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»Ich hoffe, Sie haben recht. Das Flottenhauptquartier gibt sich auch sonderbar schweigsam. Wir haben bislang noch keine Tobsuchtsanfälle von dort mitbekommen. Es gab auch keine Forderungen, sofort irgendwelche Schiffe oder Personal abzugeben, um es anderweitig einzusetzen. Bislang sind nur routinemäßige Empfangsbestätigungen für die von uns verschickten Berichte eingegangen.«

»Wollen Sie dazu auch meine Meinung wissen?«

»Sie wissen, dass ich das will.«

»Ja, ich weiß.« Desjani machte eine ausholende Geste in die grobe Richtung, in der sich in vielen Lichtjahren Entfernung das Flottenhauptquartier befand. »Ich glaube, die haben Angst vor Ihnen und überlegen, was sie als Nächstes tun sollen.«

»Tanya …«

»Das ist mein Ernst. Die dachten, die wären Sie los. Einzelne Gruppen im Flottenhauptquartier haben geglaubt, dass sie Ihnen einen Auftrag gaben, bei dem Sie einfach scheitern mussten. Die haben geglaubt, dass Sie bestenfalls auf allen vieren zurückgekrochen kommen, die Flotte in Stücke geschlagen, Ihr Ruf für alle Zeit hinüber. Stattdessen kommen Sie aber mit erhobenem Haupt zurück, haben mehr geleistet, als die Mission verlangt hat, die Flotte ist größtenteils intakt, und Sie haben einen Sieg für die Menschheit eingefahren!« Desjani nickte bestätigend. »Sie haben ihnen Angst eingejagt. Die stellen sich jetzt die Frage, ob es überhaupt möglich ist, Sie zu schlagen.«

Das waren keine guten Neuigkeiten, aber zumindest ließ sich so das mysteriöse Schweigen des Flottenhauptquartiers erklären – und vielleicht auch die deutlich geschwundene Einigkeit im Großen Rat.

»Ich will hoffen, Sie irren sich. Ich möchte nämlich nicht, dass die Leute sich immer unmöglichere Dinge ausdenken, nur damit sie beweisen können, dass ich nicht unbesiegbar bin.«

Beim letzten Mal hatten sie die Orion, die Brilliant und die Invincible-vor-der-letzten-Invincible verloren, außerdem ein paar kleinere Kriegsschiffe. Er wollte nicht noch mehr Schiffe und ihre Besatzungen sterben sehen, nur weil verschiedene Leute unabhängig voneinander an einem Plan arbeiteten, wie sie ihn endlich loswerden konnten, anstatt sich zusammenzusetzen und an der Rettung der Allianz zu arbeiten.

Zwei Tage vor der Abreise musste Geary noch mal ein wenig von seiner knapp bemessenen Zeit abknapsen, um der Bitte des Seniorflottenarztes um ein Treffen nachzukommen. Er begrüßte Dr. Nasr, als der Arzt das Shuttle verließ und an Bord der Dauntless kam. Trotz ihrer zahlreichen Gespräche war es tatsächlich das erste Mal, dass sie sich leibhaftig gegenüberstanden.

Dr. Nasr wirkte müde und betrübt. Müde hatte Geary ihn oft gesehen, vor allem kurz nach einem Gefecht, wenn das medizinische Personal bis zur Erschöpfung gearbeitet hatte, um so viele Verletzte zu behandeln, wie es nur eben ging. Doch der traurige Ausdruck war ihm nicht vertraut.

»Was führt Sie auf die Dauntless?«, fragte Geary.

»Können wir unter vier Augen reden?«, entgegnete Dr. Nasr.

»Mein Quartier?«

»Es wäre mir eine Ehre, Admiral.«

Schweigend gingen sie durch die Korridore des Schiffs. Nasr trug eine Thermoskaraffe bei sich. In Gearys Quartier angekommen, wartete er, bis die Luke versiegelt war, dann nahm er den Deckel von der Karaffe, holte zwei kleine weiße Porzellantassen heraus und stellte sie auf den Tisch. Dann schenkte er eine dunkle, dampfende Flüssigkeit ein, wobei er keinen Tropfen vergoss; jede seiner Bewegungen war absolut sorgfältig und präzise.

Nasr bot eine Tasse Geary an. »Kaffee, Admiral. Eine spezielle Mischung. Werden Sie mit mir anstoßen?«

»Natürlich«, erwiderte er und nahm die schmale Tasse behutsam an sich. Sie fühlte sich warm an, aber nicht so sehr, dass man sich hätte verbrennen können. »Worauf stoßen wir an?«

»Auf unsere Anstrengungen, auf unser Scheitern, auf das ewige Streben der Menschen, immer das Richtige zu tun, auf den ewigen Streit darüber, was das Richtige ist, und auf den Tod der letzten beiden Bärkühe.«

Geary wollte schon zum Trinken ansetzen, da stutzte er. »Sie sind tot.«

»Ja. Bitte trinken Sie, Admiral.«

Er nahm einen Schluck Kaffee und schmeckte etwas Starkes, Bitteres und zugleich Sanftes auf der Zunge, dessen Weg er durch die Speiseröhre bis in den Magen mitverfolgen konnte.

»Was ist passiert?« Auch wenn er insgeheim mit dieser Nachricht gerechnet hatte und obwohl er wusste, er hätte daran nichts ändern können, verspürte er dennoch eine tiefe Traurigkeit. Jetzt verstand er auch Dr. Nasrs Laune.

»Das Shilling-Institut hat sie am Leben erhalten und dabei sehr gute Arbeit geleistet«, erklärte der Arzt. »Aber die Bärkühe wurden aus dem Institut geholt.«

»Die Regierung?«

»Nein, ein Gericht.« Nasr zuckte mit den Schultern. »Wohlmeinende Individuen, wohlmeinende Gruppen beharrten darauf, dass die Bärkühe eine Chance bekommen mussten, sich in eigener Sache zu äußern und ihre eigenen Wünsche auszudrücken, anstatt sie in einem Zustand zu belassen, den sie als einen lebendigen Tod bezeichneten. Ich kann es verstehen, ich war auch nicht glücklich darüber. Aber ich wusste, es war das Einzige, was wir tun konnten. Das Gericht tat, was es für seine Pflicht hielt. Es wurden Anwälte bestimmt, die als Vertreter der Bärkühe agierten und sich vor Gericht für sie einsetzten. Die Anwälte argumentierten sehr überzeugend, dass den Bärkühen die gleichen Rechte wie Menschen gewährt werden müssten.«

Geary ließ sich in seinen Sessel sinken und schüttelte den Kopf. »Aber sie sind keine Menschen. Das soll nicht heißen, dass sie weniger wert sind als ein Mensch, allerdings heißt es, dass man nicht den gleichen Maßstab anlegen kann. Sie denken völlig anders als wir.«

»Das war auch die Argumentation des Shilling-Instituts«, sagte Nasr und nahm Geary gegenüber Platz. »Ich wurde als Zeuge vorgeladen. Ich berichtete von meiner Erfahrung bei der Behandlung der Bärkühe. Ich legte meine medizinischen Unterlagen vor. Ich sagte ihnen: ›Wecken Sie sie auf, und sie werden sich allein durch Willenskraft das Leben nehmen. So einfach ist das.‹«

»Aber man hat Ihnen nicht geglaubt.«

Nasr verzog das Gesicht. »Es ist ein schwieriges Argument, Admiral, wenn man sagt, dass die beste Behandlung für ein denkendes Wesen darin besteht, es für alle Zeit bewusstlos zu lassen. Die Anwälte, das Gericht, die wohlmeinenden Gruppen und Individuen wollten mir nicht glauben. Sie wurden in die Obhut von vom Gericht bestellten Pflegern gegeben und in eine andere medizinische Einrichtung verlegt. Wohlmeinende Individuen scharten sich um sie, um eine neue Spezies zu begrüßen und ihr die Freundschaft der Menschheit anzubieten. Sie wurden aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt, die beiden Bärkühe erwachten und schlugen die Augen auf – und fünf Sekunden später waren sie tot.« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Eine der wohlmeinenden Personen kam aus dem Raum, sah mich und schrie mich an: ›Warum?‹ Ich antwortete: ›Weil sie das sind, was sie sind, aber nicht das, was sie Ihrer Meinung nach hätten sein sollen.‹«

»Verdammt«, flüsterte Geary.

»Es war unvermeidbar, Admiral. Sie und ich, wir haben uns was vorgemacht. Wir haben für sie das getan, was wir sonst für Menschen tun würden. Wir haben sie am Leben erhalten und nach einer Lösung gesucht. Aber es gab keine Lösung, jedenfalls keine, die wir hätten finden können. Sie wissen, dass manche Ihnen einen Vorwurf machen, weil Sie so viele Bärkühe abschlachten ließen, um das Schiff zu erobern. Ich war über diese Kämpfe ebenso nie glücklich, aber ich wusste auch, dass wir alles versucht hatten, um ein solches Gemetzel zu verhindern. Einige Kommentatoren außerhalb der Flotte geben uns dennoch die alleinige Schuld am Tod der Bärkühe und an allen Feindseligkeiten mit ihnen.«