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»Nein.«

Ich stand auf, ließ das unberührte Bier mit der bereits eingesunkenen Schaumkrone stehen. Alischer sah den Chef fragend an, als sei er bereit, mich aufzuhalten.

»Du hast das Recht, alles zu tun, was du möchtest«, sagte der Chef.»Das Licht ist in dir, aber hinter dir lauert das Zwielicht. Du weißt, was ein unsicherer Schritt bedeutet. Und du weißt, dass ich bereit bin und die Pflicht habe, dir zu Hilfe zu kommen.«

»Geser, mein Mentor, vielen Dank für alles, was du mir beigebracht hast.«Ich verneigte mich, zog die neugierigen Blicke der Fallschirmspringer auf mich.»Ich glaube nicht, dass ich das Recht habe, weiter auf deine Hilfe zu rechnen. Nimm meine Dankbarkeit entgegen.«

»Du bist von allen Verpflichtungen mir gegenüber entbunden«, entgegnete Geser gelassen.»Tu, was dein Schicksal dir gebietet.«

Aus. Wie leicht er auf seinen einstigen Schüler verzichtet! Wie viele Schüler er wohl schon hatte, die die höchsten Ziele und heiligen Ideale nicht anerkannten?

Hunderte, Tausende.

»Lebe wohl, Geser«, sagte ich. Dann blickte ich Alischer an.»Viel Glück, neuer Wächter der Nacht.«

Der Kurier sah mich tadelnd an.»Wenn mir die Bemerkung erlaubt ist…«

»Sprich«, forderte ich ihn auf.

»An deiner Stelle würde ich nichts überstürzen, Lichter Anton.«

»Ich habe bereits zu lange gezögert, Lichter Alischer.«Ich lächelte. In der Wache hatte ich mich daran gewöhnt, mich als einen der kleinsten Magier zu sehen, aber das war vorbei. Für diesen Neuling stellte ich bereits eine Autorität dar. Noch.»Irgendwann einmal wirst du hören, wie die Zeit rauscht, der Sand durch die Finger rinnt. Dann erinner dich an mich. Viel Glück.«

Sechs

Diese Hitze.

Ich ging den Alten Arbat hinunter. Die Maler, die ihre banalen Porträts zeichneten, die Musiker, die ihre stereotype Musik spielten, die Händler, die ihre ewig gleichen Souvenirs verkauften, die Ausländer mit dem Standardinteresse in den Augen, die Moskauer, die mit der üblichen Verärgerung an den Matrjoschka-Imitaten vorbeiliefen…

Euch sollte man aufrütteln?

Eine kleine Vorstellung bieten?

Mit Blitzen jonglieren? Richtiges Feuer schlucken? Das Pflaster zum Bersten bringen und dem Springbrunnen Mineralwasser entlocken? Ein Dutzend arme Krüppel heilen? Durch die Gegend wuselnde Straßenkinder mit dem aus der Luft gezauberten Kuchen füttern?

Wozu?

Eine Hand voll Kleingeld würden sie mir für Feuerkugeln zuwerfen, mit denen man einen Teufel schlagen könnte. Der Mineralwasserbrunnen stellte sich als geplatzte Wasserleitung heraus. Die armen Krüppel sind sowieso gesünder und reicher als die meisten anderen, die hier vorbeilaufen. Die Straßenkinder rennen weg, weil sie schon seit langem wissen: Kuchen gibt’s nicht umsonst.

Ja, ich verstehe Geser, verstehe alle hohen Magier, die seit tausend Jahren gegen das Dunkel kämpfen. Man kann nicht ewig mit dem Gefühl der Machtlosigkeit leben. Man kann nicht ewig im Schützengraben sitzen: Damit tötet man eine Armee eher als mit den Kugeln der Feinde.

Aber was habe ich mit alldem zu tun?

Muss das Banner des Sieges unbedingt aus meiner Liebe genäht werden?

Und was haben die Menschen damit zu tun?

Die Welt lässt sich leicht umwerfen und wieder auf die Beine stellen, doch wer hilft den Menschen, nicht hinzufallen?

Sollten wir wirklich nicht in der Lage sein, etwas zu lernen?

Ich wusste, was Geser vorhatte, genauer, was Swetlana auf seinen Befehl hin tun würde. Verstand, wohin das führen könnte, konnte mir sogar vorstellen, welche Schlupflöcher im Großen Vertrag zur Rechtfertigung dieser Manipulation des Schicksalsbuches herhalten mussten. Verfügte über die Information, wann die Aktion stattfinden sollte. Zum Gesamtbild fehlten mir bloß noch der Ort und das Objekt der Operation.

Und eben das war fatal.

Es war Zeit, vor Sebulon zu Kreuze zu kriechen.

Und danach gleich ab ins Zwielicht.

Ich hatte die Mitte des Arbats erreicht, als ich eine leichte, kaum wahrnehmbare Bewegung der Kraft spürte. Ganz in meiner Nähe kam es gerade zu einer magischen Manipulation, keiner starken, aber…

Beim Dunkel!

Was auch immer ich über Geser gedacht haben, wie sehr ich auch mit ihm gestritten haben mochte - ich blieb ein Soldat der Nachtwache.

Mit einer Hand griff ich nach dem Amulett in meiner Tasche, rief meinen Schatten und trat ins Zwielicht ein.

Wie verdammt heruntergekommen alles aussah!

Schon seit langem war ich nicht mehr im Zwielicht durch Moskaus Zentrum geschlendert.

Das blaue Moos legte sich wie ein dicker Teppich über alles. Träge waberten die Fäden und schufen die Illusion wogenden Wassers. Von mir strömten Kreise aus - das Moos trank meine Emotionen und versuchte gleichzeitig, von mir wegzukriechen. Doch die kleinen Scherze des Zwielichts interessierten mich im Moment nicht.

Im grauen Raum unter dem sonnenlosen Himmel war ich nicht allein.

Eine Sekunde lang sah ich die junge Frau an, die mit dem Rücken zu mir stand. Sah sie an und spürte, wie sich ein böses Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Ein Lächeln, das eines Lichten Magiers nicht würdig ist. Von wegen»keine starke Manipulation«!

Eine magische Intervention dritten Grades?

Oi-oi-oj!

Das ist sehr ernst, mein Mädchen. Das ist so ernst, dass du vermutlich verrückt geworden bist. Dritter Grad - das geht doch eigentlich über deine Kräfte, du benutzt ein fremdes Amulett.

Aber ich werde versuchen, es mit meinen Kräften gegen dich aufzunehmen.

Als ich an sie herantrat, hörte sie meine Schritte auf dem weichen blauen Teppich nicht einmal. Die diffusen Schatten der Menschen huschten hin und her, und sie war einfach zu abgelenkt.

»Anton Gorodezki, Nachtwache«, sagte ich.»Alissa Donnikowa, Sie sind verhaftet.«

Das Hexlein kreischte auf, wirbelte herum. In der Hand hielt Alissa ein Amulett, ein Kristallprisma, durch das sie gerade die Passanten betrachtet hatte. Im ersten Moment versuchte sie es mit einer instinktiven Geste vor mir zu verstecken, im nächsten, mich durch das Prisma anzusehen.

Ich packte ihre Hand und zwang sie, damit aufzuhören. Eine Sekunde lang standen wir nebeneinander, und ich verstärkte allmählich den Druck, drehte der Hexe die Hand um. Zwischen einem Mann und einer Frau hätte eine solche Szene recht peinlich gewirkt. Bei uns Anderen liegt die Quelle der Körperkraft jedoch nicht in der Geschlechtszugehörigkeit und noch nicht mal in der aufgebauten Muskulatur. Die Kraft kommt von der Umgebung, vom Zwielicht, von den Menschen um uns herum. Ich wusste nicht, wie viel Alissa aus der sie umgebenden Welt ziehen konnte, vielleicht sogar mehr als ich.

Doch ich hatte sie auf frischer Tat ertappt. Weitere Wächter konnten in der Nähe sein. Und Widerstand gegen einen Mitarbeiter der anderen Wache, der eine offizielle Verhaftung vornimmt, ist ein Grund für eine Vernichtung an Ort und Stelle.

»Ich leiste keinen Widerstand«, sagte Alissa und öffnete ihre Hand. Das Prisma fiel sanft ins Moos - das aufköchelte, brodelte, das Kristallamulett einhüllte.

»Ein Kraftprisma?«, stellte ich eine rhetorische Frage.»Alissa Donnikowa, Sie haben eine magische Intervention dritten Grades vorgenommen.«