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Alles hat jedoch seine Kehrseite. Ich würde mit euch tauschen, ihr Menschen. Nehmt das Können, Schatten zu sehen und ins Zwielicht einzutreten. Nehmt die Verteidigung der Wache und die Fähigkeit, das Bewusstsein anderer zu verändern.

Gebt mir die Ruhe, die ich für immer verloren habe!

Jemand rempelte mich an, schob mich beiseite. Ein kräftiger junger Mann mit Glatze, einem Handy am Gürtel und einer Goldkette um den Hals maß mich mit einem durchdringenden Blick, presste etwas zwischen den Zähnen hervor und trottete die Straße hinunter. Seine Freundin, die an seiner Hand klebte, imitierte nicht sonderlich erfolgreich jenen Blick von ihm, den kleine Banditen für»süße Blödmänner«reserviert haben.

Ich prustete aus vollem Halse los.

Ja, vermutlich gab ich wirklich ein tolles Bild ab!

Wie ich da mitten auf der Straße erstarrt war, wobei

es auf den ersten Blick noch so wirkte, als gingen mir an einem Stand mit billigen, bronzefarbenen Figuren, Matrjoschkas mit den Gesichtern von Politikern und nachgemachten Holzgegenständen à la Chochloma die Augen über.

Wenn ich wollte, dürfte ich die ganze Straße aufrütteln. Eine globale Remoralisation durchführen - und der Glatzkopf würde als Pfleger in einem Krankenhaus für geistig Behinderte arbeiten gehen, seine Freundin zum Bahnhof stürzen und zu ihrer längst vergessenen alten Mutter fahren, die irgendwo in der Provinz dahinvegetierte.

Man möchte Gutes tun, es juckt einem nur so in den Fingern!

Gerade weil es verboten ist.

Selbst wenn das Herz rein ist und die Hände heiß, der Kopf muss trotzdem kühl sein.

Ich bin ein einfacher, gewöhnlicher Anderer. Ich habe nicht die Kraft, die Geser oder Sebulon gegeben ist, werde sie nie haben. Vielleicht, weil ich meinen eigenen Blick auf die Ereignisse habe. Und selbst ein unerwartetes Geschenk - das Recht auf Lichte Magie - kann ich nicht nutzen. Das würde zu dem Spiel gehören, das über meinen Kopf hinweg gespielt wird.

Und meine Chance liegt darin, aus diesem Spiel auszusteigen.

Und Swetlana herauszuholen.

Ja, und damit die lange vorbereitete Operation der Nachtwache platzen lassen! Ja, kein Fahnder mehr sein! Mich in einen einfachen Lichten Magier verwandeln, der nur Krümel seiner Kraft nutzt. Und auch das nur im Glücksfall, im schlimmsten Fall wartet das ewige Zwielicht auf mich.

Heute, heute um Mitternacht.

Wo? Und wer? Wessen Schicksalsbuch wird die Zauberin aufschlagen? Was hatte Olga gesagt? Seit zwölf Jahren bereiten sie diese Operation vor. Zwölf Jahre suchen sie schon eine Große Zauberin, die in der Lage ist, die bis heute aufgesparte Kreide in die Hand zu nehmen. Stopp!

Fast hätte ich auf den ganzen Arbat hinausgeschrien, was für ein Idiot ich war. Doch mein Gesicht dürfte auch so beredt genug gewesen sein.

Wozu auch noch in Worte fassen, was mir ohnehin ins Gesicht geschrieben steht.

Die hohen Magier planen viele Züge voraus. In ihrem Spiel gibt es keinen Zufall. Es gibt Damen und es gibt Bauern. Aber keine überflüssigen Figuren!

Jegor!

Der Junge, der beinah das Opfer einer nicht lizenzierten Jagd geworden wäre. Der deshalb ins Zwielicht eingetreten ist, in einer Gemütsverfassung, die ihn auf die Seite der Dunklen getrieben hat. Der Junge, dessen Schicksal nicht bestimmt ist, dessen Aura noch jetzt die Buntheit des Kleinkinds aufweist. Ja, ein einmaliger Fall, darüber habe ich schon gestaunt, als ich es das erste Mal gesehen habe.

Gestaunt - und es vergessen. Kaum hatte ich erfahren, dass seine potenziellen Fähigkeiten vom Chef künstlich heraufgesetzt worden waren, sowohl um die Dunklen abzulenken als auch um Jegor die Chance zu geben, den Vampiren wenigstens etwas Widerstand zu leisten.

Das war er für mich geblieben: sowohl eine persönliche Niederlage, denn ich hatte als Erster den Anderen in ihm erkannt, als auch - zumindest noch - ein guter Mensch, als auch in Zukunft ein Gegner in der ewigen Schlacht zwischen Gut und Böse. Nur im hintersten Winkel hatte sich die Erinnerung an sein unbesiegeltes Schicksal gehalten.

Er kann noch alles Mögliche werden. Ein unbestimmtes Zukunftspotenzial. Ein offenes Buch. Das Buch des Schicksals.

Er wird vor Swetlana stehen, wenn sie die Kreide in die Hand nimmt. Gern wird er da stehen - wenn Geser ihm erst einmal alles vernünftig und ernsthaft erklärt hat. Und erklären kann er, der Chef der Nachtwache, das Oberhaupt der Lichten Moskaus, der große uralte Magier. Geser wird über die Korrektur von Fehlern sprechen. Wahrheitsgemäß. Geser wird Jegor die große Zukunft ausmalen, die vor ihm liegt. Und das, denn eben darum geht es, wird auch der Wahrheit entsprechen! Die Dunklen können tausendmal Protest einreichen - die Inquisition wird ohne Zweifel den Umstand berücksichtigen, dass der Junge anfangs unter ihren Taten zu leiden hatte.

Und Swetlana wird man vermutlich sagen, dass der Misserfolg mit Jegor mich bedrückt. Dass der Junge viel leiden musste, weil die Wache damit beschäftigt war, sie, Swetlana, zu retten.

Sie wird nicht einmal zögern.

Wird alles tun, was man von ihr verlangt.

Die Kreide in die Hand nehmen, ganz gewöhnliche Kreide, mit der man Himmel-und-Hölle auf den Asphalt malt oder»2 + 2 = 4«an die Tafel schreibt.

Und sie wird das Schicksal zuschneiden, das noch

nicht besiegelt ist.

Was wollen sie aus dem Jungen machen?

Wen?

Einen Initiator, Führer, Befehlshaber neuer Parteien und Revolutionen?

Den Propheten einer Religion, die noch nicht erdacht ist?

Einen Denker, der eine neue Gesellschaftslehre begründet? Einen Musiker, Dichter oder Schriftsteller, dessen Werk das Bewusstsein von Millionen verändert?

Wie viele Jahre reicht der bedächtige Plan der Kräfte des Lichts in die Zukunft hinein?

Gewiss, das Wesen, das einem Anderen von Natur aus gegeben ist, ändert man nicht von Grund auf. Je-gor wird ein äußerst schwacher Magier sein. Dank der Intervention der Wache aber immerhin ein Lichter Magier.

Doch um das Schicksal der Menschenwelt zu verändern, muss man nicht unbedingt ein Anderer sein. Es ist sogar hinderlich. Weit vorteilhafter ist es, auf die Unterstützung der Wache zurückzugreifen und die Menschenmassen hinter sich herzuziehen, die das von uns erfundene Glück so nötig haben.

Und er wird sie führen. Ich weiß nicht, wie, weiß nicht, wohin, aber er wird es. Nur, dass dann die Dunklen ihrerseits einen Zug machen. Für jeden Präsidenten findet sich ein Killer. Auf jeden Propheten kommen tausend Exegeten, die das Wesen der Religion verdrehen, das lichte Feuer durch die Hitze der Scheiterhaufen der Inquisition ersetzen. Jedes Buch wird irgendwann in die Flammen geworfen, aus Symphonien werden Schlager, die in Kneipen dudeln. Jede

Gemeinheit lässt sich auf eine solide philosophische Grundlage stellen.

Ja, wir haben nichts gelernt. Wahrscheinlich wollten wir das gar nicht.

Aber wenigstens bleibt mir noch etwas Zeit. Und das Recht auf meinen Zug. Einen einzigen.

Wenn ich nur wüsste, welchen.

Swetlana auffordern, Geser zu widersprechen, sich nicht der höchsten Magie zu verschreiben, ein fremdes Schicksal nicht zu korrigieren?

Warum eigentlich nicht? Im Grunde ist es doch richtig. Die gemachten Fehler korrigieren, einem einzelnen Menschen und der Menschheit insgesamt eine glückliche Zukunft ermöglichen. Von mir würde die Last der begangenen Fehler genommen. Von Swetlana das Bewusstsein, dass ihr Erfolg mit fremdem Leid bezahlt ist. Sie reiht sich unter die Großen Zauberinnen ein. Welchen Preis bin ich bereit, für meine diffusen Zweifel zu zahlen? Und was an ihnen ist echte Sorge, was mein kleiner persönlicher Egoismus? Was ist das Licht, was das Dunkel?