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Er liebte sich sehr. Die ganze übrige Welt übrigens nicht weniger. Aber sich selbst in erster Linie.

»Helfen wir ihnen«, stimmte ich zu. Ich holte weit aus und warf durch das Zwielicht das Zeichen der Dreifachschneide. Einige Kloben zerfielen zu akkuraten Scheiten. Ignat, der das Beil gerade zum nächsten Schlag hob, verlor das Gleichgewicht und wäre beinah gefallen. Er riss den Kopf herum.

Natürlich hatte mein Schlag eine Spur im Raum hinterlassen. Das Zwielicht klirrte, sog die Energie gierig auf.

»Was soll denn das, Antoscha?«, fragte Ignat leicht gekränkt.»Warum hast du das gemacht? Das ist nicht sportlich!«

»Dafür aber effektiv«, entgegnete ich und verließ die Terrasse.»Gibt es noch mehr zu hacken?«

»Du hast Ideen.«Ignat bückte sich und sammelte die Scheite auf.»Es kommt noch so weit, dass wir das Schaschlik mit Feuerkugeln grillen.«

Ich fühlte mich nicht schuldig, half ihm aber trotzdem. Das Brennholz war sauber gehackt, die Stücke blitzten saftig bernsteingelb. Schade eigentlich - solche Schönheit zu verfeuern.

Nach einer Weile sah ich zum Haus hinüber und bemerkte in einem Fenster im ersten Stock Olga.

Mit sehr ernster Miene beobachtete sie meine Eskapaden. Mit allzu ernster Miene.

Ich winkte ihr zu.

Fünf

Tigerjunges besaß ein prima Motorrad, falls man dieses Allerweltswort überhaupt auf eine Harley anwenden kann. Selbst wenn es das einfachste Modell ist - es gibt eben Harley Davidsons, und es gibt andere Motorräder.

Wozu Tigerjunges das Ding brauchte, wusste ich nicht, konnte sie doch höchstens ein- oder zweimal pro Jahr damit fahren. Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie die riesige Villa, wo die Zauberin bloß die Wochenenden verbrachte. Immerhin erreichten wir die Stadt dadurch noch vor zwei Uhr mittags.

Semjon ging virtuos mit dem schweren Zweirad um. Ich hätte das niemals gekonnt, selbst wenn ich die in meinem Gedächtnis gespeicherten»extremen Fähigkeiten«aktiviert und die Realitätslinien überprüft hätte. Zwar könnte ich fast genauso schnell fahren, indem ich eine ordentliche Portion meines Kraftvorrats verbrauchte. Aber Semjon fuhr einfach - menschlichen Fahrern gegenüber allein aufgrund seiner weit größeren Erfahrung im Vorteil.

Selbst bei einer Geschwindigkeit von hundert Stundenkilometern blieb die Luft heiß. Der Wind peitschte uns wie ein raues sengendes Handtuch gegen die Wangen. Als ob wir durch ein Ofenrohr rasten - einen endlosen Asphaltschlauch voller sich ächzend dahin-schleppender, bereits in der Sonne gegrillter Autos entlang.

Dreimal hatte ich den Eindruck, dass wir in irgendeinen Wagen knallten oder in einen plötzlich voller Diensteifer auftauchenden Kilometerstein. Natürlich würden wir kaum tödlich verunglücken, die andern würden etwas spüren, kommen, unsere Einzelteile einsammeln - aber angenehm wäre das nicht.

Wir gelangten ohne Zwischenfälle an unser Ziel. Nach der Ringautobahn setzte Semjon fünfmal Magie ein, allerdings nur, um den Blick der Verkehrspolizisten in eine andere Richtung zu lenken.

Nach meiner Adresse fragte Semjon nicht, obwohl er noch nie bei mir gewesen war. Er hielt am Hauseingang an und stellte den Motor aus. Die Jugendlichen, die auf dem Kinderspielplatz billiges Bier in sich hineinkippten, verstummten augenblicklich und starrten auf das Motorrad. Wie schön, wenn man im Leben noch solch einfache und klare Träume hat: Bier, Ecstasy in der Disco, eine tolle Freundin und eine Harley unterm Hintern.

»Hast du es schon lange vorausgesehen?«, fragte Semjon.

Ich erschauerte. Eigentlich hatte ich mich nicht darüber ausgelassen, dass ich das überhaupt konnte.»Seit einiger Zeit.«

Semjon nickte. Sah nach oben, zu meinen Fenstern hin. Was ihn auf diese Frage gebracht hatte, sagte er nicht.»Soll ich mit raufkommen?«

»Hör mal, ich bin kein Mädchen, dass du mich bis vor die Tür bringen musst.«

»Verwechsel mich nicht mit Ignat«, lachte der Magier.»Gut, Spaß beiseite. Sei vorsichtig.«

»Wobei?«

»Bei allem, nehme ich an.«

Der Motor der Harley heulte auf. Der Magier schüt-

telte den Kopf.»Irgendwas ist im Gange, Anton. Zieht herauf. Sei vorsichtig.«

Er schoss los, unter Beifallsrufen der Jugend, fädelte sich geschickt in den schmalen Spalt zwischen einem geparkten Wolga und einem gemächlich dahintuckernden Shiguli ein. Kopfschüttelnd schaute ich ihm nach. Auch ohne jede Sehergabe wusste ich, dass Semjon den ganzen Tag durch Moskau brettern und sich dann irgendwelchen Rockern anschließen würde, die ihn binnen einer Viertelstunde als einen der ihren akzeptieren würden, und dabei entstünden allerlei Legenden über den verrückten alten Motorradfahrer.

Sei vorsichtig…

Wobei?

Und vor allem, wozu?

Ich ging zur Haustür, hämmerte automatisch den Code ins Schloss ein und rief den Fahrstuhl. Am Morgen hatte ich noch die Datsche genossen, meine Freunde, alles war in Butter gewesen.

Nichts hatte sich geändert, nur dass ich nicht mehr dort war.

Es heißt, wenn ein Lichter Magier durchdreht, gehen dem immer»Blitze«voraus, wie bei einem Kranken vor einem epileptischen Anfall. Eine sinnlose Anwendung der Kraft, zum Beispiel Fliegen mit Feuerkugeln zu beschießen oder Feuerholz mit Kampfzaubern zu zerhacken. Ein Streit mit der Liebsten. Unerwartete Entfremdung von den einen Freunden und eine ebenso überraschende Annäherung an die anderen. All das ist bekannt, und wir alle wissen, womit ein solcher Ausbruch der Lichten endet.

Sei vorsichtig…

Ich ging zur Wohnungstür und langte nach den Schlüsseln.

Nur dass die Tür offen stand.

Meine Eltern hatten Schlüssel. Aber sie wären nie aus Saratow angereist, ohne mir vorher Bescheid zu geben. Außerdem hätte ich ihre Nähe gespürt.

Ein einfacher menschlicher Bandit könnte nie in meine Wohnung einbrechen, ihn würde das simple Zeichen an der Schwelle aufhalten. Für Andere gibt es ebenfalls einige Hindernisse. Deren Überwindung natürlich nur eine Frage der Kraft ist. Trotzdem hätten die Alarmanlagen funktionieren müssen!

Ich blieb an der Tür stehen, linste durch den schmalen Spalt zwischen der Tür und dem Pfosten, durch jenen Spalt, der nicht hätte da sein dürfen. Spähte durchs Zwielicht - sah aber nichts.

Waffen hatte ich keine bei mir. Meine Pistole lag in der Wohnung. Ein Dutzend Kampfamulette ebenfalls.

Ich könnte jetzt ganz nach Anweisung vorgehen. Ein Wächter der Nacht, der das Eindringen eines Fremden in einer magisch geschützten Wohnung feststellt, ist verpflichtet, den Dienst habenden Fahnder und seinen Betreuer zu informieren, worauf…

Allein bei der Vorstellung, jetzt Geser anzurufen, zwei Stunden nachdem er mal eben die gesamte Tagwache aufgemischt hatte, verflüchtigte sich jeder Wunsch, die Anweisungen zu befolgen. Ich krümmte die Finger, um den schnellen Gefrierzauber einzuleiten. Vielleicht erinnerte ich mich noch an die wirkungsvolle Geste von Semjon.

Sei vorsichtig?

Ich stieß die Tür auf und trat in meine Wohnung, die

augenblicklich zu einer fremden geworden war.

Noch beim Hineingehen wurde mir klar, wessen Kräfte ausreichen, wer die Macht sowie schlicht und ergreifend die Chuzpe haben würde, uneingeladen bei mir einzudringen.

»Guten Tag, Chef!«, sagte ich und schaute ins Arbeitszimmer.

In einem Punkte immerhin lag ich richtig.

Sebulon saß in einem Sessel am Fenster und zog verwundert die Augenbrauen hoch. Er legte die Zeitung Argumente und Fakten beiseite, die er gerade gelesen hatte. Nahm mit einer akkuraten Geste die Brille mit dem schmalen Goldrahmen ab. Und erst dann bequemte er sich zu einer Antwort.