“Da das Zusammenhängende, wie du sagst, eigentlich euer Element ist,”, versetzte Eduard, “so muß man euch freilich nicht in einer Folge reden hören, oder sich entschließen, euch recht zu geben, und du sollst auch recht haben bis auf den heutigen Tag. Die Anlage, die wir bis jetzt zu unserm Dasein gemacht haben, ist von guter Art; sollen wir aber nichts weiter darauf bauen, und soll sich nichts weiter daraus entwickeln? Was ich im Garten leiste, du im Park, soll das nur für Einsiedler getan sein?”
“Recht gut!” versetzte Charlotte, “recht wohl! Nur daß wir nichts Hinderndes, Fremdes hereinbringen. Bedenke, daß unsre Vorsätze, auch was die Unterhaltung betrifft, sich gewissermaßen nur auf unser beiderseitiges Zusammensein bezogen. Du wolltest zuerst die Tagebücher deiner Reise mir in ordentlicher Folge mitteilen, bei dieser Gelegenheit so manches dahin Gehörige von Papieren in Ordnung bringen und unter meiner Teilnahme, mit meiner Beihülfe aus diesen unschätzbaren, aber verworrenen Heften und Blättern ein für uns und andre erfreuliches Ganze zusammenstellen. Ich versprach dir an der Abschrift zu helfen, und wir dachten es uns so bequem, so artig, so gemütlich und heimlich, die Welt, die wir zusammen nicht sehen sollten, in der Erinnerung zu durchreisen. Ja, der Anfang ist schon gemacht. Dann hast du die Abende deine Flöte wieder vorgenommen, begleitest mich am Klavier; und an Besuchen aus der Nachbarschaft und in die Nachbarschaft fehlt es uns nicht. Ich wenigstens habe mir aus allem diesem den ersten wahrhaft fröhlichen Sommer zusammengebaut, den ich in meinem Leben zu genießen dachte.”
“Wenn mir nur nicht”, versetzte Eduard, indem er sich die Stirne rieb, “bei alledem, was du mir so liebevoll und verständig wiederholst, immer der Gedanke beiginge, durch die Gegenwart des Hauptmanns würde nichts gestört, ja vielmehr alles beschleunigt und neu belebt. Auch er hat einen Teil meiner Wanderungen mitgemacht; auch er hat manches, und in verschiedenem Sinne, sich angemerkt: wir benutzten das zusammen, und alsdann würde es erst ein hübsches Ganze werden.”
“So laß mich denn dir aufrichtig gestehen,” entgegnete Charlotte mit einiger Ungeduld, “daß diesem Vorhaben mein Gefühl widerspricht, daß eine Ahnung mir nichts Gutes weissagt.”
“Auf diese Weise wäret ihr Frauen wohl unüberwindlich.” versetzte Eduard, “Erst verständig, daß man nicht widersprechen kann, liebevoll, daß man sich gern hingibt, gefühlvoll, daß man euch nicht wehtun mag, ahnungsvoll, daß man erschrickt.”
“Ich bin nicht abergläubisch,” versetzte Charlotte, “und gebe nichts auf diese dunklen Anregungen, insofern sie nur solche wären; aber es sind meistenteils unbewußte Erinnerungen glücklicher und unglücklicher Folgen, die wir an eigenen oder fremden Handlungen erlebt haben. Nichts ist bedeutender in jedem Zustande, als die Dazwischenkunft eines Dritten. Ich habe Freunde gesehen, Geschwister, Liebende, Gatten, deren Verhältnis durch den zufälligen oder gewählten Hinzutritt einer neuen Person ganz und gar verändert, deren Lage völlig umgekehrt wurde.”
“Das kann wohl geschehen,” versetzte Eduard, “bei Menschen, die nur dunkel vor sich hin leben, nicht bei solchen, die schon, durch Erfahrung aufgeklärt, sich mehr bewußt sind.”
“Das Bewußtsein, mein Liebster”, entgegnete Charlotte, “ist keine hinlängliche Waffe, ja manchmal eine gefährliche, für den, der sie führt; und aus diesem allen tritt wenigstens so viel hervor, daß wir uns ja nicht übereilen sollen. Gönne mir noch einige Tage; entscheide nicht!”
“Wie die Sache steht,” erwiderte Eduard, “werden wir uns auch nach mehreren Tagen immer übereilen. Die Gründe für und dagegen haben wir wechselweise vorgebracht; es kommt auf den Entschluß an, und da wär es wirklich das beste, wir gäben ihn dem Los anheim.”
“Ich weiß,” versetzte Charlotte, “daß du in zweifelhaften Fällen gerne wettest oder würfelst; bei einer so ernsthaften Sache hingegen würde ich dies für einen Frevel halten.”
“Was soll ich aber dem Hauptmann schreiben?” rief Eduard aus, “denn ich muß mich gleich hinsetzen.”
“Einen ruhigen, vernünftigen, tröstlichen Brief,” sagte Charlotte. “Das heißt so viel wie: keinen”, versetzte Eduard.
“Und doch ist es in manchen Fällen”, versetzte Charlotte, “notwendig und freundlich, lieber nichts zu schreiben, als nicht zu schreiben.”
2. KAPITEL
Eduard fand sich allein auf seinem Zimmer, und wirklich hatte die Wiederholung seiner Lebensschicksale aus dem Munde Charlottens, die Vergegenwärtigung ihres beiderseitigen Zustandes, ihrer Vorsätze sein lebhaftes Gemüt angenehm aufgeregt. Er hatte sich in ihrer Nähe, in ihrer Gesellschaft so glücklich gefühlt, daß er sich einen freundlichen, teilnehmenden, aber ruhigen und auf nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann ausdachte. Als er aber zum Schreibtisch ging und den Brief des Freundes aufnahm, um ihn nochmals durchzulesen, trat ihm sogleich wieder der traurige Zustand des trefflichen Mannes entgegen; alle Empfindungen, die ihn diese Tage gepeinigt hatten, wachten wieder auf, und es schien ihm unmöglich, seinen Freund einer so ängstlichen Lage zu überlassen.
Sich etwas zu versagen, war Eduard nicht gewohnt. Von Jugend auf das einzige, verzogene Kind reicher Eltern, die ihn zu einer seltsamen, aber höchst vorteilhaften Heirat mit einer viel ältern Frau zu bereden wußten, von dieser auch auf alle Weise verzärtelt, indem sie sein gutes Betragen gegen sie durch die größte Freigebigkeit zu erwidern suchte, nach ihrem baldigen Tode sein eigner Herr, auf Reisen unabhängig, jeder Abwechselung, jeder Veränderung mächtig, nichts übertriebenes wollend, aber viel und vielerlei wollend, freimütig, wohltätig, brav, ja tapfer im Fall — was konnte in der Welt seinen Wünschen entgegenstehen!