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Das Schlachtfeld? Oder das Schafott?

Hüter und Richtherr?

Oder Henker?

Als ob es da einen Unterschied gab! Er diente dem Licht!

Die bekannte Kraft strömte durch seinen Körper, wühlte ihn auf. Die Hand am Revers seines Jacketts, ging Maxim auf den Hauseingang zu, dem Dunklen Magier entgegen, der im Fahrstuhl nach unten kam.

Nur rasch, alles musste rasch gehen. Schließlich hatte sich die Nacht noch nicht ganz herabgesenkt. Jemand könnte ihn sehen. Und niemand würde jemals seiner Geschichte glauben. Bestenfalls würde man ihn ins Irrenhaus einweisen.

Ansprechen. Den Namen nennen. Die Waffe ziehen.

Den Misericorde. Barmherzigkeit. Er war ein Hüter und Richtherr. Ein Ritter des Lichts. Kein Henker!

Dieser Hof war ein Schlachtfeld, kein Schafott.

Maxim blieb vor der Haustür stehen. Hörte die Schritte. Im Schloss bewegte sich etwas.

Und er wollte wimmern, vor Schmach und Entsetzen wimmern, schreien, den Himmel, sein Schicksal und seine einmalige Gabe verfluchen.

Der Dunkle Magier war ein Kind.

Ein dünner dunkelhaariger Junge. Äußerlich völlig normal - nur Maxim konnte die um ihn herum erzitternde Aureole des Dunkels sehen.

Warum das? Noch nie war ihm so etwas passiert. Er hatte Frauen und Männer getötet, junge wie alte, aber niemals hatte er es mit einem Kind zu tun gehabt, das seine Seele dem Dunkel verkauft hatte. Maxim war noch nicht einmal auf einen solchen Gedanken gekommen, vielleicht, weil er derlei nicht für möglich halten wollte, vielleicht, weil er sich weigerte, vorab eine diesbezügliche Entscheidung zu treffen. Vielleicht wäre er zu Hause geblieben, wenn er gewusst hätte, dass sein zukünftiges Opfer erst zwölf Jahre zählte.

Der Junge stand in der Haustür und schaute Maxim verständnislos an. Einen Augenblick lang hatte Maxim den Eindruck, der Kleine werde sich umdrehen und weglaufen, die schwere Tür mit dem Codeschloss hinter sich verriegeln. Renn doch, renn doch weg!

Der Junge machte einen Schritt auf ihn zu, wobei er die Tür festhielt, damit sie nicht krachend ins Schloss fiel. Er sah Maxim in die Augen, mit leicht gerunzelter Stirn, aber ohne Angst. Was nicht zu verstehen war. Er sah in Maxim keinen zufälligen Passanten, sondern verstand, dass der Mann auf ihn gewartet hatte. Kam ihm sogar entgegen. Fürchtet er sich denn nicht? War er sich seiner Dunklen Kraft so sicher?

»Sie sind ein Lichter, das seh ich«, sagte der Junge. Nicht sehr laut, aber mit fester Stimme.

»Ja.«Das Wort brachte er nur mit Mühe heraus, entließ es ungern aus seiner Kehle, stockte und senkte den Blick. Sich für seine Schwäche verfluchend,

streckte Maxim die Hand aus und packte den Jungen bei der Schulter.»Ich bin dein Richtherr!«

Noch immer erschrak der Kleine nicht.

»Ich habe heute Anton gesehen.«

Welchen Anton? Maxim schwieg, Unverständnis spiegelte sich in seinen Augen wider.

»Sind Sie seinetwegen zu mir gekommen?«

»Nein. Deinetwegen.«

»Wozu?«

Der Junge hatte irgendetwas Herausforderndes an sich, als habe er irgendwann einen langen Streit mit Maxim gehabt, als habe sich Maxim etwas zuschulden kommen lassen, was er jetzt eingestehen sollte.

»Ich bin dein Richtherr«, wiederholte Maxim. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre fortgerannt. Nichts fügte sich so, wie es sein sollte! Ein Dunkler Magier durfte sich nicht als Kind herausstellen, als Altersgenosse seiner eigenen Tochter. Ein Dunkler Magier musste sich verteidigen, ihn angreifen, fliehen, aber nicht mit beleidigter Miene dastehen, als habe er ein Recht dazu.

Als könne ihn irgendwas retten.

»Wie heißt du?«, fragte Maxim.

»Jegor.«

»Es ist mir äußerst unangenehm, dass alles so gekommen ist.«Maxim sagte die Wahrheit. Nicht sadistisches Vergnügen ließ ihn den Mord herauszögern.»Teufel auch. Ich habe eine Tochter, die so alt ist wie du!«Irgendwie kränkte ihn das am meisten.»Aber wenn nicht ich, wer dann?«

»Wovon reden Sie?«Der Junge versuchte seine

Hand abzuschütteln. Das stärkte Maxims Entschlossenheit.

Ein Junge, ein Mädchen, ein Erwachsener, ein Kind. Welchen Unterschied macht das schon! Dunkel und Licht - das ist der einzige Unterschied.

»Ich muss dich retten«, sagte Maxim. Mit der freien Hand zog er den Dolch aus der Tasche.»Ich muss es, und ich werde dich retten.«

Sieben

Als Erstes erkannte ich das Auto.

Dann den Wilden, der ihm entstieg.

Melancholie schlug über mir zusammen, schwere, düstere Melancholie. Da stand der Mann, der mich gerettet hatte, nachdem ich in Olgas Körpers aus dem Maharadscha geflohen war.

Hätte ich es wissen müssen? Vielleicht, wenn ich mehr Erfahrung und Zeit gehabt hätte, wenn ich gelassener gewesen wäre. Die Frau, die mit ihm im Auto saß - ich hätte mir zumindest ihre Aura ansehen sollen. Swetlana hatte schließlich eine genaue Beschreibung geliefert. Ich hätte die Frau erkennen können - und damit auch den Wilden. Schon im Auto hätte ich die Angelegenheit zu Ende bringen können.

Nur zu welchem?

Ich tauchte ins Zwielicht ein, als der Wilde in meine Richtung blickte. Offensichtlich klappte das, denn er ging weiter, auf den Hauseingang zu, in dem ich irgendwann einmal neben dem Müllschlucker gesessen und ein düsteres Gespräch mit einer weißen Eule geführt hatte.

Der Wilde ging Jegor töten. Genau, wie ich vermutet hatte. Genau, wie Sebulon es geplant hatte. Die Falle stand vor mir, die straff gespannte Feder zog sich langsam zusammen. Noch ein Schritt, und die Tagwache könnte sich über eine erfolgreich abgeschlossene Operation freuen.

Wo steckst du, Sebulon?

Das Zwielicht gab mir Zeit. Der Wilde ging weiter und weiter auf das Haus zu, setzte bedächtig einen Fuß vor den anderen, während ich Ausschau hielt, die Umgebung nach dem Dunkel absuchte. Wenigstens eine Spur davon, wenigstens den Atem, einen Schatten…

Die Konzentration von Magie um mich herum war beachtlich. Hier liefen die Realitätsfäden zusammen, die in die Zukunft führten. Eine Kreuzung von hundert Wegen, ein Punkt, an dem die Welt entscheidet, welche Richtung sie einschlagen würde. Unabhängig von mir, dem Wilden oder dem Jungen. Wir alle sind bloß ein Teil der Falle. Statisten. Einer musste sagen:»Es ist angerichtet!«, ein anderer den Sturz vorspielen, ein dritter mit stolz erhobenem Kopf das Schafott besteigen. Zum zweiten Mal wurde dieser Punkt Moskaus zur Arena einer unsichtbaren Schlacht. Doch ich sah keine Anderen, weder Lichte noch Dunkle. Nur den Wilden, der aber selbst jetzt nicht als Anderer zu erkennen war, funkelte doch lediglich auf seiner Brust ein Klumpen Kraft. Zuerst hielt ich es für sein Herz. Dann begriff ich, dass es sich um die Waffe handelte, jene Waffe, mit der er die Dunklen ermordete.

Was soll das, Sebulon? Empörung packte mich, blödsinnige Empörung. Ich bin gekommen! Bin in deine Falle getappt, schau doch, der Fuß schwebt schon darüber. Jetzt nimmt alles seinen Lauf. Wo bist du?

Entweder vermochte sich der Dunkle Magier so geschickt zu verstecken, dass es über meine Kräfte ging, ihn zu entdecken, oder hier war überhaupt niemand!

Ich hatte verloren. Verloren noch vor dem Abpfiff, weil ich den Plan des Gegners nicht durchschauen konnte. Das Ganze war doch ein Hinterhalt, die Dunklen mussten den Wilden doch umbringen, sobald er