»Aber was haben Sie von ihr erwartet, was sie tun sollte?«, hakte Geary nach.
»Admiral.« Wieder legte Sakai eine Pause ein, dann warf er Geary einen weiteren forschenden Blick zu. »Die Legende, die sich um Black Jack herum gebildet hat, besagt, er würde zurückkehren, um die Allianz zu retten. Alle waren davon ausgegangen, dass das heißt, Black Jack besiegt die Syndiks. Aber die Rettung der Allianz besteht nicht ausschließlich darin, den Krieg zu beenden. Das ist uns allen inzwischen auf schmerzhafte Weise deutlich geworden. Und nun stellen sich mehr und mehr Menschen in der Allianz die Frage, ob Black Jacks wahre Mission statt eines militärischen Sieges über einen Feind von außen nicht darin besteht, die Allianz dadurch zu retten, dass er sie vor den inneren Kräften bewahrt, die sie zu zerreißen drohen.«
Geary musste sich das instinktive, umgehende Nein verkneifen. Stattdessen schüttelte er den Kopf und antwortete wieder sehr bedächtig. »Ich wüsste gar nicht, wie ich das anstellen sollte. An die Legende habe ich nie geglaubt. Ich glaube nicht, dass das meine Bestimmung oder mein Schicksal ist oder wie immer man das nennen will. Ich versuche nur, meine Arbeit zu erledigen, so gut ich das kann.«
»Ist es wichtig, was Sie glauben?«, fragte Sakai leise. »Der Glaube ist eine gewaltige Macht, Admiral, die zum Guten genauso wirken kann wie zum Schlechten. Glaube kann das zerstören, was unerschütterlich erscheint. Und er kann Dinge bewirken, von denen uns das Wissen sagt, dass sie unmöglich sind. Ich kann die Allianz nicht retten, Admiral. Wenn ich glaubte, dass ich das kann, wäre ich einer jener Narren, die von sich denken, dass sie als Einzige die Weisheit besitzen und dass sie als Einzige wissen, was das Richtige ist. Aber wenn die Menschen Sie sehen, Admiral, dann nehmen sie keinen fehlbaren Menschen wahr, sondern sie sehen Black Jack. Leugnen Sie es nicht. Ich habe Ihre Flotte auf dem letzten Feldzug gegen die Syndiks begleitet. Ich konnte Sie in Aktion erleben, und ich konnte beobachten, wie sich andere Ihnen gegenüber verhielten. Selbst die, von denen Sie gehasst werden und die Ihnen wünschen, dass Sie scheitern, sehen in Ihnen Black Jack. Black Jack kann all die Dinge tun, von denen die, die an ihn glauben, überzeugt sind, dass er sie tun kann. Vielleicht sogar Dinge, die ich persönlich für unmöglich halte.«
»Dieser Glaube an mich könnte aber auch genau das sein, was der Allianz das Genick brechen wird«, wandte Geary ein und machte keinen Hehl aus seiner Verbitterung.
»Ja.« Sakai neigte leicht den Kopf in Gearys Richtung. »Ein interessantes Dilemma.«
»Können Sie mir sagen, ob Sie mir helfen werden, die Allianz zusammenzuhalten?«, wollte Geary wissen. »Nicht als ein mythischer Black Jack, sondern indem ich einfach nur das tue, was ich kann. Werden Sie mir dabei helfen?«
»Warum fragen Sie mich das?«, gab Sakai zurück und lächelte jetzt etwas direkter. »Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich lüge, weil das mein Beruf ist und weil die Leute das von mir erwarten. Sie könnten mir nie glauben, ganz gleich welche Antwort ich Ihnen auch geben werde.«
Er lehnte sich zurück und musterte Sakai. Aus irgendeinem Winkel seines Verstands bildete sich in seinem Kopf auf einmal eine Erwiderung, die er gleich darauf aussprach: »Man kann eine Lüge vermeiden, indem man es vermeidet, eine echte Antwort auf eine Frage zu geben, nicht wahr? Präsentieren Sie dem Frager eine vage Erwiderung, und er wird in diese Antwort die Bedeutung hineininterpretieren, die er dort haben will.«
Sakai wurde wieder ernst und sah Geary fasziniert an. »Sie haben sogar sehr viel Zeit mit der Delegatin Rione verbracht. Ich hätte ahnen müssen, dass Sie sich viel von ihr aneignen würden. Deshalb werde ich Ihnen jetzt endlich die Frage beantworten, die Sie mir vorhin gestellt hatten, nämlich was ich mir von dem versprochen habe, was Delegatin Rione auf Ihrem Flaggschiff tun würde. Ich war der Ansicht, dass die Delegatin Rione auf kreative Weise jeglichen Plan vereiteln würde, der gegen Sie gerichtet sein könnte. Darum habe ich mich dafür eingesetzt, dass sie auf Ihr Schiff kommt. Im Gegenzug erlangte ich dadurch Zugang zu einigen anderen … Beratungen, von denen ich ansonsten ausgeschlossen geblieben wäre.«
»Senator, das klingt ja verdächtig danach, dass Sie versucht haben, mir zu helfen«, meinte Geary.
»Nicht Ihnen, sondern der Allianz. Denn ganz gleich, was Sie tun, wie verkehrt oder richtig Ihre Entscheidungen auch sein mögen, die Sie entsprechend Ihren Vorkriegsansichten in Sachen Richtig und Falsch treffen – Sie sind eindeutig kein Narr. Ganz im Gegensatz zu ein paar von denjenigen, die auf andere Weise die Allianz retten wollen.« Sakai hielt seinen Zeigefinger hoch, damit Geary ihn nicht unterbrach. »Admiral, Ihnen ist gesagt worden, dass der Bau neuer Kriegsschiffe gestoppt wurde. In Wahrheit wird aber in diesem Augenblick eine neue Flotte gebaut, deren Kampfkraft es mit Ihrer aufnehmen kann. Ich betone das, weil Letzteres zu einem erheblichen Teil ihren Einsatzzweck darstellt.«
Geary gab sich Mühe, Erstaunen und gleich darauffolgende Empörung vorzutäuschen. »Warum sollte die Regierung mich so in die Irre führen?« Er konnte sich einige Gründe vorstellen, aber er wollte wissen, was Sakai antworten würde.
»Nicht die Regierung führt Sie in die Irre, sondern einige einflussreiche Individuen innerhalb der Regierung tun das. Andere stellen einfach nicht die Fragen, deren Beantwortung zu schwierig sein würde. Wieder andere reden sich ein, dass sich mit zerstörerischen Mitteln kreative Ergebnisse erreichen lassen. Folgendes müssen Sie wissen: Es ist entschieden worden, das Kommando über diese Flotte einem Offizier zu übertragen, der – abhängig davon, wen Sie fragen – entweder die Allianz beschützen wird oder der aktiv der Bedrohung durch einen gewissen Helden entgegenwirken wird, dem die existierende Flotte treu ergeben ist, oder der ein passives Gegengewicht zu der Bedrohung für die Allianz sein wird, die von Ihnen ausgeht.« Abermals ließ Sakai eine kurze Pause folgen. »Die Gründe laufen alle auf ein und dieselbe Strategie hinaus: Eine Mehrheit des Großen Rats ist davon überzeugt, dass man Feuer mit Feuer bekämpfen muss. Fürchtet man sich vor einem hochrangigen Offizier, der die Flotte hinter sich vereint hat, besteht die Lösung darin, ein Gegenstück dazu zu schaffen.«
»Das ist doch verrückt. Wollen die einen Bürgerkrieg heraufbeschwören?«
»Sie glauben, dass sie so die Allianz retten. Die Rettung der Allianz besteht für sie darin, dass sie die Mittel schaffen, mit denen sie zerstört werden kann, und dass sie diese Mittel einem Mann an die Hand geben, dessen Begehren sie zerstören wird. Sie finden, das ist verrückt? Dann haben Sie völlig recht. Diese Leute sehen nun einmal nur das, was sie sehen wollen.«
Geary stand auf und ging langsam vor Sakai auf und ab, da er einfach nicht länger stillsitzen konnte. »Wenn die Regierung auf Maßnahmen besteht, die wahrscheinlich die Allianz zerstören werden, was zum Teufel soll ich dann machen, um sie zu retten?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht gar nichts. Vielleicht würden Ihre besten Absichten den erwähnten Bürgerkrieg gerade erst heraufbeschwören.«
»Warum kommen Sie mir dann überhaupt so weit entgegen, dass Sie mir sagen, warum die Regierung was macht?«, wollte Geary aufgebracht wissen.
Sakai seufzte leise. »Der Glaube der anderen an Ihre Fähigkeiten, Admiral, ist Ihre mächtigste Waffe. Er könnte Sie in die Lage versetzen, eine Allianz zu retten, die ich bereits für den Untergang geweiht halte. Könnte – das muss ich betonen. Es ist nur eine kleine Hoffnung, aber sie ist immer noch besser, als sich der Verzweiflung zu ergeben und zuzusehen, wie andere ach so schlaue und ach so gewiefte Leute den Verlust von allem herbeiführen, was uns wichtig ist.«