»Möchtest du mich immer noch heiraten?« fragt Fabiola.
»Ich bin schon verheiratet«, erwidere ich beklommen. Angela und ich haben einen Tag geheiratet, nachdem Beverly Bitch mit ihrer Tochter in den Armen von der Morro Bay-Brücke gesprungen ist. Ich merke, daß die Neuigkeit Fabiola erschüttert, aber zuerst sagt sie nichts.
»Du bist wohl ein bißchen launisch, was?« fragt sie.
»He, Dora Dillydally, du hast lange gebraucht, um ›darüber nachzudenken‹, nicht? Die Dinge verändern sich.«
»Die Dinge verändern sich«, wiederholt sie leise und nickt.
Wir fahren. Die Stille ist sehr laut. Ich kann das schwache Summen des Schwungrads des Chevyota hören. Wssssss … Und das Surren eines Luftschiffs der Pan Am, das über uns durch den Smog treibt.
Ich bekomme Lust auf frische Kokosmilch und lenke vom elevado an einen Stand an der Straßenseite. Der Verkäufer holt zwei blaßgrüne Nüsse aus einem Eisschrank, haut ihre Spitzen mit einer Machete ab und steckt Strohhalme hinein. Ich gebe eine Fabiola. Ich weiß nicht, ob sie diese Geste zu würdigen weiß, aber sie nimmt sie und bedankt sich bei mir. Die Kokosmilch ist kalt und süß, wirklich erfrischend. Es ist vielleicht Anfang Oktober, aber die Sonne Puerto Ricos macht einem noch zu schaffen.
»Das Leben war nicht immer so, wie es jetzt ist«, sagt Fabiola. Ich werfe ihr einen höflichen Blick zu. Sie redet mit sich selbst, eine Art Nelly Nuthouse. »Als meine Mutter ein Mädchen war, waren Staat und Kirche durch das Gesetz getrennt. Die Christliche Allianz kam erst an die Macht, als ich ein Kind war.« Sie sieht mich irgendwie sonderbar an. »Gottes Herrschaft ist kaum älter als du, obwohl deine Generation den Eindruck hat, es sei immer so gewesen.« Sie blickt weg und fährt leise fort. »Es ist nicht alles das, was es zu sein vorgibt.«
Ich nehme an, Fabiola ist wegen ihrer Mutter durcheinander, aber ich höre es nicht gern, wenn jemand etwas gegen Gottes Herrschaft sagt. Ich sehe Fabiola so kalt an, wie ich kann, aber sie bemerkt es nicht.
»Schon immer haben sich Menschen selbst umgebracht«, sagt sie. »Normalerweise deshalb, weil der Tod ihnen anziehender erscheint als das Leben, das sie führen. Aber es war nie so wie jetzt. Nie so wie jetzt. Wir sind nur eine Einheit und wir haben es im Monat mit siebzig bis hundert T.d.e.H.s zu tun. Eine Einheit, Juan Bautista. Jeden Monat. Denk darüber nach!« Sie sieht sich traurig um. »Es ist eine harte, rauhe Welt, überbevölkert und im Verfall begriffen. Und die Regierung macht es noch schlimmer, indem sie uns anspornt, uns bis zum Untergang zu vermehren. Es ist keine Welt, in der Menschen leben möchten.«
»Du klingst wirklich wie Janey Jefferson«, erwidere ich wütend.
»Das ist die einfachste Art, damit umzugehen, was? Jeden, mit dem man nicht einer Meinung ist, als ›Werkzeug des Teufels‹ zu brandmarken. Dann braucht man sich nie mit unangenehmen Gedanken auseinanderzusetzen. Oder mit dem, was die Wahrheit sein könnte.«
»Ich weiß, daß das nicht die Wahrheit ist«, behaupte ich steif. Cristo, ich kann mir nicht vorstellen, daß ich diese Frau einmal heiraten wollte. Wir sind so vollkommen verschieden. Ich schäme mich der Lust, die mich für ihre wahre Natur blind gemacht hat.
Sie seufzt. »Nein, ich glaube nicht. Menschen sind formbar. Vor allem junge Menschen.«
»Wenn du das meinst, warum bist du dann den Korps beigetreten?« Diese Unterhaltung grenzt an Blasphemie. Ich fühle mich wirklich wie Nicky Nervous.
Sie lacht, aber es klingt hohl. »Ich habe das nicht immer so gesehen. Als ich den Korps beitrat, glaubte ich, ich verrichte einen wundervollen heiligen Dienst. Niemand hatte einen stärkeren Glauben, niemand empfand eine tiefere Loyalität.« Sie macht eine Pause und atmet tief durch. »Ich habe sogar meinen Mann angezeigt, weil ich ihn antichristlicher Aktivitäten verdächtigte.« Ich werfe ihr einen überraschten Blick zu. »Ich war idealistisch und naiv und ich dachte, ich hätte eine Orientierung gefunden.« Sie schneidet eine Grimasse. »Ich dachte, ich hätte eine Orientierung gefunden. Ich könnte mir vorstellen, daß ich dir sehr ähnlich war.«
»Ich dachte, er sei gestorben«, sage ich, noch immer Stanley Stunned.
»Sie sorgten dafür, daß es wie ein Selbstmord von der Art aussah, bei denen nichts mehr zu retten ist. Wie sie’s bei meiner Mutter getan haben.« Sie hustet und ihre Lunge hört sich an, als sei sie voller Schleim. »Das wird wahrscheinlich auch mir passieren.«
Sie gibt ihre leere Kokosnuß einem armen Jungen. Er hat uns aus einigem Abstand zugesehen in der Hoffnung, unsere Reste zu bekommen. Er schlägt die Nuß an einer Kante des Bordsteins auf und fängt an, das nahrhafte weiße Fruchtfleisch im Innern zu essen. Ich war einmal dieses Kind.
Ich sehe Fabiola an und irgendwie macht sie mir Angst, aber ich möchte nicht, daß sie es weiß. »Ah, Cristo«, sage ich angewidert. »Pamela Paranoid.«
Plötzlich verändert sich Fabiola. Sie lächelt mich schief an, als teilten wir ein besonderes Geheimnis. »Zum Teufel, ich würde an deiner Stelle dasselbe denken. Ich habe dir doch erzählt, ich war auch einmal jung und formbar, Juan Bautista.« Sie sieht weg und seufzt. Die Brise trägt den Geruch eines nahenden Gewitters heran. »Seelenretter, rette dich selbst«, flüstert sie so leise, daß ich es fast überhöre. Dann lauter: »Verzeih mir. Es ist eine schwierige Zeit für mich, und ich tu mir selbst leid.« Sie betrachtet mich, als gäbe es in meinen Augen etwas, das sie finden will, aber nicht finden kann. Dann sagt sie, als sei es ihr gerade erst in den Sinn gekommen: »Ich nehme an, du wirst mich Vater Rene melden.« Sie hört sich nicht an, als sei sie sehr besorgt darüber.
»Nein, werde ich nicht.«
Und ich werde es auch nicht. Nicht dem Kommando-Pater. Ich wende mich gleich an die Spitze, an den Divisions-Chef, Bischof Malpica. Er lobt mich für mein Handeln. Ich weiß, daß es das Beste für Fabiola ist. Sie werden ihr Ratschläge erteilen und ihr helfen, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Am Ende wird sie mir dankbar sein. Greta Grateful.
Aber ich habe ein mulmiges Gefühl im Bauch, weil ich immer noch über die verrückten Dinge nachdenke, die sie gesagt hat. Weil ich den Eindruck habe, daß mir irgend etwas entgangen ist.
Am Samstagabend darauf verschlingen Angela und ich im # 3 Sushi Paradies zarten, fettigen toro, als die Gute Hirtin über das Stirnband bekanntgibt, daß eine landesweite Jeffersonsche Verschwörung aufgedeckt und zerschlagen worden ist. Wäre sie erfolgreich gewesen, sagt sie, hätte das den Sturz von Gottes Herrschaft und den Beginn der Regentschaft Satans bedeuten können. Ich verspüre ein kolossales Gefühl der Erleichterung – die Guten haben wieder gewonnen.
Ein wenig später, als Angela und ich über die Wiederkunft Christi diskutieren, erhalte ich übers Stirnband einen Anruf von Vater Rene. Ich nehme an, er ist ein enger Freund von Fabiola gewesen, denn seine Stimme stockt immer wieder, während er versucht, mir Einzelheiten über ihren Tod mitzuteilen.
Programmiere den Kryopak darauf, einen Körper einzufrieren, lasse ihn unbeaufsichtigt auftauen, dann friere ihn wieder ein und du hast eine Wagenladung von verdorbenem Fleisch. Das ist es, was Fabiola sich angetan hat. In der Akademie haben sie uns erklärt, daß ein Wiedereinfrieren die Flüssigkeiten in den Körperzellen kristallisieren läßt und das ist dasselbe, als nähme man ein Messer und schlitze sie von innen auf. Ein Körper, der kristallisiert, ist für immer tot. Cathy Corpse.