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»Wie sah es aus?«

»Schlimmer als die Medusa. Der Kopf wie der einer Schlange und lange Ohren wie ein Maultier. Groß wie ein Stier, und auf dem Rücken hat ES Flügel … wie … ja, wie Flossen … oder nicht, nein, eher wie bei einer Fledermaus. Ein gewaltiger Rachen, und Augen wie die Hölle, möge uns der heilige Stephan beschützen …«

Der Greis bekreuzigte sich abermals.

Herr de Gozon räusperte sich, doch schwieg er. Der Bauer kniff die Augen zusammen.

»Schrecklich anzuschauen! Die Jungen, versteht sich, waren ausgerissen, Hammel da, Hammel hier – beim heiligen Glauben, ich kann ihnen keine Vorwürfe machen. Drei meiner Schafe fraß ES auf!« heulte er, von einem nachträglichen Gefühl der Verzweiflung befallen.

»Drei? Für einen Drachen nicht gerade viel.«

»Du mußt wissen, das Ungeheuer ist flink – das heißt, für die Schafe zu schnell. Es brach unter die Tiere wie der Fuchs in den Hühnerstall, berichteten meine Söhne; nur daß das Untier einfach geradeaus rannte ohne Haken und Ecken. Eine Woche später geschah das gleiche dem Josif Grinaldis und seinen Nachbarn … bei der heiligen Dreieinigkeit! Seitdem meiden wir das Tal wie die Pest – und was für herrliche Wiesen das dort sind!«

»Ihr seid Hasenfüße«, befand der Ritter.

»Da magst du recht haben, Herr!« Der Alte zog die Achseln hoch und verdrehte beide Hände zu einer Geste. »Wir sind keine Leute des Schwertes; obwohl, vor Wölfen fürchten wir uns nicht. Nein, vor denen keineswegs, aber jenes Ungeheuer ist für uns zu schrecklich – eine Gottesstrafe«, folgerte er, schicksalsergeben.

Schweigend zogen sie weiter, ließen die tote Kapelle hinter sich und kamen in das wunderbar kühle, beschattete Tal hinab. Es war eine Labsal, doch nur für eine Weile. Der Ritter setzte den Helm wieder auf. Der Pfad verlor sich in dichtem, hohem Gras, die Felswände hauchten Schimmel und Feuchtigkeit aus, und dazu noch etwas …

Zuerst blieben die Hunde stehen. Sie witterten, hoben ihre stumpfen Schnauzen. Das kurze Nackenhaar sträubte sich ihnen, zwischen den Zähnen beider drang ein mißtrauisches Knurren hervor. Jetzt wurde auch die Stute unruhig und fing an zu tänzeln. Von Westen wehte der salzige Geruch des Meeres.

Doch mischte sich nun ein deutlicher Geruch von Moschus von woanders her bei. Der Wechsel aus der hitzeflimmernden Öde in diese dunkle Ecke war zu jäh, oder …?

»Das, das hier – hier ist die böse Stelle.«

Der Alte lief mit seinen schaukelnden Schritten schnellstmöglich weiter, im Vorbeigehen auf den Felsenvorsprung deutend, der das Tal überragte. Als auch der Junker unschlüssig und langsam weiterritt, hielt sich der Bauer sorgfältig auf der höhlenabgewandten Seite des Pferdes und erklärte: »Da hinten ist das Loch und dort haust ES … Du kannst noch in die Stadt zurückkehren, Gebieter«, ergänzte er verlegen.

Der Junker folgte dem Finger des Bauern und drehte sich auf dem Sattel nach rechts um. Für eine Weile überkam den Krieger gänzliche Verzagtheit, die starke Furcht vor dem Unbekannten. Aber entschlossen schüttelte er die unedle Angst ab und sprang vom Sattel. Dem Greis warf er den Zügel hin und befahclass="underline"

»Warte hier auf mich, Geronimu … für den Drachen wäre das Roß zu schade, wie?« Er lachte etwas gezwungen und fügte hastig und kleinlaut hinzu: »Ich komme ja wieder …«

Die Furchen in dem braunen Antlitz zogen sich zusammen. Sie gaben dem Gesicht das Aussehen einer eingeschrumpften Olive. Er griff nach des Ritters Hand und küßte sie heftig.

»Du bist gütig, Gebieter! Du hilfst dem armen Volk, fürchtest nicht das Verbot des Komturs … aber … wenn du die geringsten Bedenken hegst, laß ab, ja, kehre lieber um, wir können es verstehen! Zu gütig bist du, Gebieter«, scholl es zum wiederholten Mal aus seinem zahnlosen Munde.

Der Gewappnete entriß ihm die Hand und überlegte. Seine Stirn verfinsterte sich. Der Großmeister des Ritterordens, Ellion de Villanova, hatte in einem Edikt befohlen, daß sich niemand, ob Ritter oder Gemeiner, der bösen Stelle auf weniger als zehn Stadien nähere – bei Verlust der Kehle und des Vermögens. Schwer zu sagen, was eigentlich den Großkomtur zu einer solchen Strenge veranlaßt hatte. Vielleicht wollte er das Leben seiner Bevölkerung nicht noch mehr gefährden; jedenfalls haßte er die Jagdleidenschaft seiner Ritter. Erfahrungsgemäß waren die tüchtigen Jäger wenig tüchtige Krieger gegen die Ungläubigen.

Vielleicht hielt der Komtur das Wesen keineswegs für ein Teufelstier, sondern für die Strafe des Herrn … da wäre es gar eine Lästerung, dem schrecklichen Wesen den Garaus zu machen.

De Gozon bekreuzigte sich, genau wie Geronimu und in dieser Geste war – wie schon unsichtbar die Angst beider gezeigt hatte – nichts mehr übrig, was den stolzen, jungen Herrn von dem alten ausgenutzten Bäuerlein unterscheiden mochte.

Es ist schandbar, den Drachen auf der Insel Rhodos sein Wesen treiben zu lassen, und das, obwohl so viele tapfere Ritter untätig herumsitzen – und es ist undenkbar, daß er, ein Edelmann aus dem stolzen Geblüt der Gascogner den Lindwurm nicht herausforderte – er, der keinen Sarazenen fürchtete. Dieses Vieh ist nicht Gottes, sondern des Teufels! Der Edelmann hatte sich entschieden.

Er schloß das Visier am Helm, warf den schwarzen Mantel mit dem weißen Achtkantkreuz über und faßte mit der Linken den Schild mit seinem Wappen.

Das Laufen in der Panzerung gestaltete sich hinderlich, obwohl es nur leichte Rüstung war, die er trug. Zum Glück war es hier kühl. Als er den Steilhang zunächst einmal umging, öffnete sich jedoch das Tal vor ihm, und die mörderische Sonnenglut prasselte wieder voll auf ihn hernieder und begann die eiserne Ausrüstung zu erhitzen. Er mußte schon wieder das Visier lüften.

Er blieb stehen.

So, wie er jetzt verharrte, stieg rechts das andere, fast schwarze Felsmassiv auf, das steil ins Meer abfiel. Er selbst befand sich dicht bei dem ominösen Höhlenhügel. In halber Höhe einer Böschung klaffte das finstere Loch. Er gab sich einen Ruck und lief auf die Wand mit der Höhle zu. Der Moschusgeruch kam von dort und wurde, je mehr sich die Nase der Örtlichkeit näherte, zum Gestank. De Gozon zitterte und konnte diese Schwäche nicht unterdrücken. Er spürte heiße und kalte Schweißtropfen im Nacken. Die Schläge des Herzens hämmerten gegen den Brustpanzer. Nie hatte er so drastisch erfahren, was ihm bisher hauptsächlich als Redensart geläufig war: Die Beine wurden ihm schwer wie Blei. Mühsam klomm er die Böschung hinan, die Lanze aus Eschenholz benutzend. Der schwere, durchdringende Mief schien ihn ertränken zu wollen. Es war nicht nur die Atemnot. In dieser Art Gestank lag etwas Geheimnisvolles, etwas unmenschlich Grausames und Ferneliegendes – aus längst verlorenen Zeiten, als kein Mensch auf der Erde war, als nach des Allmächtigen Willen das Leben noch infernalisch und wild brodelte. Denn es gab noch niemanden, dem es schaden konnte.

Deodat stand wie angewurzelt und schrie, seine ausgetrocknete Kehle vergewaltigend: »Du da, kriech schon raus – komm, wenn du keine Angst hast …«

»HAST, HASt, HAst, Hast, hast …«

Der Widerhall verebbte an den Hängen gegenüber im Gewirr der schütteren Lorbeersträucher zwischen nackten Steinen. Unten erstickte er in dem weichen Wiesenboden, wo der Bach rann. Kein Laut von Geronimu und den Hunden – ringsum Stille. Nur das Wasser murmelte im Kies, und von weitem raunte das Meer.

Die Angst ließ nach, aber der beißende Geruch entfachte in der äußerlichen Ruhe eine andere, innere Unruhe. Gegen das Anstinken kämpfend klomm der Geharnischte sich bis nahe an die Öffnung heran, die Stirn zur Seite nach einer kühlenden Luft gereckt, soweit der Helm diese heranließ. Er stolperte über Gesteinsbrocken, zwischen denen Sand und Kies unter seinen Tritten wegrutschten und träge abwärtsglitten.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes; ich fordere dich zum Kampf! Zeig dich, wir messen im Streit unsere Kräfte!«