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Du Idiot! Du hirnverbrannter Idiot!

Endlich erlosch das Feuer in seiner Rippengegend fast. Mit unbeschreiblicher Vorsicht reckte er seinen Rücken gerade und stellte sich aufrecht. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und wünschte, er könnte genauso leicht vierzig verheerende Jahre der Zügellosigkeit, der Langeweile und der Verzweiflung wegwischen und sein Leben neu beginnen. Wäre es nicht wundervoll, wieder Kind zu sein wie damals in Omaha, zur Highschool zu gehen und über die Eltern zu maulen und das ganze Taschengeld für die Verabredung am Freitagabend aufzuheben? Wie sehr er sein Leben seit jener Zeit vergeudet hatte!

Plötzlich hörte er etwas. Wenigstens glaubte er, etwas zu hören. Er war sich nicht sicher, doch es klang wie Stimmengemurmel in der Ferne. Es verebbte bis an die Grenze zur Stille. Dann konnte er absolut nichts mehr hören.

Langsam ging er über die Lichtung zu dem Pfad und blieb dort stehen, um angestrengt zu lauschen, ob er die Stimmen wieder aufnehmen konnte. Als er sie schließlich wieder hörte, fast im Unterbewußtsein, erschienen sie ihm noch weiter entfernt.

O Gott, es sind wirklich irgendwo dort Menschen! Doch es hört sich an, als ob sie sich in die entgegengesetzte Richtung entfernten.

»Hilfe! Hier sind wir! Wir sind verletzt!«

Die Worte drangen krächzend als rauhes Flüstern aus seiner Kehle. Er wollte schreien, doch er konnte nicht. Seine Rippen schmerzten zu sehr, und seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht.

Niemand wird dieses jämmerliche Gekrächze hören. Du mußt dich schon aufraffen und hinter ihnen herlaufen. Und zwar schnell, sofort, bevor sie zu weit weg sind.

Er setzte sich auf dem Pfad in Bewegung. Das Laub der Bäume schloß sich zu einem Dach über ihm, durch das fast kein Mondlicht drang, so daß er Schwierigkeiten hatte zu sehen, wohin er die Füße setzte. Nach einer oder zwei Minuten wurde der Pfad schmaler. Die Dunkelheit umschloß ihn, und er blieb stehen.

Das ist wahnsinnig! Wenn ich mich verirre?

Doch dann hörte er die Stimmen wieder, irgendwo an dem Hang über ihm. Sie waren immer noch schwach, aber nicht mehr so weit weg wie zuvor. Diesmal konnte er seine Stimmenmelodie mit kleinen Unterschieden in der Lautstärke, im Ton und der Klangfarbe erkennen, und er vermutete, daß es sich mindestens um drei oder vier Sprechende, die sich lebhaft unterhielten, handeln mußte.

Was sind das für Leute? Wenn ich sie nun zur Lichtung führe und sie glauben mir die Geschichte nicht? Wenn sie zu der Überzeugung kommen, ich hätte den Rasta erschossen? Wenn sie seine Freunde sind und er stirbt? Dann bringen sie mich vielleicht um. Vielleicht, das könnte passieren.

Seine Beine zitterten. Der Versuch, den Rasta retten zu wollen, war sinnlos. Der Mann hatte keine Chance. Eine seiner Lungen war zerfetzt. Er erstickte an seinem eigenen Blut. Es wäre wirklich viel vernünftiger, wenn er umkehren und über den Pfad zur Straße wandern würde, und immer weiter, bis zu seinem Hotelzimmer, wo er sich duschen und umziehen und ein Taxi zum Flughafen nehmen und sich ins nächste Flugzeug in die Vereinigten Staaten setzen könnte.

Warum, zum Teufel, soll ich das Risiko eingehen, umgebracht zu werden? Oder noch schlimmer, irgendwo in einem dreckigen jamaikanischen Gefängnis für den Rest meines Lebens dahinzudarben? Ich habe nichts verbrochen.

Da er nicht wußte, in welche Richtung er gehen sollte, blieb er stehen und lauschte auf die Stimmen über ihm am Hang. Ihre Unterhaltung hatte einen schwungvollen Rhythmus, sie glich einer einschmeichelnden Musik.

Komm jetzt, Mark! Das mag dich zwar einiges an Überwindung kosten, aber die Rettung dieses Rasta-Mannes ist das einzig wirklich Anständige, das du je in deinem Leben unternommen hast. Du kannst jetzt nicht kneifen.

Mit einer merkwürdig drängenden Entschlossenheit arbeitete er sich auf dem Pfad voran, schob Farnwedel zur Seite, watete durch Matsch und Flächen mit nassem Moos, tastete sich Schritt für Schritt vorsichtig über verflochtene, knorrige Wurzeln und bewegte sich unablässig und doch langsam genug voran, daß seine Wunde keinen brüllenden Schmerz aussandte. Jedesmal, wenn er einen Halt einlegte, konnte er die Stimmen deutlicher hören – es waren allem Anschein nach Männerstimmen – sechs oder sieben, die lyrisch ineinanderflossen und sich zu etwas vereinten, das sich jetzt mehr wie ein Singsang oder eine Litanei anhörte als nach einer normalen Unterhaltung.

Wer immer sie sein mochten, offenbar führten sie irgendeine Zeremonie oder etwas Ähnliches durch. Es gibt doch keine primitiven Stämme mehr in Jamaika, oder? Mark hatte die Vision eines großen schwarzen Suppentopfes, umringt von Kannibalen mit tätowierten Gesichtern und zugespitzten Zähnen, bis er dieses absurde Witzbild aus seinem Kopf verbannte. Du Blödmann! Was glaubst du eigentlich, wo du bist – in einem Tarzan-Comic?

Er wich einem dicken, mit Pilzen bewachsenen Baumstumpf aus, kletterte einen kleinen Damm hinauf und stellte fest, daß er auf einer ebenen Fläche stand. Hier wurde das Mondlicht nicht von Bäumen abgehalten. Eine Vielfalt von Laubgewächsen umgab ihn, keins unter zwei Meter vierzig hoch. Ein schwerer Duft stieg ihm in die Nase. Er untersuchte eine der Pflanzen genauer und erkannte sofort das vertraute Muster ihrer Blätter, die schmale elliptische Form, die Anordnung in Fünfergruppen, die üppige Pracht der Knospen, die kurz vor dem Aufbrechen zur Blüte standen.

Ganja. Ein ganzes tolles Feld voller Ganja! Ich werde verrückt!

Er war noch nicht nah genug herangekommen, um zu verstehen, was sie sagten, aber er konnte die Stimmen jetzt deutlich hören. Eine Stimme bestritt den größten Teil des Gesprächs, während die anderen mit kurzen, doch häufigen Zwischenbemerkungen reagierten.

Um sich den Stimmen weiter zu nähern, mußte Mark sich zwischen den Stengeln der Ganja-Pflanzen hindurchschlängeln, da es hier keinen Pfad mehr gab. Er hielt sich beide Hände vors Gesicht, um sich gegen die Zweige abzuschirmen, und drang in die dichte Vegetation ein. An manchen Stellen war der Bewuchs so dicht, daß er das Gefühl hatte, durch eine Hecke zu brechen. Wenn es noch dichter würde, könnte er ohne Messer nicht weiterkommen.

Dies ist kein kultivierter Anbau. Die Pflanzen stehen viel zu dicht beisammen. Es ist ein Dschungel, ein ganzer gottverdammter natürlicher Dschungel mit Pot!

Während er sich weiter einen Weg durch ein Gewirr von herabhängenden Zweigen bahnte, stoben Wolken aus Pollen von den Blütenknospen auf, kitzelten ihn in der Nase und reizten seine Augen. Er unterdrückte ein Niesen.

Was für ein Duft! Die weiblichen Pflanzen mußten sich auf dem absoluten Höhepunkt ihrer Wirkungskraft befinden.

Während er sich weiterarbeitete, sah er Abermillionen von mondbeschienenen Pollen, die in der Luft rings um ihn schwebten. Er schmeckte sie auf der Zunge und spürte, wie sie bei jedem Einatmen seine Nasenflügel auskleideten. Sie klebten auf dem Schweißfilm seiner Haut fest. Aber vor allem erfüllten sie seinen Kopf mit einem drückend schweren und trunken machenden Duft.

Ihm fiel ein, daß er einmal in einem Buch über den Anbau von Marihuana gelesen hatte, daß die Erntearbeiter in Algerien beim Pflücken von indischem Hanf sich Tücher vor die Gesichter binden, damit sie die Pollen nicht einatmen. Wenn ein Arbeiter sein Tuch abnimmt, wird er so ungeheuer high – so high, daß er vergißt, wo er ist und was er tut, so high, daß er sich hinlegt und auf dem Feld einschläft, so high, so high, daß er davonschwebt, davonschwebt wie die Pollen, gleitet durch weiches Mondlicht, dessen Strahlen durch das Laub fallen und träge Arabesken und Schnörkel zeichnen und ihn in ein wogendes silbernes Meer aus Licht einhüllen, und wirklich, es stimmte, er rauchte seit dreißig Jahren Joints, doch niemals war er so schnell so high geworden, und er wurde immer noch mehr high, er schwebte hoch und höher und höher, und jeder neue Atemzug wogte durch seine Lunge in seinen Blutstrom und in sein Gehirn wie eine Flutwelle psychedelischer Energie.