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Er hatte sich in einer Ecknische niedergelassen, vergraben hinter Stapeln von Büchern, ein Gin Fizz sprudelte unberührt neben seinem Ellbogen vor sich hin. Der Raum war unter einer Reihe vergeblich sich drehender Ventilatoren an der Decke der Hitze ausgeliefert, aber Bullivant war immer noch in voller Montur. Er machte nicht einmal den Eindruck, als ob ihm warm wäre.

Ich hatte einen erfolglosen Tag hinter mir, da ich eine falsche Spur verfolgt hatte, und nachdem mir ein Glas von Arthur Guinness’ verhängnisvollem Gebräu Mut gemacht hatte, rutschte ich auf die Bank ihm gegenüber.

»Was machen Ihre Studien? Kommen Sie voran?«

»Ah, der junge Amerikaner! Ihnen macht die Hitze wohl ganz schön zu schaffen, wie?«

Es war offensichtlich, daß es so war, da mir das Hemd klatschnaß am Körper klebte. »Ihnen hingegen scheint sie überhaupt nichts anzuhaben«, sagte ich.

»Hm, nein, das stimmt nicht. Das ist das Bemerkenswerte an Tweed, man sieht keine Flecken.«

»Aber …«

Er legte mir eine Hand auf den Arm und bedachte mich mit einem väterlichen Lächeln, als er sagte: »Natürlich empfindet man die Hitze. Aber das wichtigste ist, daß man es nicht sieht, wissen Sie. Das wäre ein schlechtes Vorbild.«

Vor meinem geistigen Auge tauchte das Bild von G. Gordon Liddy auf, dessen Hand sich in einer Kerzenflamme in einen gut durchgebratenen Hamburger verwandelte. Ein schlechtes Vorbild? Für mich?

»Wo haben Sie diesen Trick gelernt?« fragte ich.

Ein breites Grinsen, eine undeutliche Geste, mit der er den gesamten geheimnisvollen Osten beschrieb. »In Indien, glaube ich. Ich war dort Verwalter, im Dienste der Krone.«

Ich rechnete im Kopf nach. Indien war vor über vierzig Jahren unabhängig geworden, und Bullivant sah kaum alt genug aus, daß er im Zweiten Weltkrieg hätte Rekrut sein können. Im äußersten Falle konnte er ein guterhaltener Mittsechziger sein …

»Haben Sie in Indien Erfahrung mit geistiger Disziplin gemacht? Vielleicht Yoga gelernt?«

Bullivant sah mich an, als hätte ich ihm gerade ernsthaft eine Reise zum Mond auf einem fliegenden Teppich vorgeschlagen. Ich hatte das Gefühl, hoffnungslos amerikanisch zu sein.

»O nein, mein Bester. Nichts dergleichen. Schließlich hätte das bedeutet, sich den Eingeborenen anzugleichen. Es blieb alles streng britisch, seien Sie versichert. Es war die Art, sich in allen Situationen zivilisiert zu verhalten, niemals die Würde zu verlieren, wissen Sie. So waren wir, durch und durch.«

Mehrere Wochen lang sah ich Bullivant mal hier, mal dort, im Museum, in verschiedenen Pubs und Teehäusern im Viertel und gelegentlich auch auf der Straße. Wir tauschten die üblichen Höflichkeitsformeln aus, erkundigten uns jeweils nach der Arbeit des anderen und sprachen über unsere Angelegenheiten in äußerst unverbindlichen Gemeinplätzen. Tatsache ist, daß ich so gut wie nichts über Bullivant erfuhr. Er hatte im Dienst der Kolonialregierung in Indien gestanden und einige Unruhen miterlebt; jetzt lebte er allein in einer Wohnung in der Nähe des Museums; er schien auf dezente, fast wohltätige Weise rassistisch zu sein, ihm fehlte der kleine Finger der linken Hand, und er betrieb Studien über jenen Zeitabschnitt in der Geschichte Indiens, der unmittelbar vor dem Sepoy-Aufstand lag und in dem es einen obskuren Hindu-Kult gegeben hatte. Ich bin sicher, daß er entschieden mehr über mich erfuhr. Ich bin von Natur aus gesellig, und einer von uns mußte schließlich die Unterhaltung in Gang halten.

Vor meiner Abreise zurück nach Kalifornien versuchte ich, ihn noch einmal zu treffen, aber der Angestellte im Lesesaal deutete an, daß er nach Edinburgh gefahren sei, um ein ausgefallenes Buch aufzutreiben. Ich hinterließ eine Abschiedsnotiz für ihn am Informationsschalter und flog über die Polarroute nach Hause.

Einige Wochen später erhielt ich zu meiner größten Überraschung einen Brief von Bullivant mit hundert Pfund in englischen Banknoten.

Lieber Michael,

es tut mir außerordentlich leid, daß ich bei Ihrer Abreise nicht da war, aber ich war landaufwärts unterwegs, um Nachforschungen anzustellen, die – so fürchte ichkeine Ergebnisse gebracht haben. Vielleicht könnten Sie, da Sie in Los Angeles vermutlich Zugang zu den Pfründen frühester okkulter Werke haben, mir einen Gefallen erweisen. Bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß Ihre Bemühungen in höchstem Maße honoriert werden.

Ich bin auf der Suche nach einem seltenen Buch, das in einer limitierten Auflage im Jahre 1824 in Bombay gedruckt wurde: Die Twaschri-Mysterien von Horace de Bowden. Wenn es Ihnen tatsächlich gelingt, ein Exemplar davon aufzutreiben, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es mir per Einschreiben zusenden würden.

Ergebenst,

Ihr D. Bullivant

Dann folgte seine Adresse, die Wohnung in der Nähe des Museums. Die Weihnachtsferien standen vor der Tür, es war mir nicht geglückt, eine der Frauen, die mir gefielen, für eine Beziehung zu gewinnen – weder fest noch flüchtig –, und mein Studienaufenthalt in England hatte meine Ersparnisse aufgezehrt, weshalb ich gezwungen war, in der Stadt zu bleiben. Die Suche nach einem ausgefallenen Buch war für mich also eine willkommene, interessante Beschäftigung.

Ein Besuch in der öffentlichen Bücherei ergab, daß Twaschri eine Hindu-Gottheit war, die für Wissenschaft, Technik, Magie, Erfindungen und dergleichen zuständig war, und entsprechend konzentrierte ich meine Suche, aber weder bei Aleph Books noch im House of Hermetics noch bei Bodhi Tree konnte ich etwas darüber erfahren. Ich klapperte einige ausgefallene Antiquariate ab und fuhr sogar hinaus zu The Scene Of The Crime, in der vagen Hoffnung, daß ich dort den wahren Mysterien auf die Spur käme. Alles ohne Erfolg. Dann tat ich das, was ich von Anfang an hätte tun sollen. Ich rief Juli Denner an.

Als ich vor etlichen Jahren nach Los Angeles gekommen war, war Juli die erste Frau, mit der ich ein Verhältnis hatte. Getreu nach dem Tschechow-Prinzip wurden wir gute Freunde, nachdem die Flamme der Liebe erloschen war. Sie hatte inzwischen geheiratet, und unsere Interessen hatten sich in ganz unterschiedliche Richtungen entwickelt, aber wir waren immer in Verbindung geblieben. Wenn sie eine Frage auf dem Gebiet der Geschichte hatte oder eine Quelle für einen Aufsatz oder eine Erzählung brauchte, war ich derjenige, den sie anrief. Und Juli war für mich die Kapazität in Sachen Okkultes.

»Michael, ich dachte du wärst tot oder in England!«

»Aus dem Grabe auferstanden, sonst nichts. Ich bin seit Oktober zurück.«

»Also, du hättest ja mal schreiben oder anrufen können, als du wieder hier warst …«

Ich ließ ihre berechtigten Beschwerden widerspruchslos über mich ergehen und wartete, bis sie fertig war, dann sagte ich: »Ich werde es wiedergutmachen. Ich lade dich und Robert zum Essen ein. Zu irgend etwas Feinem, Ausgefallenem, wie gebratene Gans …«

»Robert macht zur Zeit eine Stippvisite in San Francisco, aber ich nehme gern an. Wie wär’s mit Sushi?«

Ich fand, daß sich das ausgefallen genug anhörte, und wir trafen uns am gleichen Abend im Restaurant ›Ai-Garten‹.

»Die Mysterien von Twaschri?«

»Die Twaschri-Mysterien«, sagte ich und wälzte eine Thunfischrolle im Mund. »Schon mal gehört?«