»Du liebe Zeit! Er ist nackt!«
»Oh …«
»Steh auf! Hör auf, dich selbst zu bemitleiden! Was hast du denn bloß angerichtet?«
»Ich …«
»Ach, ich will’s gar nicht wissen. Wo ist das Geld?«
»Geld …?«
»Das Geld, das Geld! Du hast es ihm doch nicht etwa dagelassen!«
»Doch, er … er muß es haben.«
»Du lieber Himmel. Es ist genug für ein Schloß! Weißt du, was du da getan hast? Er wird keine einzige Note mehr schreiben!«
»Doch, er wird – Schuld an Gott – und es ist mir egal, er verdient mehr als … als diesen billigen Leichenwagen im Regen, am Grab nur die Totengräber, ich … ich … ich will nicht der gewesen sein, der ihn betrügt …«
»Idiot! Du verstehst überhaupt nichts!«
Aber ich hatte schon verstanden. Und tagelang erfreute ich mich an der Vorstellung von ihm, wie er mit Freunden im Café saß, heiter und friedlich, frei von den Ansinnen aller Impresarios. Ich war so sicher, daß ich nicht einmal seine Biographie nachprüfte.
Dann hatte ich einen Traum. – Ich sah Mozart, immer noch in meinem düsteren Kostüm, gebieterisch zur Rauensteingasse schreiten und hart an die Tür klopfen. Der Komponist Herr W. Mozart öffnete bleich und verstört. Mozart forderte das Requiem. »Die Zeit wird knapp«, sagte er. Der Komponist fuhr sich mit der Hand durch sein schütteres Haar. Bald, bald. Mozart zog eine goldene Uhr heraus und runzelte die Stirn. »Die Zeit wird knapp.«
Als ich erwachte, war mein Gesicht tränenfeucht. Ich akzeptierte. Ich wußte, daß ich die schwerste Lektion des Lebens endlich begriffen hatte.
Originaltiteclass="underline" ›Amadeus‹
Copyright © 1980 by Robert Silverberg
(erstmals erschienen in ›New Dimensions‹ 10)
mit freundlicher Genehmigung der Autors und der Agentur Luserke, Friolzheim
Copyright © 1991 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Dagmar Kreye
Illustriert von Jobst Teltschik
James Stevens
Seelenretter
Das Stirnband hat sich auf eine sehr tugendhafte Lobet-den-Herrn-Musik eingestellt. Sie wiegt richtig meine Seele, und ich bin Howie Happy. Dann schaltet sich plötzlich die Stimme unseres Dienstleiters ein, um mitzuteilen, daß Fabiola und ich gesucht werden. Ein T.d.e.H. im Caserio Madre Teresa, dem Projekt zur Beseitigung der Super-Slums, das sie 2085 eingerichtet haben. Heute, nur drei Jahre später, ist es der schlimmste Slum auf der Insel. Sie sagen, unter den Armen herrscht wirklich Clive Claustrophobia, und ich kann’s mir vorstellen. Der Rest von uns lebt schon wie Sammy Sardine.
Wenn die Sirene heult, kann man auf dem elevado durch den Verkehr jagen, was einer der Gründe dafür ist, daß ich gern steuere. Aber dann muß man über die Rampe auf Bodenhöhe und durch den verfluchten Mob kriechen. Seht euch um. Verwüstete Parks und Spielplätze, Graffiti an den Gebäuden und Mauern. Der krankhaft süßliche Gestank von Abfall. Verkrüppelte Bettler. Abgemagerte Kinder mit dicken Bäuchen. Es ist zum Verzweifeln, wie langsam diese armen Leute aus dem Weg gehen, selbst wenn wir abschreckende Obertöne zur Sirene hinzuschalten. Man sieht sie unter dem Druck auf ihren Trommelfellen zusammenzucken, aber niemand geht sonderlich weit zur Seite. Wenn wir uns hindurchzwängen, schlagen sie gegen die Flanken unseres Wagens.
Zorn ist eine Sünde, aber ich kann sie vergeben. Es ist höllisch, hungrig und Harvey Hopeless zu sein. Es gibt so viele von uns, und nur so verdammt wenige kommen zurecht. Trotzdem, man kann Sünden vergeben, aber man kann sie nicht für rechtens erklären, nicht wahr? Nehmen wir meine Mutter. Sie wurde in einem Projekt wie Madre Teresa geboren, aber sie fand einen Ausweg. Was beweist, daß der Glaube einem zum Durchhalten verhilft. Ich meine, Gott sieht sogar, was die Lilien auf dem Feld brauchen, nicht wahr? Und Gott hilft ihnen.
Das Apartment ist erstaunlich sauber. Zwei Schlafzimmer, Unterkunft für eine sechzehnköpfige Familie. Mutter hat gewartet, bis Vater zur Arbeit ging, wo er Wohnmodule für ein neues Projekt zusammenbaut, und die Kinder zur Schule geschickt, bevor sie sich die Pulsadern durchschnitt und in der Badewanne verblutete. Nancy Neat.
Als wir eintreffen, ist die Seelenmörderin noch warm. Fabiola schnippt auf ihr Kehlmikro und beginnt ihren Bericht einzugeben, während sie arbeitet. Fabiola ist sehr cool, sehr professionell. So wie ich sein möchte.
»Einleitende Angaben. Weiblich. Mulattin. Um sechsunddreißig Jahre. Tod durch eigene Hand, Typ Zwei. Aufgeladen zur Überführung ins Centro San Francisco de Asís.«
Wir bringen Druckverbände an beiden Handgelenken an und hieven den Körper auf die Schwebebahre. Die Haut der Frau ist aschfarben geworden. Wir bugsieren das Fleisch durch die Menge, die sich draußen versammelt hat, als die Stimmung feindselig wurde.
»Warum laßt ihr sie nicht tot, ihr Bibelgauner?« fährt uns eine wütende Stimme an. »Was ist das für ein Leben, in das ihr sie zurückholen wollt?«
Ich kann die Frau nicht ausmachen, aber das ist eindeutig Jeffersonsche Agitprop. Aber Fabiola und ich befolgen Anordnungen und ignorieren die atheistische Aufrührerin und das andere Gemurmel, das darauf folgt. Der Priester, der den Seelenmörder gemeldet hat, starrt durchdringend in die Menge, aber die Stimmen erheben sich hinter ihm.
Gut, vielleicht verabscheuen manche Leute die Arbeit, die wir Korpsleute tun, aber, Cristo, unser Job ist nur ein anderer Weg, Gottes Gesetzen zu gehorchen. Gott schenkt dem Menschen das Leben, und nur Gott darf es ihm nehmen – das ist das Motto der Anti-Suizid-Korps von Amerika. Ich glaube an Gott und an sein Werkzeug, die Gute Hirtin, und ich glaube, daß die Arbeit, die ich tue, gut ist, und daß ich, indem ich sie verrichte, wie Jesus werde. Mein Glaube ist stark und unverrückbar wie eine mächtige Eiche. So einfach ist das.
Wir schieben die Seelenmörderin in den Fond des Wagens, bringen die Sensoren an und programmieren den Kryopak. Alles Ricky Routine. In weniger als drei Minuten ist sie eingefroren. Wir überführen das Fleisch ins Zentrum in San Francisco, und sie lassen sie in die Wiederbelebungspipeline gleiten und schicken sie durch eine Reihe von Tests, um herauszufinden, was wiederhergestellt werden muß (Hirnzellenregeneration schmerzt mehr als der Tod, habe ich gehört). Dann tauen sie sie auf, beheben die Schäden und erwecken sie wieder zum Leben, so gut wie neu und bereit, sich für ihr Verbrechen zu verantworten. Wenn sie erst für ihre Sünden gebüßt hat und wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen worden ist, wird sie zu ihrer Familie zurückgeschickt. Susie Saved.
Gut, vielleicht bin ich der Sünde des Stolzes schuldig, aber ich fühle mich Howie Happy, wenn ich weiß, daß ich eine Seele gerettet habe. Es ist unwahrscheinlich, daß die Frau noch einmal versuchen wird, sich umzubringen. Einmal durchs Eis ist für die meisten genug.
Fabiola ist eine gute christliche Frau. Gründlich gepflegtes Gesicht, streng zurückgebundenes Haar, Nummern zu große Overalls, die kein bißchen von dem Körper darunter zeigen. Aber, he, ich weiß, daß sie große Brüste hat. Richtige Betty Boobs. Wann immer sie einen Smoghustenanfall hat, spannt sich ihre Uniform darüber. Das Geburtsdatum auf ihrem Abzeichen lautet 14/2/55, also ist sie dreiunddreißig, elf Jahre älter als ich. Aber sie sieht jünger aus. Ich fange gerade mein Noviziat an, bin kaum einen Monat bei den Korps.