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Wie in einer Reihe aufgefädelter kleiner Diamantensplitter brach sich das Licht auf der Klinge. Ich konnte die eigentliche Schneidekante nicht sehen, da sie nicht stillstand, daß sich meine Augen hätten darauf einstellen können, sondern die Reflexe in sich zusammenfallen und sich auszudehnen schienen wie die Nachempfindungen auf der Netzhaut, die einem unter den Augenlidern hindurchfluten, wenn man sie ganz fest schließt.

»Da!« sagte er. »Sie wissen, was es ist?«

»Ich glaube, die entscheidende Frage ist, wo es ist«, murmelte ich. »Es ist nicht hier.«

»Sondern wo?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht in einem anderen Universum.«

Bullivant rieb sich die Augen, als ob er die Wirklichkeit/Unwirklichkeit dessen, was er vor sich sah, wegwischen wollte, und sagte dann: »Ich bekomme davon Kopfschmerzen. Ich werde mich zur Ruhe begeben. Würden Sie morgen wiederkommen?«

Ich verbrachte den Tag in der Bibliothek und verglich alles miteinander, was in der Science Fiction- und Fantasy-Literatur über Zeitreisen vorkam. Ich plätscherte in den seichten Gefilden allerlei sonderbarer Werke herum und kam schließlich zu der Einsicht, daß ich nichts davon verstand. Gegen Abend kaufte ich unterwegs die Zutaten für ein paar Hamburger und Salat und schleppte mich müde zu Bullivants Wohnung.

Er saß in der Küche, das Messer lag vor ihm; die sinnenverwirrende Schneidekante hatte er mit einem Tuch abgedeckt.

»Bullivant, was meinten Sie damit, als Sie sagten, daß das Messer nicht richtig schneidet?«

»Es schneidet nicht. Hier, ich werde es Ihnen zeigen.«

Er nahm es unter dem Tuch hervor und trug es zur Abtropffläche der Spüle. Dann legte er die Hand flach auf den hochstehenden Rand und hielt das Messer schneidbereit darüber.

»Was machen Sie denn da?« schrie ich.

»Sehen Sie genau hin!« Er senkte das Messer, bis es seine Hand in zwei Teile teilte und zur Hälfte eingedrungen war. Es kam kein Blut, und als er das Messer herauszog, war keine Spur einer Wunde zu sehen.

»Aber wie …«

»Ich weiß es nicht. Aber wenn ich das Messer vollständig meine Hand durchdringen ließe …«

»Was geschähe dann?« fragte ich, wobei meine Stimme nur noch ein Flüstern war.

Bullivant zuckte die Achseln. »Ich bin nicht sicher. Aber wir können es ja einmal ausprobieren. Geben Sie mir eine von den Tomaten, die sie mitgebracht haben.« Er legte die Tomate behutsam auf die Abtropffläche und brachte das Messer darüber in Stellung. »Sehen Sie bitte wieder genau hin. Das Ganze läuft sehr schnell ab.«

Er senkte das Messer bis zur Hälfte in die Tomate und zog es dann zurück. Und wieder waren kein Einschnitt und keine Spuren an der Klinge zu sehen. Dann führte er die Klinge vollständig durch die Frucht, und sobald sie die Fläche darunter berührte, verschwand die Tomate – unvermittelt und lautlos.

»Wo ist sie hin?« fragte ich, als ich wieder sprechen konnte.

Er zuckte die Achseln. »Sie verschwindet einfach. In die Vergangenheit. In die Zukunft. Und so etwas Ähnliches muß auch mit mir geschehen sein.«

»Darf ich es auch einmal ausprobieren?«

Er reichte mir die Waffe mit der Ermahnung, vorsichtig zu sein. Sie wog fast nichts. Ich erinnerte mich daran, daß viele Leute, die sich mit der Erforschung der Magie beschäftigten, glaubten, daß die sogenannten magischen Artefakte sich bis in parallele Zeitebenen oder Universen ausdehnen und ihre Substanz, ihre Masse und ihr Gewicht nicht in dieser Welt seien. Tatsächlich war es ja auch diese Verbindung zu einer anderen Welt, die diesen Gegenständen angeblich ihre Kraft verlieh. Das Schwert der Zeit schien diese Theorie sehr überzeugend zu bestätigen. Ich nahm ein Bündel Karottenstiele aus dem Mülleimer und hielt das Messer – und zwar nur die Spitze – mitten darüber. Als die Spitze der Klinge hindurchfuhr, verschwanden auch sie. Pau! dachte ich nicht besonders geistreich. Wenn man ein solches Werkzeug gezielt einsetzen könnte, das Gegenstände halbiert in die Zukunft schickte … Die Zukunft?

»Bullivant, schnell! Haben Sie gestern, als ich hier war, ein Bündel Karottenstiele weggeworfen? Erinnern Sie sich!«

»Ja, das habe ich«, sagte er unsicher. »Es ist nicht meine Art, Gemüseabfälle für die Ameisen herumliegen zu lassen.«

»Sie haben es nicht getan. Ich habe es getan.« Ich erklärte ihm, was ich gemacht hatte.

»Aber die Dinge, die ich durchschneide, erscheinen niemals wieder. Sind niemals wieder erschienen.«

»Vielleicht hat es etwas mit der Breite der Klinge zu tun. Ich habe sie mit der dünnsten Stelle durchgeschnitten, mit der Spitze. Dieser Blutfleck auf der Klinge? Stammt der von Ihnen?«

»Ja, ich glaube. Ich glaube, auf diese Weise bin ich hierher gekommen. Und er befindet sich an der breitesten Stelle der Klinge! Sie glauben doch wohl etwa nicht …«

Ich machte das Abendessen, und wir redeten bis spät in die Nacht. Wenn die linke Seite der Klinge Gegenstände in die Vergangenheit und die rechte Seite in die Zukunft schickte, dann hätte, als er seinen linken kleinen Finger durchschnitt, dieser entsprechend irgendwo in der Gegend um 1700 sich wieder materialisieren müssen, vorausgesetzt natürlich, daß das Gewicht eines Gegenstandes keine Rolle spielte. Und das erklärte auch, warum der Blutfleck nur auf der rechten Seite der Klinge war. Das Blut von der linken Seite war in die Vergangenheit geschleudert worden, während sich das Messer zeitlich nach vorn bewegte, da es Bullivant ja festhielt. Zeitreisen nach dem Bootstrap-System.[1]

Wenn man von dieser Theorie ausging, überlegte Bullivant, dann müßte er, wenn er das Messer in der linken Hand hielt und seinen rechten kleinen Finger abschnitt, zurück in seine eigene Zeit versetzt werden, vorausgesetzt natürlich, daß er das Messer genau mit dem Blutfleck an seinem Finger ansetzte.

»Aber warum? War Ihre Zeit denn soviel besser als diese? Ich hatte gedacht, Sie hätten sich mittlerweile daran gewöhnt?«

»Das habe ich«, sagte er und fuhr mit den Fingern über das Bücherregal. »Die vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts waren primitiv. Wir sind inzwischen so viel weiter entwickelt. Es war nicht leicht, so weit zu kommen …«

Dann sagte er nichts mehr, und bald darauf ging ich zurück in mein Hotel. Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln des Telefons geweckt.

»Ja bitte?«

»Michael, hier ist David Bullivant. Würden Sie mir wohl einen Gefallen tun?«

»Selbstverständlich. Sofern ich es in den nächsten Tagen erledigen kann. Am Samstag mache ich mich auf den Weg nach Manchester.«

»Kein Problem. Es geht nur darum, daß Sie ein paar Pakete für mich abholen sollen.« Er nannte den Namen eines bekannten Kaufhauses und von zwei weiteren, die mir kein Begriff waren, und dann sagte er: »… und noch zwei weitere Dinge. Es hört sich vielleicht komisch an, aber bitte tragen Sie es mit Fassung.«

Ich dachte zurück an unsere erste Begegnung im Britischen Museum und bezweifelte, daß er mich noch überraschen könnte, aber es gelang ihm. »Ich möchte, daß Sie einen kurzen Bericht über unsere Bekanntschaft niederschreiben, einschließlich aller Details, ihn unterschreiben und datieren. Als ob Sie das Ganze jemandem erklären müßten, der keinen von uns beiden kennt. Lassen Sie bitte nichts aus. Könnten Sie das tun?«

»Ja, ich glaube schon. Und das andere?«

»Kaufen Sie ein Buch, schreiben Sie mir eine Widmung hinein, unterschreiben und datieren Sie sie.«

»Ein Buch?«

»Ja, irgendein Buch.«

»Hören Sie, Sie haben doch wohl nichts Gefährliches vor, oder?« fragte ich, da ich plötzlich Angst hatte, unsere sonderbare Bekanntschaft könnte zu einem Ende kommen und ich den merkwürdigen alten Kauz verlieren.

»Nein, nein, nur ein Experiment. Wenn Sie alles besorgen und morgen so gegen – sagen wir – acht hier aufkreuzen könnten, dann werde ich Ihnen alles erklären.«