Geary sah die anderen an, aber jeder anwesende Captain nickte bestätigend. »Sie bringen mich in eine schwierige Situation«, meinte ein frustrierter Geary. »Wenn ich Captain Badaya nicht nehme, wird das so aussehen, als hätte ich ihn übergangen. Wenn ich ihn nehme, sagen Sie mir alle, dass es bei einer Krise zu Schwierigkeiten führen könnte.«
»Es wird nicht so aussehen, als wäre er übergangen worden«, äußerte sich Armus sehr bedächtig, »wenn bekannt ist, dass Sie Captain Badaya vorgesehen hatten, er das aber abgelehnt hat. Halten Sie morgen wie geplant eine Flottenbesprechung ab, sagen Sie, Badaya soll vorübergehend Ihr Stellvertreter werden, und dann erlauben Sie ihm, diese Ehre abzulehnen.«
Etwas verärgert, aber von den Argumenten durchaus überzeugt, nickte Geary. »Also gut. Sobald Captain Badaya abgelehnt hat, werde ich Captain Tulev …«
»Nein, Sir«, unterbrach Tulev ihn. »Ich muss auch ablehnen.«
Gearys Verärgerung begann sich zu steigern. Warum musste aus etwas so Einfachem etwas so Schwieriges werden? »Wieso?«, fragte er knapp.
»Weil ich ein Mann ohne Heimatwelt bin«, erklärte Tulev, ohne sich etwas von den Gefühlen anmerken zu lassen, die seine Worte bei ihm selbst auslösen mussten. »Während des Krieges haben die Syndiks meinen Planeten zerstört, wie Sie wissen. Teile der Flotte sehen mich nur noch als der Allianz zugehörig, ohne dass die Loyalität zu meiner Heimat ein Gegengewicht bilden könnte.«
Geary unterdrückte seinen Zorn. Wenn Tulev so ruhig und gelassen über etwas reden konnte, das für ihn persönlich sehr schmerzhaft sein musste, dann sollte er, Geary, in der Lage sein, sich nicht über Banalitäten zu ärgern. »Soll ich mir noch die Mühe machen, einen dritten Namen zu nennen, oder haben Sie alle beschlossen, mir die gleiche Antwort zu geben?«
»Das hier ist keine Meuterei«, stellte Duellos klar. »Sie haben entschieden, sich mit uns zu treffen, anstatt einfach Ihre Entscheidung der Flotte bekanntzugeben, weil Sie unserem Urteil vertrauen, und weil Sie von uns dieses Urteil bekommen. Sie wollten wissen, was wir dazu sagen, wenn Sie Captain Badaya zum stellvertretenden Befehlshaber der Flotte machen, nicht wahr?«
Nach kurzem Zögern nickte Geary. »Vermutlich ja. Wie lautet denn Ihr Ratschlag?«
»Es wäre hilfreich«, sagte Captain Tulev, »wenn der Flottenbefehlshaber weiterhin auf den Namen Geary hört.«
Zu Gearys Überraschung nickten die anderen, während Jane Geary unbehaglich dreinschaute. »Sie steht vom Dienstalter über keinem von ihnen«, wandte er ein.
»Sie hat den Namen«, sagte Badaya. »Und eine beeindruckende Dienstakte. Und wir alle werden sie unterstützen. Das alles zusammen wird genügen, damit der Flotte bis zu Ihrer Rückkehr nichts passiert.«
Duellos betrachtete sehr aufmerksam seine Hand, während er mit gezielter Beiläufigkeit anmerkte: »Tanya ist auch der Meinung.«
Es wäre schön gewesen, wenn sie mir vorher etwas davon gesagt hätte.
»Diese Flotte sollte nicht auf der Grundlage irgendeiner familiären Hierarchie befehligt werden«, protestierte Geary.
»Damit hat das nichts zu tun«, betonte Duellos. »Jane hat sich das Recht auf diesen Posten verdient, und weil sie lange Zeit kein Teil dieser Flotte war, ist sie nicht vorbelastet, was frühere politische Streitigkeiten angeht. Aber der Name ist nicht nur für die Flotte von Bedeutung. Wenn jemand in der Regierung oder beim Flottenhauptquartier irgendwelche Überraschungen plant, nachdem sie und Tanya mit der Dauntless aufgebrochen sind, würde er sich seinen Plan nicht noch einmal überlegen, wenn er einen Captain Badaya, Tulev, Armus oder Duellos vor sich hätte. Aber bei einem Flottenbefehlshaber mit dem Namen Geary? Da wird das politische Risiko schon viel größer, weil ein Nachfahre von Black Jack bei der Bevölkerung einen Ruf genießt, mit dem außer Black Jack selbst es niemand aufnehmen kann.«
Jane Geary nickte, auch wenn sie nicht sehr glücklich dreinschaute. »Ich bin mein Leben lang vor dem Namen davongelaufen, weil ich wusste, welche Macht er besitzt. Das hier war nicht mein Vorschlag, und ich habe mich auch nur sehr widerwillig damit einverstanden erklärt. Aber ich muss auch sagen, dass die Argumente wirklich gewichtig sind.«
»Ich verstehe.« Und es gefällt mir nicht. Es verleiht mir und Jane zu viel Macht. Aber genau darum geht es ja. Es ist die Art von Macht, die jeden zurückschrecken lassen dürfte, der irgendwelche Dummheiten plant. »Also gut, morgen früh werde ich eine Zusammenkunft abhalten. Dabei wird Captain Badaya die Rolle des stellvertretenden Flottenbefehlshabers ablehnen und …«
»… und ich werde Captain Geary vorschlagen«, ergänzte Armus. »Ich gehöre keiner Gruppierung an, und jeder weiß, mir geht es nur darum, dass die Arbeit erledigt wird. Der Vorschlag klingt aus meinem Mund völlig unverdächtig.«
Die anderen nickten zustimmend, und am nächsten Morgen wurde der Beschluss exakt so in die Tat umgesetzt.
Als sich die Dauntless nun dem Hypernet-Portal näherte, kamen die sechs Tänzer-Schiffe von schräg unten herangeschossen und gingen in einem Ring um den Allianz-Schlachtkreuzer in Position. Die Senatoren Sakai, Suva und Costa kamen auf die Brücke, um dem Ereignis beizuwohnen. Der Captain begrüßte sie respektvoll, aber distanziert und formell, dann wandte sie sich wieder ihren Aufgaben zu.
Geary nickte ihr zu. »Geben Sie das Ziel ein, Captain Desjani.«
Ein seltsames Gefühl, so als würde das Schicksal über ihnen schweben, suchte Geary heim, während Tanya die simplen Kontrollen des Hypernet-Schlüssels bediente.
Sie lächelte ihn flüchtig an und warf ihm einen Seitenblick zu, als auf dem Hypernet-Display das Wort Sol auftauchte. »Ich hätte nie erwartet, einmal dieses Ziel einzugeben«, flüsterte sie und fuhr dann lauter fort: »Bitte um Erlaubnis, ins Hypernet überzuwechseln. Ziel ist das Sol-Sternensystem.«
Erneut nickte Geary. »Erlaubnis erteilt.«
Sie gab den Befehl ein, dann verschwanden die Sterne.
Diesmal waren sie nicht im Sprungraum unterwegs, sondern sie befanden sich buchstäblich nirgendwo.
Da war nichts außerhalb der Blase, in der die Dauntless und die sechs Tänzer-Schiffe existierten. Sie bewegten sich nicht von der Stelle, und doch würden sie nach einem gewissen Zeitraum einfach an ihrem Ziel wieder auftauchen. Dann würden sie von Varandal bis nach Sol gereist sein, ohne die Strecke (zumindest was die Physik anging) tatsächlich zurückgelegt zu haben. Es ergab keinen Sinn, aber wenn man erst einmal den schmalen Streifen der Realität verließ, auf dem sich die Menschheit für gewöhnlich bewegte, ergab vieles mit einem Mal keinen Sinn mehr.
Und da so wenig einen Sinn ergab, passte es nur, dass diese Reise weniger Zeit in Anspruch nehmen würde als eine kürzere Strecke im Hypernet. »Sechzehn Tage«, verkündete Desjani.
»Nur ein Sprung in ein entmilitarisiertes Sternensystem und dann wieder zurück«, sagte Geary. »Dieses eine Mal müssen wir uns wenigstens keine Gedanken darüber machen, dass irgendetwas schiefgehen könn–« Er brach ab, als er Desjanis wütenden Blick bemerkte, der ihm galt. »Was ist denn?«
»Wollten Sie das gerade wirklich sagen?«, fuhr sie ihn an.
»Tanya, was soll denn bitte …«
»Hören Sie auf! Ich will es nicht herausfinden, und Sie auch nicht!«
Fünfzehn
Unter bestimmten Umständen konnten einem sechzehn Tage wie eine sehr lange Zeit vorkommen.
Die Vorschriften und Prozeduren für das Aufsuchen des Sol-Sternensystems mussten erst aus den Archiven hervorgeholt werden, damit alle Offiziere sich damit beschäftigen konnten. Als Geary die Dokumente in seinem Quartier las, fielen ihm zwei Dinge auf. Das eine war das Gefühl, in verstaubten Büchern zu blättern, obwohl digitale Dateien natürlich keinen Staub ansetzen konnten. Das andere war der Eindruck, das alles schon einmal gelesen zu haben.