Die drei Hunde, die am Boden eingefroren waren, sahen nicht weniger beeindruckend aus.
Tigerjunges kam bereits auf uns zugerannt. Mit bleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen. Eine Sekunde lang sah sie Julja an: Das Mädchen kreischte immer noch, wenn auch schon etwas leiser, nur noch aus Beharrungsvermögen.
»Ist jemand verletzt?«, brachte sie schließlich hervor.
»Was hast du dir bloß dabei gedacht«, grummelte Ilja und senkte den magischen Stab.»Warum züchtest du diese Biester?«
»Sie hätten niemandem etwas getan!«, sagte Tigerjunges schuldbewusst.
»Nicht?«Semjon setzte Julja, die er nach wie vor unterm Arm hielt, auf dem Boden ab. Nachdenklich fuhr er mit dem Finger über die gebleckten Zähne des
in der Luft hängenden Hundes. Das elastische Band des Gefrierzaubers federte unter seine Hand.
»Ich schwöre es!«Tigerjunges presste die Hand auf die Brust.»Jungs, Sweta, Julenka, es tut mir Leid. Ich konnte sie nicht mehr aufhalten. Die Hunde sind darauf abgerichtet, Unbekannte zu packen und festzuhalten.«
»Sogar Andere?«
»Ja.«
»Sogar Lichte?«In Semjons Stimme schwang ungekünstelter Respekt mit.
Tigerjunges schlug die Augen nieder und nickte.
Julja ging auf sie zu, um sie zu umarmen.»Ich hatte keine Angst«, sagte sie relativ ruhig.»Sie haben mich nur verwirrt.«
»Nur gut, dass es mir genauso ergangen ist«, bemerkte Ilja düster, während er die Waffe wegsteckte.»Gegrilltes Hundefleisch ist etwas zu exotisch. Tigger, deine Köter sollten mich doch kennen!«
»Dich hätten sie auch nicht angerührt.«
Langsam löste sich die Anspannung auf. Etwas Schlimmes wäre ohnehin nicht passiert, wir können einander schließlich heilen. Bloß das Picknick wäre dann im Eimer gewesen.
»Verzeiht mir«, sagte Tigerjunges noch einmal. Und bedachte uns alle mit einem bittenden Blick.
»Sag mal, wozu brauchst du die denn?«Sweta blickte auf die Hunde.»Erklär mir doch mal, wozu? Schließlich reichen deine Fähigkeiten, um mit einem Trupp Green Barets fertig zu werden. Wozu da diese Rottweiler?«
»Das sind keine Rottweiler, sondern Staffordshire-Terrier.«
»Was für ein Unterschied!«
»Sie haben schon mal Räuber gefasst. Ich bin ja nur zwei Tage pro Woche hier, bleibe häufig in der Stadt.«
Die Erklärung vermochte nicht recht zu überzeugen. Ein einfacher Abschreckungszauber - und kein Mensch käme dem Grundstück zu nahe. Aber noch bevor jemand das sagen konnte, entwaffnete Tigerjunges uns.»Das entspricht meiner Natur.«
»Bleiben die Hunde lange so hängen?«, fragte Julja, die sich noch immer an die junge Frau schmiegte.»Ich möchte mich mit ihnen anfreunden. Ansonsten behalte ich einen latenten psychischen Komplex zurück, der sich unweigerlich auf meine Persönlichkeit und meine sexuellen Vorlieben auswirken wird.«
Semjon schnaubte. Mit ihrer Äußerung - wobei interessant gewesen wäre, wie viel Aufrichtigkeit und wie viel Berechnung sie enthielt - hatte Julja den Konflikt beigelegt.
»Am Abend sind sie wieder munter. Bittest du uns herein, Hausherrin?«
Wir ließen die Hunde um das Auto herum stehen und hängen und gingen zum Haus.
»Du hast es aber schön, Tigerjunges!«, sagte Julja. Mittlerweile ignorierte sie uns schlichtweg und klebte nur noch an der jungen Frau. Die Zauberin schien ihr großes Idol zu sein, der sie alles nachsah, selbst die allzu eifrigen Hunde.
Warum idealisiert man immer die unerreichbaren Fähigkeiten?
Julja ist eine vorzügliche Analytikerin, die in der Lage ist, die Realitätsfäden zu entwirren, die verborgenen magischen Gründe von anscheinend ganz alltäglichen Ereignissen aufzudecken. Sie ist klug, ihre Abteilung vergöttert sie, liebt in ihr nicht nur das kleine Mädchen, sondern schätzt sie auch als Kampfgefährtin, als wertvolle und zuweilen unersetzliche Mitarbeiterin. Aber ihr Idol ist Tigerjunges, die Tierfrau, die Kampfmagierin. Weder eifert sie der guten alten Polina Wassiljewna nach, die in der analytischen Abteilung noch eine halbe Stelle hat, noch verliebt sie sich in den Abteilungsleiter Edik, einen imposanten älteren Schwerenöter.
Nein, sie wählt sich Tigerjunges zum Idol.
Ich pfiff irgendwas vor mich hin, während ich den Schluss der Prozession bildete. Fing Swetlanas Blick auf und schüttelte leicht den Kopf. Alles war in Ordnung. Vor uns lag ein Wochenende voller Müßiggang. Ohne Dunkle und Lichte, ohne Intrigen, ohne Konfrontationen. Nur im See baden, in der Sonne liegen, Schaschlik essen, Rotwein trinken. Und abends ins Dampfbad. So eine Villa dürfte ein schönes Dampfbad haben. Danach würden Semjon und ich uns das eine oder andere Fläschchen Wodka schnappen, ein Glas mit eingelegten Pilzen, uns ein wenig von den anderen absondern und uns bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, dabei die Sterne angucken und philosophische Gespräche über erhabene Themen führen.
Wunderbar.
Ich möchte ein Mensch sein. Wenigstens einen Tag.
Semjon blieb stehen und nickte mir zu.»Wir brauchen zwei Flaschen«, sagte er.»Oder drei. Falls noch jemand dazukommt.«
Nicht, dass mich das wunderte. Geschweige denn ärgerte. Er hatte nicht meine Gedanken gelesen, sondern besaß einfach eine weitaus größere Lebenserfahrung.
»Abgemacht«, stimmte ich zu. Swetlana schielte abermals misstrauisch zu mir herüber, schwieg aber.
»Für dich ist es einfacher«, fügte Semjon hinzu.»Mir gelingt es nur sehr selten, ein Mensch zu sein.«
»Ist das denn nötig?«, fragte Tigerjunges, die bereits an der Haustür stand.
Semjon zuckte mit den Achseln.»Nein, natürlich nicht. Aber ich würd’s gern.«
Wir betraten die Villa.
Zwanzig Gäste verkraftete selbst dieses Haus nicht. Wenn wir Menschen wären, sähe es anders aus. Aber so machten wir zu viel Lärm. Man nehme einmal zwei Dutzend Kinder, die zuvor ein paar Monate lang die reinsten Musterschüler abgegeben haben, stelle ihnen ein umfangreiches Arsenal an Spielsachen zur Verfügung und lasse sie alles tun, was sie wollen - dann betrachte man sich das Ergebnis. Wahrscheinlich hielten nur Sweta und ich uns etwas abseits der lärmenden Heiterkeit. Wir hatten uns von einem kleinen Buffet je ein Glas Wein genommen und uns dann auf das kleine Ledersofa in einer Ecke des Wohnzimmers gesetzt.
Semjon und Ilja beharkten sich bereits wieder in einem magischen Duell. Das sie sehr gepflegt, friedlich und für das Publikum in anfänglich sehr angenehmer Weise austrugen. Wahrscheinlich hatte Semjon seinen Freund im Auto bei der Ehre gepackt: Jetzt veränderten sie abwechselnd im Wohnzimmer das Wetter. Wir hatten bereits den Winter in einem Wald bei Moskau, einen Herbstnebel und den Sommer in Spanien hinter uns. Regen und Schauer hatte Tigerjunges strikt verboten, aber auch so hegten die beiden Magier nicht die Absicht, die Naturgewalten zu entfesseln. Offensichtlich hatten sie sich bei der Klimaveränderung gewisse Schranken auferlegt, eiferten nicht nur darum, wer die seltensten Naturmomente aufbewahrt hatte, sondern auch darum, wie angemessen sie der Situation waren.
Garik, Farid und Danila spielten Karten. Mit ganz normalen unmanipulierten Karten, nur die Luft über dem Tisch funkelte infolge der Magie auf. Sie nutzten alle zur Verfügung stehenden Formen der magischen Falschspielerei und des Schutzes gegen selbige. Insofern war gar nicht wichtig, welche Karten man bekam und welche man später dazunehmen durfte.