“So werden Sie mich dagegen nicht tadeln,” versetzte Ottilie, “daß ich meine Mädchen nicht überein kleide. Wenn ich sie Ihnen vorführe, hoffe ich, Sie durch ein buntes Gemisch zu ergötzen.”
“Ich billige das sehr.” versetzte jener. “Frauen sollten durchaus mannigfaltig gekleidet gehen; jede nach eignet Art und Weise, damit eine jede fühlen lernte, was ihr eigentlich gut stehe und wohl zieme. Eine wichtigere Ursache ist noch die: weil sie bestimmt sind, ihr ganzes Leben allein zu stehen und allein zu handeln.”
“Das scheint mir sehr paradox;” versetzte Charlotte, “sind wir doch fast niemals für uns.”
“O ja!” versetzte der Gehülfe, “In Absicht auf andere Frauen ganz gewiß. Man betrachte ein Frauenzimmer als Liebende, als Braut, als Frau, Hausfrau und Mutter, immer steht sie isoliert, immer ist sie allein und will allein sein. Ja die Eitle selbst ist in dem Falle. Jede Frau schließt die andre aus, ihrer Natur nach, denn von jeder wird alles gefordert, was dem ganzen Geschlechte zu leisten obliegt. Nicht so verhält es sich mit den Männern. Der Mann verlangt den Mann. Er würde sich einen zweiten erschaffen, wenn es keinen gäbe; eine Frau könnte eine Ewigkeit leben, ohne daran zu denken, sich ihresgleichen hervorzubringen.”
“Man darf” sagte Charlotte, “das Wahre nur wunderlich sagen, so scheint zuletzt das Wunderliche auch wahr. Wir wollen uns aus Ihren Bemerkungen das Beste herausnehmen und doch als Frauen mit Frauen zusammenhalten und auch gemeinsam wirken, um den Männern nicht allzu große Vorzüge über uns einzuräumen. Ja, Sie werden uns eine kleine Schadenfreude nicht übelnehmen, die wir künftig um desto lebhafter empfinden müssen, wenn sich die Herren untereinander auch nicht sonderlich vertragen.”
Mit vieler Sorgfalt untersuchte der verständige Mann nunmehr die Art, wie Ottilie ihre kleinen Zöglinge behandelte, und bezeigte darüber seinen entschiedenen Beifall. “Sehr richtig heben Sie” sagte er, “Ihre Untergebenen nur zur nächsten Brauchbarkeit heran. Reinlichkeit veranlaßt die Kinder, mit Freuden etwas auf sich selbst zu halten, und alles ist gewonnen, wenn sie das, was sie tun, mit Munterkeit und Selbstgefühl zu leisten angeregt sind.” übrigens fand er zu seiner großen Befriedigung nichts auf den Schein und nach außen getan, sondern alles nach innen und für die unerläßlichen Bedürfnisse. “Mit wie wenig Worten” rief er aus, “ließe sich das ganze Erziehungsgeschäft aussprechen, wenn jemand Ohren hätte zu hören.”
“Mögen Sie es nicht mit mir versuchen?” sagte freundlich Ottilie. “Recht gern, versetzte jener, nur müssen Sie mich nicht verraten. Man erziehe die Knaben zu Dienern und die Mädchen zu Müttern, so wird es überall wohl stehn.”
“Zu Müttern,” versetzte Ottilie, “das könnten die Frauen noch hingehen lassen, da sie sich, ohne Mütter zu sein, doch immer einrichten müssen, Wärterinnen zu werden; aber freilich zu Dienern würden sich unsre jungen Männer viel zu gut halten, da man jedem leicht ansehen kann, daß er sich zum Gebieten fähiger dünkt.”
“Deswegen wollen wir es ihnen verschweigen.” sagte der Gehülfe. “Man schmeichelt sich ins Leben hinein, aber das Leben schmeichelt uns nicht. Wieviel Menschen mögen denn das freiwillig zugestehen, was sie am Ende doch müssen? Lassen wir aber diese Betrachtungen, die uns hier nicht berühren. Ich preise Sie glücklich, daß Sie bei Ihren Zöglingen ein richtiges Verfahren anwenden können. Wenn Ihre kleinsten Mädchen sich mit Puppen herumfragen und einige Läppchen für sie zusammenflicken; wenn ältere Geschwister alsdann für die jüngeren sorgen, und das Haus sich in sich selbst bedient und aufhilft, dann ist der weitere Schritt ins Leben nicht groß, und ein solches Mädchen findet bei ihrem Gatten, was sie bei ihren Eltern verließ.
Aber in den gebildeten Ständen ist die Aufgabe sehr verwickelt. Wir haben auf höhere, zartere, feinere, besonders auf gesellschaftliche Verhältnisse Rücksicht zu nehmen. Wir andern sollen daher unsre Zöglinge nach außen bilden; es ist notwendig, es ist unerläßlich und möchte recht gut sein, wenn man dabei nicht das Maß überschritte, denn indem man die Kinder für einen weiteren Kreis zu bilden gedenkt, treibt man sie leicht ins Grenzenlose, ohne im Auge zu behalten, was denn eigentlich die innere Natur fordert. Hier liegt die Aufgabe, welche mehr oder weniger von den Erziehern gelöst oder verfehlt wird.
Bei manchem, womit wir unsere Schülerinnen in der Pension ausstatten, wird mir bange, weil die Erfahrung mir sagt, von wie geringem Gebrauch es künftig sein werde. Was wird nicht gleich abgestreift, was nicht gleich der Vergessenheit überantwortet, sobald ein Frauenzimmer sich im Stande der Hausfrau, der Mutter befindet! Indessen kann ich mir den frommen Wunsch nicht versagen, da ich mich einmal diesem Geschäft gewidmet habe, daß es mir dereinst in Gesellschaft einer treuen Gehülfin gelingen möge, an meinen Zöglingen dasjenige rein auszubilden, was sie bedürfen, wenn sie in das Feld eigener Tätigkeit und Selbständigkeit hinüberschreiten; daß ich mir sagen könnte: in diesem Sinne ist an ihnen die Erziehung vollendet. Freilich schließt sich eine andre immer wieder an, die beinahe mit jedem Jahre unsers Lebens, wo nicht von uns selbst, doch von den Umständen veranlaßt wird.”
Wie wahr fand Ottilie diese Bemerkung! Was hatte nicht eine ungeahnete Leidenschaft im vergangenen Jahr an ihr erzogen! was sah sie nicht alles für Prüfungen vor sich schweben, wenn sie nur auf’s Nächste, auf’s Nächstkünftige hinblickte!
Der junge Mann hatte nicht ohne Vorbedacht einer Gehülfin, einer Gattin erwähnt, denn bei aller seiner Bescheidenheit konnte er nicht unterlassen, seine Absichten auf eine entfernte Weise anzudeuten; ja er war durch mancherlei Umstände und Vorfälle aufgeregt worden, bei diesem Besuch einige Schritte seinem Ziele näher zu tun. Die Vorsteherin der Pension war bereits in Jahren, sie hatte sich unter ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen schon lange nach einer Person umgesehen, die eigentlich mit ihr in Gesellschaft träte, und zuletzt dem Gehülfen, dem sie zu vertrauen höchlich Ursache hatte, den Antrag getan, er solle mit ihr die Lehranstalt fortführen, darin als in dem Seinigen mitwirken und nach ihrem Tode als Erbe und einziger Besitzer eintreten. Die Hauptsache schien hiebei, daß er eine einstimmende Gattin finden müsse. Er hatte im Stillen Ottilien vor Augen und im Herzen; allein es regten sich mancherlei Zweifel, die wieder durch günstige Ereignisse einiges Gegengewicht erhielten. Luciane hatte die Pension verlassen, Ottilie konnte freier zurückkehren; von dem Verhältnisse zu Eduard hatte zwar etwas verlautet. Allein man nahm die Sache, wie ähnliche Vorfälle mehr, gleichgültig auf, und selbst dieses Ereignis konnte zu Ottiliens Rückkehr beitragen. Doch wäre man zu keinem Entschluß gekommen, kein Schritt wäre geschehen, hätte nicht ein unvermuteter Besuch auch hier eine besondere Anregung gegeben. Wie denn die Erscheinung von bedeutenden Menschen in irgend einem Kreise niemals ohne Folgen bleiben kann.
Der Graf und die Baronesse, welche so oft in den Fall kamen, über den Wert verschiedener Pensionen befragt zu werden, weil fast jedermann um die Erziehung seiner Kinder verlegen ist, hatten sich vorgenommen, diese besonders kennen zu lernen, von der so viel Gutes gesagt wurde, und konnten nunmehr in ihren neuen Verhältnissen zusammen eine solche Untersuchung anstellen. Allein die Baronesse beabsichtigte noch etwas anderes. Während ihres letzten Aufenthalts bei Charlotten hatte sie mit dieser alles umständlich durchgesprochen, was sich auf Eduarden und Ottilien bezog. Sie bestand aber— und abermals darauf: Ottilie müsse entfernt werden. Sie suchte Charlotten hiezu Mut einzusprechen, welche sich vor Eduards Drohungen noch immer fürchtete. Man sprach über die verschiedenen Auswege, und bei Gelegenheit der Pension war auch von der Neigung des Gehülfen die Rede, und die Baronesse entschloß sich um so mehr zu dem gedachten Besuch.
Sie kommt an, lernt den Gehülfen kennen, man beobachtet die Anstalt und spricht von Ottilien. Der Graf selbst unterhält sich gern über sie, indem er sie bei dem neulichen Besuch genauer kennen gelernt. Sie hatte sich ihm genähert, ja sie ward von ihm angezogen, weil sie durch sein gehaltvolles Gespräch dasjenige zu sehen und zu kennen glaubte, was ihr bisher ganz unbekannt geblieben war. Und wie sie in dem Umgange mit Eduard die Welt vergaß, so schien ihr an der Gegenwart des Grafen die Welt erst recht wünschenswert zu sein. Jede Anziehung ist wechselseitig. Der Graf empfand eine Neigung für Ottilien, daß er sie gern als seine Tochter betrachtete. Auch hier war sie der Baronesse, zum zweiten Mal und mehr als das erste Mal, im Wege. Wer weiß, was diese in Zeiten lebhafter Leidenschaft gegen sie angestiftet hätte; jetzt war es ihr genug, sie durch eine Verheiratung den Ehefrauen unschädlicher zu machen.