte zufrieden. »Hervorragend. Es geht nichts über ein paar Marines, wenn man Syndiks wirklich beeindrucken will.« Dann betrat sie als Erste den Hangar, wo das gelandete Shuttle auf sie wartete, ohne die Rampe herabgelassen zu haben. »Aufmachen«, befahl Desjani.
Die Rampe klappte herunter, und Geary stellte sich so hinter das Shuttle, dass er ins Innere sehen konnte.
Nur Sekunden später tauchten die beiden Repräsentanten von General Drakon am Kopf der Rampe auf. Geary hatte beide schon einmal gesehen, als sie bei einer der Unterhaltungen mit Drakon im Hintergrund gestanden hatten. Ein Mann, eine Frau, beide trugen Uniform. Als sie mit gemäßigten Schritten auf ihn zukamen, verspürte er eine unerklärliche Unruhe. Keiner von ihnen machte einen gefährlichen Eindruck, doch eine innere Stimme warnte Geary, diese beiden nicht zu unterschätzen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie die Marines ihre Haltung leicht veränderten, um auf alles gefasst zu sein, was die beiden womöglich versuchen würden.
Bis zu diesem Moment war Geary nicht in den Sinn gekommen, dass Drakons Repräsentanten womöglich hergekommen waren, um einen Anschlag auf ihn zu verüben. Ein unverzeihlicher Fehler seinerseits, ging es hier doch um eine unmittelbare Begegnung mit Syndiks, wie ihm erst jetzt richtig bewusst wurde. Glücklicherweise war Tanya umsichtiger gewesen und hatte die Marines hinzugeholt.
»Colonel Morgan«, stellte die Frau sich vor, als würde ihm der Name alles über sie sagen, was er wissen wollte. Es war, als hätte Geary nur gesagt: »Ich bin Black Jack.« So etwas machte er jedoch nie, von daher war seine Verwunderung über diese Frau noch etwas größer. Sie strahlte einfach auf arrogante Art Können aus. Auch war sie unbestreitbar attraktiv, jedoch auf eine Weise, die Geary ebenfalls beunruhigte, und sie bewegte sich mit der unbewussten Anmut einer Frau, die als Tänzerin ausgebildet worden war oder eine tödliche Kampfsportvariante beherrschte. Colonel Morgan ignorierte die Anwesenheit der Marines, als seien die völlig bedeutungslos. Geary überkam das unangenehme Gefühl, dass diese Frau – wäre sie hergeschickt worden, um ihn aus dem Weg zu räumen – sich durch die Präsenz der Marines von der Erledigung ihres Auftrags nicht hätte abbringen lassen.
»Colonel Malin«, sagte der Mann etwas förmlicher. Er wirkte zurückhaltender und klang so ehrerbietig, wie man es von einem Untergebenen erwarten sollte. Dennoch vermittelte auch er den Eindruck, dass es für ihn keine Aufgaben gab, die er als zu schwierig bezeichnen würde. Er strahlte nicht annähernd diese Aura der Bedrohung aus, von der Morgan umgeben war, dennoch warnten Gearys Instinkte ihn, Malin ebenfalls nicht zu unterschätzen.
Aus den offiziellen Unterredungen mit General Drakon hatte Geary sich ein umfassendes Bild von diesem Mann machen können. Natürlich hatte es keine inoffiziellen Gespräche gegeben. Geary sah in ihm einen professionellen Offizier, vielleicht vergleichbar mit einem Senioroffizier der Allianz.
Aber Drakon umgab sich mit diesen beiden Colonels als seinen engsten Adjutanten. Tat er es, weil das bei den Syndikatwelten so üblich war? Oder fühlte sich Drakon selbst behaglich, wenn er Individuen in seiner Nähe wusste, die todbringend kompetent waren?
Geary versuchte sich nicht anmerken zu lassen, welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen, und nickte den Colonels zu. Zweifellos wussten sie, wer er war, deshalb deutete er nur auf Tanya. »Captain Desjani.«
Er hätte schon blind sein müssen, um nicht die abschätzenden Blicke zu bemerken, die nach der denkbar knappen gegenseitigen Vorstellung zwischen den dreien hin und her gingen. Tanya betrachtete die beiden, als hätte sie eine Streitmacht aus feindlichen Schiffen vor sich. Sie merkte den zweien ganz offensichtlich die Bedrohung an, die von ihnen ausging.
Den Weg zum gesicherten Konferenzraum legte die Gruppe zügig und schweigend zurück.
Auch die Marines sagten nichts. Die Korridore waren wie von Tanya angeordnet geräumt und für alle Unbefugten gesperrt worden.
Im Konferenzraum wartete Geary, bis Tanya die Luke verschlossen hatte. Die Marines mussten draußen warten, obwohl das Geary gar nicht so recht war. Er setzte sich hin und nickte den beiden Colonels zu, ohne ihnen ausdrücklich einen Platz anzubieten. »Was gibt es so Wichtiges, dass Ihr General zwei Repräsentanten persönlich zu uns schickt? Was ist so vertraulich, dass es nicht auf dem mit den besten Methoden gesicherten Kanal übermittelt werden konnte?«
Anstatt auf seine Fragen zu antworten, sahen die beiden Desjani an; Malin auf eine fragende, Morgan auf eine herausfordernde Weise. »Die Angelegenheit ist ausschließlich für Sie bestimmt«, sagte Morgan dann.
»So lauten unsere Befehle«, ergänzte Malin und warf dabei Morgan einen Blick zu, der durchaus als verärgert gedeutet werden konnte. »Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis, Admiral.«
Geary lehnte sich nach hinten, um zu unterstreichen, dass er sich in seiner Autorität nicht bedroht fühlte. »Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich mir auf meinem eigenen Flaggschiff keine Vorschriften machen lasse. Captain Desjani ist die Befehlshaberin dieses Schiffs und meine vertrauenswürdigste Beraterin. Sie wird bei jeder Unterhaltung anwesend sein.«
Malins Zögern war fast nicht zu bemerken, als er zustimmend nickte. Morgan machte diesmal einen fast amüsierten Eindruck, als sie zwischen Geary und Desjani hin und her sah. »Wir sind mit … besonderen Beziehungen vertraut«, sagte sie in einem Tonfall, der Tanya dazu veranlasste, die Lippen zusammenzupressen.
Die Anspielung gefiel Geary auch nicht, aber er würde vor den beiden nicht seine Beziehung zu Tanya rechtfertigen. »Dann reden Sie weiter.«
Colonel Malin ergriff das Wort und klang wieder respektvoll und förmlich. »Präsidentin Iceni hat uns gebeten, ihre persönliche Bitte um ein Treffen mit den Tänzern weiterzuleiten.«
»Wir haben Präsidentin Iceni bereits wissen lassen«, entgegnete Geary achselzuckend, »dass die Tänzer einen direkten Kontakt mit ihr und mit jedem anderen Bewohner des Midway-Systems ablehnen. Den Grund dafür kennen wir nicht, weil die Tänzer ihn uns nicht erklärt haben. Ich werde sie noch einmal fragen, aber ich gehe nicht davon aus, dass die Antwort diesmal anders lauten wird.«
»Ihre Präsidentin«, warf Desjani ironisch ein, »wird die Tänzer vielleicht gar nicht persönlich kennenlernen wollen.«
»Wir haben die Bilder gesehen, die Sie zur Verfügung gestellt haben«, sagte Malin mit dem Anflug eines Lächelns. »Wir wissen, die Tänzer sind …«
»… abscheulich«, ergänzte Colonel Morgan.