Juli warf das wallende schwarze Haar zurück und schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie davon gehört, aber das heißt nicht, daß ich es nicht finden kann. Ich kenne sogar tatsächlich jemanden, der vielleicht ein Exemplar besitzt. Wir können später zu ihm gehen und ihn fragen, wenn du Lust hast.«
Ich fand, das hörte sich gut an. »Wer ist der Typ? Ein Sammler?«
»Könnte man sagen. Es ist der Baron.«
»Wirklich?«
Als ich Juli kennenlernte, arbeitete sie in einem esoterischen Buchladen und war sehr stark in der okkulten Szene von Los Angeles engagiert. Sie besuchte Kurse für weiße Magie und Seancen und kannte durch ihre Tätigkeit in dem Laden viele Leute quer durch alle Bereiche der angewandten Magie in Los Angeles. Einer davon war der Baron.
Ich war dem Comte Adrian de Servais, Baron von Hankau, niemals persönlich begegnet, aber ich wußte von Juli, daß seine Magie alles andere als weiß war, sondern schon ganz erheblich ins Dunkelgrau tendierte. Adrian, Kosmopolit, Antiquar und Sammler war ein berüchtigter Homosexueller von unbestimmbarem Alter, von dem Gerüchte besagten, daß er einst Berater der Königin von China gewesen und geflohen sei, nachdem er im Boxeraufstand 1905 in Ungnade gefallen war. Dieser sonderbare Mann war eine der kuriosesten Erscheinungen der Untergrundszene von Los Angeles, und ich sollte ihn jetzt kennenlernen.
»Paß auf, daß du ihm nicht irgendwie zu nahe trittst, Michael. Adrian ist in der Weihnachtszeit immer leicht reizbar.«
Und ob ich aufpassen würde! »Ich werde auf der Hut sein.«
»Gut. Er besitzt ziemlich viel Macht. Und ich möchte nicht, daß dir etwas passiert.«
Ich hoffe, Sie wissen das zu würdigen, Bullivant.
Der Baron entpuppte sich als ein Ausbund an Zuvorkommenheit. Nachdem er mich mit einem unverhohlen abschätzenden Blick gemustert hatte, wandte er sich an Juli und sagte: »Ich werde deinem Freund helfen. Seine Absichten sind ehrenwert und dienen der Wissenschaft und Forschung.« Nicht schlecht, nachdem ihm Juli bis jetzt nur meinen Namen genannt hatte! »Und übrigens, meine Liebe, er hat Schlafzimmer-Augen.«
In der Annahme, daß ich mit Juli sicher wäre, folgte ich den beiden nach drinnen. Adrian war ein kleingewachsener Mann, wendig und mit eleganten Bewegungen, er trug einen Kinnbart und einen bizarr gezwirbelten Schnauzer. Ich habe niemals an das Übersinnliche geglaubt (obwohl ich Julis Hingabe daran respektiere und schätze, daß irgend etwas daran sein muß – sie ist schließlich kein Dummchen), aber Adrian strahlte etwas aus, dem man sich nicht entziehen konnte. Eine Aura, eine magnetische Kraft oder so etwas. Bei unserem Rundgang durch sein barockes, hochherrschaftliches Haus forderte er mich auf, ein Artefakt eingehender zu betrachten, und rief mich zu diesem Zweck mit einem Fingerschnalzen zu sich, bei dem ich die Kraft fast körperlich spürte. Ich wußte nicht, was er alles besaß, und wenn ich es gewußt hätte, hätte ich sicher nichts davon haben wollen, aber in einem Punkt hatte ich keinerlei Zweifeclass="underline" Er hatte es. Ich fragte mich, wie Bullivant wohl auf ihn reagiert hätte.
Während der Betrachtung von chinesischen Messingarbeiten drehte sich der Baron unvermittelt zu mir um. »Also, was wollten Sie noch mal, Michael?«
»Ein Buch. Die Twaschri-Mysterien …«
»Von de Bowden.« Seine Augen leuchteten auf. »Ihr Freund hat einen guten Geschmack.«
»Sie kennen es?«
»O ja. Gedruckt in Bombay im Jahre 1824 in einer limitierten Auflage von fünfhundert Exemplaren. Nach dem Druck entschieden die christlichen Behörden«, und hier leckte er sich mit einem ziemlich finsteren Ausdruck des Mißfallens über die Lippen, »daß das Buch gotteslästerlich sei, und alle Exemplare wurden vernichtet.«
»Oh!« entfuhr es mir und Juli gleichzeitig.
»So dachten sie wenigstens.« Er lächelte. »Eine Kiste mit zehn Exemplaren war aber bereits auf dem Weg nach England. Drei davon besitze ich.«
»Tatsächlich? Wären Sie bereit, eins davon zu verkaufen?« fragte ich.
»Das wäre ich. Mit wieviel hat Sie Ihr exzentrischer Freund ausgestattet, um diese Anschaffung zu finanzieren?«
Mir schien es sinnlos, zu lügen. »Einhundert Pfund.«
»Geben Sie sie mir.« Er blätterte durch die Banknoten.
»Ich werde fünfzig Pfund für das Buch nehmen, da ich noch zwei weitere Exemplare davon besitze und es für ein zwar interessantes, aber törichtes Werk halte; aber wer weiß schon, wonach der Sinn eines Menschen steht? Sie beide können sich dreißig Pfund sozusagen als Finderlohn teilen und zwanzig Pfund an diesen Bullivant zurückschicken, um ihm zu zeigen, welchen guten Fang Sie für ihn gemacht haben. Und ich bin überzeugt, daß über diese Regelung alle Beteiligten glücklich sein werden. Wollen wir jetzt Tee trinken?«
»Also, ich kann mich über den Baron nicht beschweren«, sagte ich, als wir über die Hügel Hollywoods zurückfuhren.
»Du gefällst ihm«, sagte sie stolz. »Das macht viel aus.«
»Wahrscheinlich schon«, sagte ich und dachte an das sonderbare kleine Buch, das wir gekauft hatten und von dem Adrian drei Exemplare besessen hatte. Drei von zehn! »Und wenn es nicht so gewesen wäre, hätte er mich dann in eine Kröte verwandelt?«
»Über solche Dinge solltest du nicht sprechen«, sagte sie ruhig. »Würdest du mir einen Gefallen tun?«
»Klar.«
»Bleib heute nacht bei mir und schlaf im Gästezimmer. Ich möchte mir morgen mit dir das Buch ansehen, bevor du es wegschickst.«
Das Unterfangen war eine Enttäuschung. Ich blieb tatsächlich im Gästezimmer, was ich wohl auch nicht anders erwarten konnte, und das Buch erwies sich als langweilig. Es beschrieb eingehend die Entwicklung eines mystischen Kults in Indien während der Zeit der napoleonischen Kriege; angebetet wurde dabei Twaschri, eine Hindu-Gottheit der Wissenschaften. Vieles davon war obskur und offensichtlich tendenziös dargestellt, so als ob de Bowden selbst wirklich an den Kult geglaubt hätte. Es waren langatmige Anrufungen an die Gottheit, Wort für Wort wiedergegeben, es gab seitenweise komplizierte Rituale, merkwürdige rassistische Schmähreden – gegen die Moslems und die Briten –, uninteressante Ahnenforschungen und fragwürdige Symbole, die angeblich die Mysterien versinnbildlichten: das feurige Tor, das Rad der Vernichtung, das Schwert der Zeit, die juwelenbesetzte Krone, sprechende Statuen. Die ganze Abhandlung war verworren, etwa wie die Nazi-Machwerke, die einen nicht existierenden Judenhaß des Mittelalters nachweisen wollten. Ich schüttelte den Kopf, schickte das Buch und die zwanzig Pfund mit der Post an Bullivant und vergaß die ganze Sache bald darauf.
Vier Jahre später erhielt ich eine Einladung als Gastdozent nach Manchester, und als ich mich gerade auf die Reise vorbereitete, rief mich Juli an.
»Wirst du diesmal schreiben?«
»Natürlich werde ich das. Ich werde ein ganzes Jahr lang weg sein und Vorlesungen halten. Ich schätze, da werde ich mich ganz schön einsam fühlen.«
»Ich habe Adrian erzählt, daß du fährst. Er bat mich, dir etwas auszurichten.«
»Aha?«
»Er sagt, er hat etwas über Bullivant herausgefunden.«
»Was?« Bullivant hatte geschrieben, um mir für das Buch zu danken, und wir hatten seither jährlich Weihnachtskarten ausgetauscht, immer nach dem gleichen Schema: meine im Rundschreib-Verfahren, seine mit einer gestochen feinen Schrift.
»Adrian hat sich mit Fällen von mysteriösem Verschwinden beschäftigt. Nicht nur mit den großen wie die von Ambrose Bierce und Judge Crater, sondern vor allem mit den kleinen, geheimnisvollen.«
»Klingt nach Begegnungen der dritten Art.«
»Wenn du so willst. Jedenfalls stieß er auf die Erwähnung eines David Bullivant, eines Gebietsverwalters im Distrikt Lakhnau, der im Jahre 1842 spurlos verschwand. Es ging das Gerücht, daß er sich zum Zeitpunkt seines Verschwindens mit der Erforschung eines speziellen Kults beschäftigte – ohne genauere Angaben, aber Adrian ist sicher, daß es sich um Twaschri handelte.«