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Wann war das nur? Da muss ich noch ein Ensign gewesen sein. Irgendwann habe ich damals diese Texte aufgerufen und sie gelesen, und dabei habe ich davon geträumt, dass mein Schiff auserwählt sein würde, den alle zehn Jahre stattfindenden Besuch der Alten Erde absolvieren zu dürfen. Das alles kommt mir vor, als wäre es vor einer Ewigkeit geschehen. Wie viele Ensigns sind seitdem zur Flotte gekommen? Und wie viele von ihnen sind in dem hundert Jahre währenden Krieg gefallen? Ich bin mir sicher, dass keiner von ihnen davon geträumt hat, die Alte Erde zu besuchen. Sie haben alle nur darauf gehofft, zu überleben und vielleicht einer von jenen Helden zu sein, von denen junge Männer und Frauen träumen, bis sie schließlich alt genug sind, um zu erkennen, dass der wahre Ruhm niemals denen zuteilwird, die danach streben. Sie haben davon geträumt, wie Black Jack zu sein, aber das war nicht meine Schuld. Die Regierung und die Flotte brauchten einen Helden, und vermutlich war ich plausibel genug, zu einem solchen Helden zurechtgezimmert zu werden, auch wenn ich nichts mit der Legende zu tun habe, die von ihnen geschaffen wurde. Aber die jungen Menschen sind gestorben, weil sie so sein wollten wie ich.

Ich weiß nicht, was Black Jack tun könnte, um der Allianz aus ihrem Schlamassel zu helfen. Ich weiß nicht, was ich tun kann. Aber ich muss irgendetwas versuchen, weil diese Menschen an den Mann geglaubt haben, für den sie mich hielten. Dieser Flug wird keine Lösung bringen, aber ich muss mir was einfallen lassen, wenn wir wieder zurück sind. Vielleicht entdecke ich ja bei Sol etwas, das mich auf eine Idee bringt.

In Verbindung mit den Prozeduren für das Vordringen ins Sol-System gab es einen Hinweis auf ein anderes Dokument, das ebenfalls Gearys Erinnerung anregte. Er las es, wobei sein Lächeln breiter wurde. Noch eine Sache, die in Vergessenheit geraten war.

Die Türglocke zu seinem Quartier wurde betätigt, aber weder Tanya noch Rione noch irgendjemand sonst, mit dessen Besuch Geary hätte rechnen können, kam herein, sondern Senator Sakai. Über eine Minute lang saß er auf dem ihm angebotenen Platz und betrachtete Geary nur wortlos, wobei er seinen üblichen rätselhaften Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. Schließlich sprach Sakai mit einer leisen Stimme, die nichtsdestotrotz alle Aufmerksamkeit auf sich zog: »Admiral, Sie sind ein seltenes Exemplar. Ein Anachronismus.«

»Das müssen Sie mir nicht erst noch sagen«, erwiderte Geary und fragte sich, worauf Sakai hinauswollte.

»Jemand aus einer hundert Jahre entfernten Vergangenheit, und das hat Ihnen bei dem Kommando über die Flotte sehr geholfen«, redete Sakai weiter, als habe er Gearys Erwiderung gar nicht gehört. »Es war auch für die Allianz von Nutzen, jedenfalls bislang. Aber das hier ist nicht die Vergangenheit. Wir sind nicht die Menschen, die Sie gekannt haben. Dies hier ist nicht die Allianz, in der sie damals gelebt haben.« Sakai klang weder erfreut noch betrübt über das, was er sagte. Es wirkte vielmehr so, als rede er über etwas, das durch Raum und Zeit weit von hier entfernt war und nichts mit ihm zu tun hatte. »Admiral, was glauben Sie, wem meine Loyalität gilt?«

»Ich glaube, Senator«, antwortete Geary sehr bedächtig, »dass Sie der Allianz gegenüber loyal sind.«

»Interessant. Glauben Sie, das macht mich eher zu einem ungewöhnlichen oder zu einem der typischen Politiker, wie sie in der jetzigen Zeit die Allianz führen?«

Das war eine heikle Frage, mit deren Beantwortung er sich in große Schwierigkeiten hätte bringen können, wäre da nicht seine umfangreiche Erfahrung mit Rione gewesen. »Ich glaube, dass die meisten, wenn nicht sogar alle Politiker, die derzeit die Regierung bilden, glauben, dass sie der Allianz gegenüber loyal sind.«

»Eine interessante Wortwahl, Admiral.«

»Sind Sie nicht meiner Meinung?«, fragte Geary.

»Ihre Antwort war unvollständig«, sagte Sakai. Der Senator zog die Brauen leicht zusammen und blickte auf einen weit entfernten Punkt. »Nicht alle von uns, die loyal sind und die glauben, dass sie loyal sind, glauben noch an die Allianz. Manche von uns betrachten die Allianz und fragen nicht, ob die Allianz aufhören wird zu existieren, sondern wann der Moment kommen wird.« Er musterte Geary sehr eindringlich. »Und wir fragen uns ebenso, ob Sie, mit ihren antiquierten Idealen aus einer längst vergessenen Zeit, dafür sorgen, dass das, was hier im Zerfall begriffen ist, noch ein wenig länger eine Einheit bleibt, oder ob Ihre Anwesenheit und Ihre Ideale den Zusammenbruch der Allianz noch beschleunigen werden.«

Geary ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Ich würde nichts tun, was der Allianz schaden könnte. Ich habe alle denkbaren Anstrengungen unternommen, um die Allianz zu beschützen und zu erhalten.«

»Admiral, Sie glauben, Sie werden nichts tun, was der Allianz schaden könnte. Sie glauben, all Ihr Handeln hat nur dem Wohl der Allianz gedient.« Sakai schüttelte den Kopf. »Vielleicht bin ich einfach zu abgestumpft oder zu verbittert davon, mitansehen zu müssen, wie Zerstörung zu einer Tugend wurde. Vielleicht sind Sie ja der Held, den die Allianz braucht, aber daran glaube ich nicht.«

»Warum sagen Sie mir das?«

»Womöglich weil Sie einer von den wenigen Verbliebenen sind, die nicht versuchen, mir aus meinen eigenen Worten einen Strick zu drehen. Vielleicht auch aus dem Grund, dass die Wahrheit in der letzten Zeit so selten ausgesprochen wird, dass ich wenigstens ein letztes Mal spüren wollte, wie diese Worte über meine Lippen kommen.« Diesmal verzog Sakai den Mund zum Ansatz eines Lächelns. »Ich bin Politiker, Admiral. Wissen Sie, was man mit Politikern macht, die die Wahrheit sagen? Man wählt sie ab. Wir müssen unsere Wähler belügen, denn sagen wir ihnen die Wahrheit, werden wir dafür bestraft. So wie diese Hunde, die in der Antike für ein Experiment trainiert wurden, lernen wir ebenfalls, genau das zu tun, was uns eine Belohnung einbringt. Irgendwie stolpert das System weiter voran, die Allianz überlebt, aber der Druck nimmt immer dann ein wenig mehr zu, wenn ihre Anführer und die Bevölkerung sich einmal mehr weigern, eine unangenehme Wahrheit zu akzeptieren.«

Dann schwieg Sakai wieder sekundenlang, während er in Gedanken versunken vor sich schaute. »Wir Politiker lügen aus den besten Gründen und mit den besten Absichten«, fügte er schließlich mit monoton klingender Stimme hinzu. »Zum Wohl der Allianz, zum Wohl unseres Volkes. Nur indem wir lügen, dienen wir diesem Volk. Glauben Sie mir das?«

»Ja«, antwortete Geary, was bei Sakai dazu führte, dass ein Funke Erstaunen in dessen Augen aufleuchtete. »Ist das nicht genau das Problem an der Sache? So gut wie jeder glaubt, dass er das Richtige tut. Oder zumindest hat sich so gut wie jeder eingeredet, dass er das Richtige unternimmt, während alle anderen sich irren müssen und nur ihrer eigenen Sache dienen wollen.«

Abermals schaute Sakai ihm in die Augen. »Ich merke, Sie haben mit Victoria Rione gesprochen. Ist Ihnen bewusst, welche Anstrengungen wir unternommen haben, um dafür zu sorgen, dass sie Sie auf Ihrem Flaggschiff während Ihrer Mission ins Enigma-Gebiet wieder begleiten konnte?«

»Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon.«

»Ich bin einer von diesen Politikern, die das Anliegen unterstützt haben.« Ein flüchtiges Lächeln umspielte Sakais Mundwinkel. »Wenn auch vielleicht nicht aus den gleichen Gründen wie andere.«

Was sollte dieses Eingeständnis bedeuten? »Werden Sie mir Ihre Gründe nennen?«

»Zum Teil ja. Die Gesandte Rione … nein, verzeihen Sie, die Delegatin Rione ist … nun, sagen wir … nicht die Art von Waffe, die einfach stur der Richtung folgt, die andere ihr vorgeben. Sie ist das, was man beim Militär als eine intelligente Waffe bezeichnen würde, eine Waffe, die eigenständig denkt. Eine solche Waffe muss sich nicht zwangsläufig so verhalten, wie diejenigen geplant haben, die sie auf die Menschheit loslassen.« Sakai schüttelte den Kopf. »Die Delegatin Rione glaubt auch an die Allianz. Sie ist bereit, alles zu tun, womit sich unsere Vorfahren niemals einverstanden erklärt hätten, nur um die Allianz zu erhalten.«