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Der Z schoß aus der letzten Biegung, und Martin starrte verblüfft geradeaus. Er trat unwillkürlich hart auf die Bremse, die Reifen quietschten, und der Z drehte sich einmal um sich selbst und blieb in einer riesigen Staubwolke knirschend am Straßenrand stehen. Der Motor war aus, weil er nicht die Kupplung getreten hatte, und der Ruck hatte die Kassette aus dem Abspieler gerissen.

Es war still. Martin saß nur da und starrte. Der Steinhaufen, der einmal eine Überführung über den Highway gewesen war, war gespalten, als wäre die Hand eines Giganten mit einem Karateschlag dazwischengefahren. Er konnte den Freeway auf der anderen Seite der Lücke sehen: frei und leer. Seine Gedanken rasten. Das Zittern, das er vor zwei Monaten im Paß gespürt hatte, mußte ein recht ansehnliches Erdbeben gewesen sein. Es hatte das Hindernis so weit auseinandergerissen, daß er hindurchfahren konnte.

Er löste den Sicherheitsgurt und stieg aus. Er nahm den Feldstecher, mit dem er sonst die Straße nach umgestürzten Bäumen absuchte. Der Asphalt, auf dem die Trümmer gelegen hatten, war rissig und verworfen, doch passierbar. Er konnte den Z hindurchbugsieren, ohne die Kotflügel aufzuschrammen. In der Ferne erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Eine Rauchsäule. Er kletterte die Überführung hinauf, vorsichtig, um seine Kleidung nicht zu beschmutzen, bis er auf einem Zementblock stand, von dem aus er den Hafen überblicken konnte. Im vollen Sonnenlicht hob er das Fernglas an die Augen.

Im Hafen ankerten mehrere kleine Boote mit geflickten Segeln. Die meisten Gebäude in der Stadt waren eingestürzt, doch hin und wieder sah er eins, das gut erhalten schien. Aus diesen Hütten stieg der Rauch von Kochfeuern auf, und er hörte das Lachen spielender Kinder in der stillen Luft. Er sah Frauen mit Säuglingen an der Brust, alte Männer mit grauen Bärten und halbnackte Jungs, die mit Speer und Bogen trainierten. Auf den Booten arbeiteten Männer, ihre dunkel gebräunte Haut glänzte vor Schweiß. Leben. Menschen. Also war er doch nicht der einzige Überlebende. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als er die Szenerie da unten beobachtete, und zum erstenmal seit zwanzig Jahren fühlte er Schmerz, echten Schmerz. Einen brennenden Schmerz, der aus seinem Bauch aufstieg und ihm die Luft nahm.

Also haben sie es doch nicht geschafft, alle Leute umzubringen, dachte er, während ihm die Tränen in Sturzbächen über die Wangen rollten. Er wischte sich die Augen und ließ das Fernglas sinken und ging zum Wagen zurück. Sein Gesicht zeigte einen entschlossenen Ausdruck, als er den Motor anließ und das Auto zum Spalt in der Überführung lenkte. Dort blieb er stehen, drehte den Motor hoch, stellte sich die bestürzten Gesichter vor, wenn er hupend, mit lauter Musik, die Straße hinunterdonnerte. Sie würden ihn für einen Gott halten. Er erinnerte sich an Wells’ Zeitmaschine. Wie hießen die Leute noch? Die ELOI? Er würde der Häuptling sein, und sein Leben würde einen Sinn bekommen, ein Ziel. Er würde König im Land der Blinden sein.

Oder ein Anormaler im Land der Normalen. Er blickte zu seiner Frau, und sie lächelte ihn an. Er erwiderte das Grinsen und legte den Rückwärtsgang ein. Er wendete gekonnt, gab dem Wagen Zunder und entfernte sich rasch vom Dorf und den Menschen.

Vielleicht im nächsten Jahr, dachte der alte Mann.

Oder vielleicht im übernächsten.

Originaltiteclass="underline" ›The Last Picasso‹

Copyright © 1982 by Ultimate Publishing Corp.

(erstmals erschienen in ›Amazing‹, März 1982)

mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Agentur Luserke, Friolzheim

Copyright © 1991 der deutschen Übersetzung Wilhelm Heyne Verlag, München

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Langowski

Illustriert von Jobst Teltschik

Richard Mueller

Bullivants Messer

Der Mann tauchte mit fuchtelnden Armen auf und fiel hin. Dann lag er ausgestreckt im Dreck, seine rechte Hand umklammerte ein Messer, die linke triefte von Blut.

Ich kannte Bullivant schon einige Jahre, bevor ich sein Geheimnis entdeckte. Zunächst schien er nur einer jener idiotischen Typen zu sein, die immer noch von der großen Zeit in Indien zehren und mit den entsprechenden Filmen eigentlich hätten aussterben müssen: C. Aubrey Smith, der in Rawalpindi oder Kanpur einen Gin Soundso trinkt und sehnsuchtsvoll zum Khyber-Paß blickt in der Hoffnung, daß Britannia von den Toten auferstehen und ihr verlorenes Reich zurückfordern möge; qualmende Stahlungeheuer von Schlachtschiffen; edelmütige Verwalter; Wachmannschaften zur Verteidigung der britischen Kolonialherrschaft und ihrer Zuckerbäcker-Türme. In einer Zeit, in der es eine Margaret Thatcher gab und Leichtmetall-Fregatten im Südatlantik bis zur Wasserlinie in Flammen standen, war Bullivant wirklich ein äußerst absonderlicher Vogel. Aber während der längsten Zeit unserer Bekanntschaft hatte ich keine Ahnung, wie absonderlich er tatsächlich war.

Zum erstenmal entdeckte ich den alten Knaben in einem der Lesesäle des Britischen Museums, und ich war auf der Stelle fasziniert. Es war nämlich ein brütendheißer Tag im Juli, so schlimm wie seit acht Jahren nicht mehr. The Times führte das auf die Zerstörung der Ozonschicht zurück, und der BBC hatte vorausgesagt, daß die Hitze bis September anhalten würde. Und hier saß ein Mann, der in so viel Tweed eingepackt war, daß die Klinge eines Breitschwerts nicht hindurchgedrungen wäre. Ich bin Amerikaner und bis zu einem gewissen Grad taktlos, und ich befürchte, daß ich ihn ziemlich unverhohlen anstarrte, als er aufblickte.

»Nun, hmp, hmp, hust«, sagte er – genau wie Major Hoople: hust. Er blinzelte, klemmte sich ein Monokel ins rechte Auge und zog die Oberlippe bis übers Zahnfleisch hoch.

»Ahem«, fuhr er fort, und sein Sprechmechanismus kam langsam in Gang. »Kann ich, ehm, ehm, Ihnen irgendwie behilflich sein?«

»O nein. Verzeihung. Ich wollte Sie nicht so anstarren.«

»Warum haben Sie es dann getan?« knarzte er mich an.

»Ich habe mich gefragt, wie … also, wie jemand es bei diesem Wetter in so dickem Tweed aushalten kann.«

»O ja«, sagte er, während er sein Monokel aus dem Auge nahm und es mit einem blütenreinen Taschentuch polierte. »Es ist in der Tat ziemlich warm, nicht wahr?«

Ich trug eine leichte Sommerhose und ein kurzärmeliges Hemd, und trotzdem lief der Schweiß in Bächen an mir hinunter. »Es ist kochend, sogar hier drin. Wie können Sie das aushalten? An einem so rasend heißen Tag …«

Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, das aber sofort wieder einem würdevollen Ausdruck wich.

»Sie sind Amerikaner?«

»Ja, sieht man das?«

»Ehm, nein, urrump. Ihre Ausdrucksweise. Rasend heiß. Das ist eine typische Redewendung. Guten Tag.«

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Buch zu, und damit war die Unterhaltung unwiderruflich beendet, Schluß, aus, als ob sie nie stattgefunden hätte. Meine Frage nach dem Tweed blieb unbeantwortet. Erstaunlich! Ich hatte sogar Vorstellungsgespräche bei der Stellensuche erlebt, die erheblich flüssiger liefen als diese Unterhaltung … Er war wieder vollkommen in seine Lektüre vertieft. Mit einem Achselzucken beschäftigte ich mich wieder mit meinen Studien über die republikanischen Tendenzen im alten Rom … Wenn ich zu Hause von der Begegnung mit ihm erzählte, würde das immerhin eine ganz nette Geschichte abgeben.

In den folgenden Tagen sah ich Bullivant mehrmals (obwohl ich damals seinen Namen nicht kannte), und er steckte jedesmal in seiner Tweed-Rüstung, ungeachtet der Hitze, die Londons Straßen in einen Backofen verwandelte und sogar die Klimaanlage des Museums wirkungslos machte. Bei einigen Gelegenheiten nickte ich ihm zu und erhielt als Antwort ein Blinzeln aus seinem Bibergesicht, doch weiter kümmerte ich mich nicht um ihn. Erst als ich Bullivant ein paar Tage später in einem Pub in der Nähe des Museums traf, sprach ich wieder mit ihm.