»Also das gleiche Problem wie vor hundert Jahren«, sagte Geary.
»Und wie auch schon lange davor. Wir arbeiten ja immer noch daran, dass die Reparatur- und Immunsysteme in unserem Körper nicht durchdrehen und uns umbringen«, betonte Smythe. »Und die hatten ein paar Millionen Jahre Zeit, um sich zu entwickeln. Es ist halt nicht so einfach, ein System zu entwickeln, das diejenigen Dinge behebt, die falsch laufen, aber gleichzeitig nichts von dem beschädigt, das in Ordnung ist.«
»Was ist mit dem letzten Testschiff geschehen?«
»Ein automatischer Schlepper hat es weggebracht und sich mit ihm in den nächsten Stern gestürzt. Lebt wohl, ihr kleinen Nanos. Niemand wollte riskieren, dass andere Schiffe infiziert werden. Man könnte mühelos eine ganze Flotte verlieren, ehe man weiß, wie einem geschieht.«
»Wie lange noch, bis wir aufbrechen können?«, wechselte Geary das Thema.
»Heute … oder morgen … oder in ein paar Monaten. Admiral, meine Hilfsschiffe arbeiten so schnell sie können. Unsere Flotte hat zum Teil Schäden erlitten, die nur in einem Raumdock richtig behoben werden können. Je länger wir hier bleiben, umso günstiger ist das für den Allgemeinzustand all unserer Schiffe, aber eine hundertprozentige Reparatur wird erst möglich, wenn wir wieder zu Hause sind.« Smythe legte den Kopf schräg und sah Geary an. »Erwarten Sie, dass wir in weitere Auseinandersetzungen verwickelt werden, bevor wir zu Hause sind?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich will es nicht hoffen, aber ich kann es nicht ausschließen. Immerhin sind wir mit dem größten Gefahrenmagnet unterwegs, den man im von Menschen besiedelten Weltraum je zu sehen bekommen hat.«
»Ah, die Invincible.« Smythe wirkte unglücklich und begeistert gleichzeitig. »Sind Sie schon an Bord gewesen? Dieses Schiff stellt einen vor so viele Rätsel. Ich wünschte, wir könnten uns mit ein paar davon beschäftigen.«
»Das können wir nicht riskieren, Captain.«
»Vielleicht würde es mir gelingen, einen Teil des Schiffs vom Rest zu isolieren, dann könnten wir uns wenigstens mit den Funktionsweisen befassen«, versuchte Smythe ihn zu überreden. »Meine Leute werden auch in ihrer Freizeit daran arbeiten. Es juckt ihnen in den Fingern, sich mit der Kik-Ausrüstung zu beschäftigen.«
»Schicken Sie mir Ihren Vorschlag rüber«, lenkte Geary zögerlich ein, »dann werde ich darüber nachdenken.«
Sind Sie schon an Bord gewesen? Nein, das war er nicht. Ich hatte die Chance, ein Raumschiff zu betreten, das von einer intelligenten, nichtmenschlichen Spezies geschaffen worden ist, und ich habe mir das Superschlachtschiff nur aus der Perspektive Dutzender Marines angesehen, als sie das Schiff eroberten.
Wenn wir die Invincible erst mal nach Hause geschafft haben, dann wird man das Schiff völlig von der Außenwelt abschirmen, und es werden nur hochrangige Wissenschaftler an Bord gehen dürfen. Die Invincible wird man in irgendein entlegenes System bringen, in das es mich wahrscheinlich nie verschlagen wird.
Er rief Tanya. »Ich will mir die Invincible ansehen.«
Desjani, die im Kommandosessel der Dauntless saß, nickte gedankenverloren. »Es sind genügend Systeme installiert worden, dass Sie auf der Stelle einen virtuellen Rundgang machen können.«
»Nein, ich möchte das Schiff persönlich besuchen.«
Sie zuckte überrascht hoch, dann zählte sie stumm bis zehn, was an ihren Lippenbewegungen abzulesen war, und zitierte in einem mechanischen, gelangweilten Tonfalclass="underline" »Ich muss Sie auf die Gefahren hinweisen, die mit dem körperlichen Besuch auf einem Kriegsschiff nichtmenschlicher Herkunft verbunden sind, da sich an Bord unbekannte Gefahren befinden können; beispielsweise mögliche Pathogene, die in der Lage sind, menschliche Wirtskörper zu infizieren. Die Funktionsweise der auf dem Schiff befindlichen Geräte ist uns nicht bekannt, wir wissen nicht, ob sie sich irgendwann von selbst wieder einschalten und welche Konsequenzen das nach sich ziehen kann. Außerdem könnten Aliens die Schlacht überlebt haben und sich irgendwo versteckt halten, wo sie unseren Sensorabtastungen entgangen sind. Sie könnten aus ihrem Versteck kommen und einen Angriff unternehmen, wenn das Ziel bedeutend genug ist.«
»Ihre Bedenken habe ich hiermit zur Kenntnis genommen«, erwiderte Geary.
»Aber Sie wollen trotzdem auf das Schiff.«
»Das dürfte meine einzige Gelegenheit sein, es mir anzusehen, Tanya. Wenn wir erst zurück im Allianz-Gebiet sind, wird man die Invincible ganz sicher unter strenge Quarantäne stellen.«
Sie setzte eine übertrieben erstaunte Miene auf. »Meinen Sie nicht, dass es auch einen guten Grund dafür gibt, dieses Schiff unter Quarantäne zu stellen?«
Als er merkte, dass Desjani weiter dieser durchaus begründeten Argumentation folgen würde, spielte er seinen letzten Trumpf aus. »Tanya, an Bord dieses Schiffs befinden sich derzeit Matrosen und Marines, die von mir hingeschickt wurden. Wollen Sie etwa sagen, dass ich selbst etwas vermeiden sollte, was ich den meinem Kommando unterstellten Leuten befehle?«
Diesmal zog sie die Brauen zusammen und sah ihn finster an. »Sie drehen mir einen Strick aus den Prinzipien für gute Führungskräfte? Das ist schäbig.«
»Na ja, wenn es Ihnen lieber ist, dass ich eine schlechte Führungskr–«
»Ach, jetzt hören Sie schon auf!« Sie tippte etwas auf ihrer Konsole ein. »Sie werden ein Shuttle der Dauntless nehmen.« Es klang nicht nach einer Frage, sondern nach einer Feststellung.
»Natürlich.« Er wusste nur zu gut, dass er besser nicht noch betonen sollte, dass er sie zum Einlenken gebracht hatte. »Soll ich Ihnen ein Souvenir mitbringen?«
»Von dem Ding da?« Ihr Schaudern kam ihm nicht gespielt vor. »Nein, vielen Dank.«
Admiral Lagemann erwartete ihn an der Hauptschleuse, die in den besetzten Bereich an Bord der Invincible führte. Er salutierte zackig und grinste Geary an. Neben ihm stand ein Major der Marines, der ebenfalls salutierte. Bei ihm wirkte die Geste sehr viel glatter und präziser. »Willkommen an Bord der Invincible, Admiral Geary«, sagte Lagemann. »Das ist der Befehlshaber meiner Marines-Einheit, Major Dietz. Ich muss gestehen, das Schiff ist noch nicht ganz für eine Inspektion bereit. Es gibt da ein paar Abweichungen.«
»Abweichungen? Tatsächlich?«, fragte Geary und griff Lagemanns scherzhaften Ton auf, während er selbst versuchte, sich so zu geben wie gewisse aufgeblasene Inspektoren, mit denen er zu seiner Zeit zu tun gehabt hatte.
»Alle Schiffssysteme sind funktionsuntüchtig«, erklärte Lagemann gut gelaunt. »Die meisten Bereiche weisen erhebliche Gefechtsschäden auf, die noch nicht repariert sind. Das Schiff kann sich nicht aus eigener Kraft von der Stelle bewegen, die Energie stammt ausschließlich aus unseren mobilen Notfallgeneratoren. Die Lebenserhaltungssysteme arbeiten nur in einem kleinen Teil des Schiffs, im Rest des Schiffs kann man sich nur in Schutzanzügen oder Gefechtsrüstung aufhalten. Die Mannschaft stellt nur einen winzigen Bruchteil dessen dar, was für die Sicherheit und Bedienung eigentlich erforderlich wäre. Wie Sie selbst merken, verfügen wir nicht über Schwerkraft. Und … tja … die Verzierungen sind nicht poliert worden.«
»Für alles andere habe ich ja Verständnis«, gab Geary mit gespieltem Unmut zurück. »Aber nicht polierte Verzierungen? Wo setzen Sie Ihre Prioritäten?«
»Meine Prioritäten waren schon immer falsch verteilt«, gestand Lagemann ihm. »Ich habe mich für den Dienst auf diesem Schiff freiwillig gemeldet, obwohl ich es auf der Mistral viel bequemer gehabt hätte. Allerdings habe ich einige Jahre in einem Gefangenenlager der Syndiks zugebracht, und das war noch viel unbequemer. Hier sind wenigstens keine Syndik-Aufseher, die einen auf Schritt und Tritt beobachten.«