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Wie beschämend!

Oder war das mein einziger Ausweg? Zu sterben?

Swetlana würde niemanden retten müssen. Sie könnte ihren Weg gehen, eine langen und ruhmreichen Weg, selbst wenn auch sie eines Tages für immer ins Zwielicht eingehen muss.

Ob du das wusstest, Geser? Vielleicht sogar auf diesen Ausgang gehofft hast?

Die Welt gewann ihre Farben zurück. Die dunklen Farben der Nacht. Das Zwielicht spuckte mich widerwillig aus, verschmähte mich. Halb liegend, halb sit-

zend hielt ich meine blutende Wunde.

»Warum bist du noch am Leben?«, fragte Maxim.

Erneut lag in seiner Stimme ein beleidigter Unterton, es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte einen Schmollmund gemacht. Am liebsten hätte ich gelacht, doch meine Schmerzen ließen das nicht zu. Er sah auf den Dolch und hob ihn voller Unsicherheit erneut. Im nächsten Moment stand Jegor neben mir. Schirmte mich vor Maxim ab. Diesmal hinderte mich der Schmerz nicht daran zu lachen.

Der zukünftige Dunkle Magier rettete den einen Lichten vor dem anderen!

»Ich lebe, weil deine Waffe nur für Dunkle gedacht ist«, erklärte ich. In meiner Brust gluckerte es verdächtig. Der Dolch war nicht bis zum Herz gedrungen, hatte aber die Lunge aufgerissen.»Ich weiß nicht, wer ihn dir gegeben hat. Doch das ist eine Waffe gegen das Dunkel. Gegen mich ist es nicht mehr als ein Span, der aber auch wehtut.«

»Du bist ein Lichter«, sagte Maxim.

»Ja.«

»Er ist ein Dunkler.«Der Dolch richtete sich langsam auf Jegor.

Ich nickte. Versuchte, den Jungen wegzuziehen; der schüttelte hartnäckig den Kopf und blieb stehen.

»Warum?«, fragte Maxim.»Warum nur? Du bist ein Lichter, er ist ein Dunkler…«

Zum ersten Mal in der ganzen Zeit lächelte er, wenn auch nicht fröhlich.

»Und wer bin dann ich? Kannst du mir das sagen?«

»Ich vermute, ein zukünftiger Inquisitor«, erklang es hinter mir.»Ich bin mir dessen fast sicher. Ein begabter, unbarmherziger, unbestechlicher Inquisitor.«

Ich schielte zu der Stimme hin.»Guten Abend, Ge-ser«, sagte ich.

Der Chef nickte mir mitfühlend zu. Swetlana stand hinter ihm, ihr Gesicht war kreideweiß.

»Hältst du noch fünf Minuten durch?«, fragte der Chef.»Dann schau ich mir deinen Kratzer mal an.«

»Natürlich halt ich noch durch«, versicherte ich.

Maxim sah den Chef mit starrem, halb wahnsinnigem Blick an.

»Ich glaube, du brauchst keine Angst zu haben«, wandte sich der Chef an ihn.»Sicher, ein gewöhnlicher Wilderer würde vom Tribunal hingerichtet. An deinen Händen klebt zu viel Dunkles Blut, und das Tribunal ist verpflichtet, das Gleichgewicht zu wahren. Doch du bist herausragend, Maxim. Auf jemanden wie dich verzichtet man nicht einfach. Du wirst dich über uns erheben, über Licht und Dunkel, und es spielt nicht einmal eine Rolle, von welcher Seite du kommst. Du darfst dir nur nichts vormachen - das ist keine Macht. Das ist Zwangsarbeit. Wirf den Dolch weg!«

Maxim schleuderte den Dolch zu Boden, als habe er sich die Finger daran verbrannt. Das vollbringt ein echter Magier. Für mich ist das eine Nummer zu groß.

»Swetlana, du hast es überstanden.«Der Chef sah die junge Frau an.»Was gibt das? Dritte Stufe in Selbstkontrolle und Beherrschung. Ohne jeden Zweifel.«

Ich stützte mich auf Jegor und versuchte aufzustehen. Wollte dem Chef unbedingt die Hand schütteln. Erneut hatte er sein eigenes Spiel gespielt. Hatte alle

benutzt, die ihm zur Verfügung standen. Hatte Sebu-lon geschlagen. Nur schade, dass der nicht hier war! Wie gern hätte ich sein Gesicht gesehen, das Gesicht jenes Dämons, der meinen ersten Frühlingstag in einen endlosen Albtraum verwandelt hatte.

»Aber…«Maxim wollte etwas sagen, verstummte jedoch. Auch auf ihn war zu viel eingestürzt. Seine Gefühle konnte ich nur zu gut verstehen.

»Ich war mir sicher, Anton, absolut sicher, dass ihr beide, du und Swetlana, mit dieser Sache fertig werden würdet«, meinte der Chef sanft.»Das Schrecklichste für eine Zauberin mit ihrer Kraft ist es, die Selbstkontrolle zu verlieren. Die Kriterien im Kampf gegen das Dunkel zu verlieren, überstürzt zu handeln oder - im Gegenteil - zu zaudern. Diese Phase in der Ausbildung sollte man auf gar keinen Fall auf die lange Bank schieben.«

Swetlana machte endlich einen Schritt auf mich zu. Behutsam hakte sie sich bei mir unter. Sah Geser an - und für einen Augenblick verzerrte Zorn ihre Miene.

»Nicht doch«, sagte ich.»Nicht doch, Sweta. Er hat ja Recht. Mir ist es erst heute klar geworden, zum ersten Mal. Wo die Grenze in unserem Kampf verläuft. Sei nicht wütend. Und das…«Ich nahm die Hand von der Brust.»… ist nur ein Kratzer. Wir sind keine Menschen, wir sind weitaus robuster.«

»Danke, Anton«, sagte der Chef. Dann richtete er den Blick auf Jegor.»Und auch dir, mein Junge. Vielen Dank. Wirklich schade, dass du auf der anderen Seite der Barrikade stehen wirst. Dennoch war ich mir sicher, dass du trotzdem für Anton eintrittst.«

Der Junge wollte einen Schritt auf den Chef zumachen, doch ich packte ihn bei der Schulter. Das fehlte noch, dass er jetzt etwas Unüberlegtes sagte. Noch verstand er nicht, wie kompliziert dieses Spiel war! Verstand nicht, dass alles, was Geser getan hatte, lediglich der Gegenzug war.

»Eins bedaure ich, Geser«, bemerkte ich.»Nur eine Sache. Dass Sebulon nicht hier ist. Dass ich sein Gesicht nicht gesehen habe, als sein ganzes Spiel zusammengebrochen ist.«

Der Chef antwortete nicht gleich.

Vielleicht, weil ihm die Worte schwer über die Lippen kamen. So, wie ich sie ja auch nicht gern hören wollte.

»Sebulon hat damit nichts zu tun, Anton. Du musst schon entschuldigen. Aber er hat damit wirklich nichts zu tun. Die ganze Operation geht auf das Konto der Nachtwache.«

Dritte Geschichte Im eigenen Saft

Prolog

Der Mann war klein, dunkelhäutig und hatte Schlitzaugen. Eine begehrte Beute für jeden Milizionär in Moskau. Ein schuldbewusstes, verwirrtes Lächeln. Ein naiver, ausweichender Blick. Trotz der sengenden Hitze trug er einen altmodischen dunklen Anzug, der jedoch fast neu wirkte. Die Krönung bildete eine Krawatte noch aus Sowjetzeiten. In der einen Hand hielt er eine riesige, abgeschabte Aktentasche, mit der in alten Filmen Agronomen und Vorsitzende von Vorzeigekolchosen ausgestattet werden, in der anderen ein Netz mit einer länglichen Zuckermelone.

Der kleine Mann stieg aus dem Schlafwagen, auf seinen Lippen das unweigerliche Lächeln. Das der Zugbegleiterin galt, den Reisegefährten, einem Kofferträger, der ihn anrempelte, einem jungen Burschen, der an einem Stand Limonade und Zigaretten verkaufte. Der kleine Mann hob den Blick und sah voller Begeisterung auf das Dach des Kasaner Bahnhofs. Trottete den Bahnsteig entlang und blieb immer wieder stehen, um das Netz mit der Melone bequemer zu packen. Er konnte dreißig Jahre alt sein, aber auch fünfzig. Für einen Europäer ist das schwer auszumachen.

Der junge Mann, der kurz darauf dem Waggon zweiter Klasse desselben Zugs Taschkent-Moskau entstieg - womöglich einer der dreckigsten und ramponiertesten Züge der Welt -, verkörperte das genaue Gegenteil. Auch er ein orientalischer Typ, am ehesten ein Usbeke. Allerdings eher nach Moskauer Art gekleidet: Shorts und ein T-Shirt, eine Sonnenbrille, am Gürtel eine lederne Tasche und ein Handy. Kein Gepäck.

Nicht die Spur von Provinzialität. Er blickte sich nicht um, suchte nicht das verheißungsvolle M. Ein kurzes Nicken zum Zugbegleiter, ein leichtes Kopfschütteln, um die Taxifahrer abzuwimmeln. Ein Schritt, noch einer - und schon war er in der Masse verschwunden, von wuselnden Ankömmlingen verschluckt, das Gesicht leicht in Widerwillen und Abneigung verzogen. Im Handumdrehen ging er als organischer Teil in die Menge ein, der sich nicht mehr ausmachen ließ. Wuchs ihr als neue, gesunde und lebensfähige Zelle zu, die weder bei den als Freßzellen wirkenden Milizionären noch bei den Nachbarzellen Irritation auslöste.