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Jegor ermordet hatte.

Wie würde er das tun?

Immerhin war ich auch noch da. Würde ihm alles erklären, ihm von den Wachen berichten, die einander beobachten, von dem Vertrag, der uns zwingt, Neutralität zu wahren, von den Menschen und den Anderen, von der Welt und dem Zwielicht. Würde ihm alles erzählen, was ich Swetlana gesagt hatte, und er würde es verstehen.

Oder?

Wenn er doch das Licht nicht sieht!

Die Welt ist für ihn eine graue hirnlose Schafsherde. Die Dunklen sind die Wölfe, die um sie herumstreichen und sich die fettesten Lämmer schnappen. Und er selbst ist der Wachhund. Nicht in der Lage, die Schäfer zu sehen, blind vor Angst und Wut, stürzt er sich bald hierhin, bald dorthin, kämpft allein gegen alle.

Er wird mir nicht glauben, sich nicht erlauben, mir zu glauben.

Ich raste auf den Wilden zu. Die Haustür stand offen, der Wilde sprach bereits mit Jegor. Warum geht dieser dumme Bengel so spät abends noch weg, mitten in der Nacht, wo er doch nur zu gut weiß, welche Kräfte unsere Welt beherrschen? Ob der Wilde seine Opfer anlocken kann?

Reden würde nichts bringen. Ich musste aus dem Zwielicht angreifen. Ihn überwältigen. Und ihm erst dann alles erklären!

Das Zwielicht winselte mit tausend verletzten Stimmen auf, als ich im Lauf gegen die unsichtbare Barriere prallte. Drei Schritte von dem Wilden entfernt, der die Hand bereits zum Schlag erhoben hatte, prallte ich

gegen eine durchsichtige Wand, glitt an ihr herunter, rutschte langsam zu Boden. Schüttelte den dröhnenden Kopf.

Schlecht. Verdammt schlecht sogar! Er versteht das Wesen der Kraft nicht. Ist ein Autodidakt, ein Psychopath im Dienste des Guten. Doch wenn er zur Sache geht, schützt er sich mit einer magischen Barriere. Unbewusst, aber das macht es mir nicht leichter.

Der Wilde sagte etwas zu Jegor. Und zog seine Hand aus dem Jackett hervor.

Ein Holzdolch. Irgendwas hatte ich über diese Form der Magie gehört, die gleichzeitig naiv und mächtig ist, doch jetzt blieb mir nicht die Zeit, darüber nachzugrübeln.

Ich schlich aus meinem Schatten heraus, trat in die Menschenwelt und sprang den Wilden von hinten an.

Maxim ging in dem Augenblick zu Boden, als er den Dolch hob. Die Welt um ihn herum hatte sich bereits grau eingefärbt, die Bewegungen des Jungen sich verlangsamt, Maxim hatte gesehen, wie der Dunkle die Wimpern ein letztes Mal niederschlug, bevor er die Augen im Schmerz weit aufreißen würde. Die Nacht war der Zwielicht-Bühne gewichen, auf der er gewöhnlich zu Gericht saß und das Urteil sprach, dessen Vollstreckung nichts verhindern konnte.

Jetzt hatte man ihn aufgehalten. Ihn niedergeschlagen und auf den Asphalt geschleudert. Im letzten Moment hatte Maxim sich mit der Hand abfangen, abrollen und aufspringen können.

Auf der Bühne war ein dritter Akteur erschienen. Wie hatte Maxim ihn nicht bemerken können? Wie hatte der sich anschleichen können, während Maxim bei seiner wichtigen Arbeit gegen Zeugen und Einmischungen immer durch die Lichteste Kraft der Welt abgeschottet war, die Kraft, die ihn in den Kampf führte?

Der Mann war jung, vielleicht etwas jünger als Maxim. Trug Jeans, ein Sweatshirt und eine Tasche über der Schulter, die er jetzt achtlos zu Boden fallen ließ, indem er die Schulter rollte. Und hielt eine Pistole in der Hand!

Wie unschön.

»Halt«, sagte der Mann, als wolle Maxim fliehen.»Hör mir zu.«

War das ein zufälliger Passant, der ihn für einen dummen Verrückten hielt? Doch wozu die Pistole? Woher die Geschicklichkeit, mit der er sich unbemerkt herangeschlichen hatte? Ob der bei irgendeiner Spezialeinheit arbeitete und nur gerade keine Uniform trug? Doch so einer hätte sofort geschossen oder zugeschlagen, ihm aber nicht die Möglichkeit gegeben aufzustehen.

Maxim sah den Unbekannten an. Ein fürchterlicher Verdacht ließ ihn erstarren. Was, wenn das ein weiterer Dunkler war? Noch nie hatte er mit zweien gleichzeitig fertig werden müssen.

Bloß, dass an ihm nichts Dunkles war. Nichts, überhaupt nichts, nicht die geringste Spur!

»Wer bist du?«, fragte Maxim, wobei er den Jungen fast vergaß. Der trat langsam an seinen unverhofft aufgetauchten Retter heran.

»Ein Wächter. Anton Gorodezki, Nachtwache. Hör mir zu.«

Mit der freien Hand packte Anton den Jungen und schob ihn hinter seinen Rücken. Ein deutlicher Hinweis.

»Nachtwache?«Maxim versuchte immer noch, in dem Unbekannten den Atem des Dunkels auszumachen. Doch er entdeckte nichts - was ihn noch stärker erschreckte.»Bist du vom Dunkel?«

Er verstand nichts. Versuchte mich zu sondieren: Ich spürte, wie er mich absuchte, auf grausame, kompromisslose und zugleich ungeschickte Weise absuchte. Mir war unklar, ob ich mich überhaupt hätte verschließen können.

In diesem Menschen oder Anderen - hier waren beide Begriffe angemessen - manifestierte sich irgendeine urwüchsige Kraft, ein wahnsinniger fanatischer Drang. Ich machte nicht einmal den Versuch, mich abzuschirmen.

»Nachtwache? Bist du vom Dunkel?«

»Nein. Wie heißt du?«

»Maxim.«Der Wilde kam langsam näher. Schaute mich an, als spüre er, dass wir uns schon einmal begegnet waren, nur dass ich damals anders aussah.»Wer bist du?«

»Ein Mitarbeiter der Nachtwache. Ich werde dir alles erklären, hör mir zu. Du bist ein Lichter Magier.«

Maxims Gesicht krampfte sich zusammen, versteinerte.

»Du bringst Dunkle um. Das weiß ich. Heute Morgen hast du eine Tierfrau ermordet. Abends einen Dunklen Magier im Restaurant.«

»Du auch?«

Vielleicht kam es mir nur so vor. Vielleicht schwang in seiner Stimme aber tatsächlich Hoffnung mit. Demonstrativ steckte ich die Pistole weg.

»Ich bin ein Lichter Magier. Wenn auch kein sehr starker. Einer von Hunderten, die es in Moskau gibt. Wir sind viele, Maxim.«

Als sich daraufhin seine Augen weiteten, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war. Er war kein Verrückter, der sich für Superman hält und auf seine Taten auch noch stolz ist. Wahrscheinlich hatte er sich in seinem Leben nichts so sehnlich gewünscht, wie einen Waffenbruder zu treffen.

»Maxim, wir haben dich nicht rechtzeitig bemerkt«, fuhr ich fort. Ob sich doch noch alles friedlich regeln ließ, ohne Blutvergießen, ohne einen sinnlosen Kampf von zwei weißen Magiern?»Das ist unsere Schuld. Du hast angefangen, allein zu kämpfen, hast einfach drauflosgedroschen. Doch noch lässt sich alles wieder gutmachen, Maxim. Schließlich hast du nichts vom Großen Vertrag gewusst, oder?«

Er hörte mir nicht zu, ein unbekannter Vertrag interessierte ihn nicht im Geringsten. Nur dass er nicht mehr allein dastand, zählte für ihn.

»Kämpft ihr gegen das Dunkel?«

»Ja.«

»Seid ihr viele?«

»Ja.«

Abermals sah Maxim mich an und erneut blitzte in seinen Augen der durchdringende Atem des Zwielichts auf. Er versuchte, die Lüge zu erkennen, das Dunkel auszumachen, das Böse und den Hass zu orten - all das, was er zu sehen vermochte.

»Du bist kein Dunkler«, sagte er fast mitfühlend.»Das sehe ich. Ich irre mich nicht, niemals!«

»Ich bin ein Wächter«, wiederholte ich. Ich sah mich um - niemand. Irgendetwas hatte die Menschen verschreckt. Vermutlich gehörte auch das zu den Fähigkeiten des Wilden.

»Dieser Junge…«

»Ist auch ein Anderer«, warf ich schnell ein.»Er hat sich noch nicht entschieden, ob er ein Lichter oder…«