Wir kreuzten etwa eine Woche herum und gelangten schließlich dorthin, wo einmal der Pazifische Ozean gewesen war. Nur gab es dort kein Wasser mehr, sondern nur noch die gesprungene Schwärze.
Wir fuhren eine weitere Woche am Ufer entlang und erblickten endlich Leben. Einen Wal. Jakob kam sofort auf die Idee, einen zu schießen und sein Fleisch zu kosten.
Er tötete ihn mit einem Hochleistungsgewehr, und er und sieben weitere Leute schnitten Stücke ab und nahmen das Fleisch mit, um es zu kochen. Sie luden uns zu der Mahlzeit ein, aber das Fleisch sah grünlich aus und enthielt kaum Blut, daher warnten wir sie davor. Jakob und die anderen aßen es dennoch. »So haben wir wenigstens etwas zu tun«, meinte Jakob.
Etwas später erbrach Jakob Blut, seine Gedärme kochten ihm zum Mund heraus, und bald darauf ging es allen so, die von dem Fleisch gegessen hatten. Sie krochen wie ausgeweidete Hunde auf dem Bauch herum und starben. Wir konnten überhaupt nichts für sie tun. Wir konnten sie nicht einmal begraben, dazu war der Boden zu hart. Wir stapelten sie wie Klafterholz am Strand auf, verlegten unser Lager und versuchten, uns daran zu erinnern, was Mitleid ist.
Und während wir in dieser Nacht schliefen, so gut es ging, kamen die Rosen.
Ich muß zugeben, Tagebuch, daß ich nicht wirklich weiß, wovon die Rosen leben, aber ich habe eine Idee. Und da du dich bereit erklärt hast, meine Geschichte anzuhören – auch wenn du es nicht getan hast, bekommst du sie zu hören – werde ich Logik und Phantasie kombinieren und vielleicht damit die Wahrheit erraten.
Die Rosen lebten unterirdisch im Bett des Ozeans und kamen nachts heraus. Bis dahin hatten sie als Parasiten von Reptilien und anderen Tieren gelebt, aber jetzt war aus der Unterwelt ein neues Futter heraufgekommen. Menschen. Eigentlich ihre Schöpfer. Wenn man es so sieht, könnte man sagen, daß wir sie erschufen und daß die Tatsache, daß sie sich an unserem Fleisch und Blut gütlich taten, nur eine neue Version von Brot und Wein war.
Ich kann mir vorstellen, wie die pulsierenden Gehirne auf dicken Stengeln durch den Meeresboden dringen, gefiederte Fühler ausstrecken und im Licht des Mondes – der infolge der merkwürdigen Wolken wie eine mit Eiter gefüllte Beule aussieht – die Luft prüfen. Ich kann mir auch vorstellen, wie sie ihre Wurzeln herausziehen und ihre Ranken über den Boden zum Ufer schleppen, auf dem die Leichname liegen.
Aus den dicken Ranken sprossen kleine, dornige Ranken, und diese schlängelten sich das Ufer hinauf und berührten die Leichen. Dann gruben sich die Dornen mit einer peitschenden Bewegung in das Fleisch, und die Ranken glitten wie Schlangen durch die Wunden in die Körper. Sie sonderten eine zersetzende Flüssigkeit ab, die die inneren Organe in wäßrigen Haferbrei verwandelte, und schlürften dann das Gemisch. Die Ranken wuchsen mit erstaunlicher Geschwindigkeit, bewegten und schlängelten sich durch die Körper, ersetzten Nerven, nahmen die Form der Muskeln an, die sie verschlungen hatten, stießen schließlich durch die Hälse in die Schädel vor, aßen Zungen und Augäpfel und saugten die mausgrauen Gehirne wie Schleimsuppe auf. Die Schädel explodierten wie Schrapnelle, die Rosen erblühten, ihre zahnharten Blütenblätter bildeten schöne rote und gelbe Blumen, und Stücke von menschlichen Köpfen baumelten von ihnen herab wie zerbrochene Melonenschalen.
Im Zentrum dieser Blüten pulsierte ein frisches, schwarzes Gehirn, und die gefiederten Fühler tasteten die Luft neuerlich nach Nahrung und Brutgebieten ab. Energiewellen schossen von den Blumengehirnen durch die endlosen Meilen von Ranken innerhalb der Körper, und da sie Nerven, Muskeln und lebenswichtige Organe ersetzt hatten, stellten sie die Körper auf die Beine. Dann wandten die Leichen ihre Köpfe den Zelten zu, in denen wir schliefen, und die blühenden Kadaver machten sich auf den Weg, um diejenigen von uns, die noch übrig waren, ihrem Strauß einzuverleiben.
Ich sah den ersten Rosenkopf, während ich pißte.
Ich hatte das Zelt verlassen und war zum Ufer hinuntergegangen, um mich zu erleichtern, als ich ihn aus dem Augenwinkel erblickte. Die Blüte brachte mich zuerst auf die Idee, daß es sich um Susan Myers handelte. Sie trug eine dichte, wollige Afrofrisur, die ihren Kopf wie eine Löwenmähne umgab, und die Form des Dings erinnerte mich an ihre Gestalt. Doch als ich den Reißverschluß zuzog und mich umdrehte, war es keine Afrofrisur, sondern eine Blume, die aus Jacob wuchs. Ich erkannte ihn an seiner Kleidung und an dem Stück seines Gesichts, das an einem der Blütenblätter hing wie ein abgetragener Hut an einem Haken.
Im Zentrum der blutroten Blume pulsierte ein Sack, und rings um ihn wanden sich wurmartige Organe. Genau unterhalb des Gehirns befand sich ein kleiner Rüssel. Er streckte sich mir entgegen wie ein erigierter Penis. An seiner Spitze, in der Öffnung, erblickte ich große Dornen.
Der Rüssel gab ein stöhnendes Geräusch von sich, und ich stolperte zurück. Jacobs Körper erschauerte kurz, als wäre ihm plötzlich kalt, und dann brach durch sein Fleisch und seine Kleidung vom Hals bis zu den Füßen eine Masse von bis zu anderthalb Meter langen dornigen, schwankenden Ranken.
Mit einer beinahe unsichtbaren Bewegung schlenkerten sie von Westen nach Osten, zerfetzten meine Kleidung, rissen mir die Haut auf, zogen mir die Beine unter dem Körper weg. Es war wie ein Schlag mit der neunschwänzigen Katze. Benommen richtete ich mich auf Hände und Knie auf und kroch davon. Die Ranken peitschten meinen Rücken und meinen Hintern und schnitten tief ein.
Jedesmal, wenn ich auf die Füße kam, brachten sie mich zu Fall. Die Dornen schnitten nicht nur, sie brannten wie heiße Eiszapfen. Ich riß mich endlich von einem Netz von Ranken los, durchschnitt den letzten Schößling und rannte davon.
Ohne es zu merken, lief ich zum Zelt zurück. Mein Körper fühlte sich an, als hätte ich auf einem Bett aus Nägeln und Rasierklingen gelegen. Ich hatte mit dem Unterarm die Dornen abgewehrt, und er schmerzte an dieser Stelle entsetzlich. Während ich lief, warf ich einen Blick auf ihn. Er war mit Blut bedeckt. Eine etwa sechzig Zentimeter lange Ranke wand sich wie eine Viper um ihn. Ein Dorn hatte eine tiefe Wunde in meinen Arm gerissen, und die Ranke schob eines ihrer Enden in die Wunde.
Ich hielt mir schreiend den Unterarm vors Gesicht, als hätte ich ihn eben erst entdeckt. Wo die Ranke eingedrungen war, kräuselte sich das Fleisch und schwoll an wie die bevorzugte Ader eines Rauschgiftsüchtigen. Der Schmerz war überwältigend. Ich zerrte an der Ranke und riß sie los. Die Dornen hatten sich wie Angelhaken in mich gegraben.
Der Schmerz war so fürchterlich, daß ich auf die Knie fiel, aber ich hatte die Ranke aus meinem Körper entfernt. Sie wand sich in meiner Hand, und ein Dorn drang mir in die Handfläche. Ich warf die Ranke in die Dunkelheit. Dann kam ich hoch und lief wieder zum Zelt.
Die Rosen waren offenbar bereits eine Zeitlang, bevor ich Jacob erblickte, am Werk gewesen, denn als ich schreiend in das Lager stürzte, erblickte ich Susan, Ralph, Casey und noch einige, deren Köpfe bereits blühten und deren Schädel zerfielen wie zerbrochenes Kinderspielzeug.
Jane Calloway stand vor einem von den Rosen durchwucherten Körper; die Leiche hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt, die Ranken schossen aus dem Leichnam hervor, webten ein Netz um sie, rissen, glitten in sie und brachen ab. Der Rüssel drang ihr in den Mund, von dort in den Hals und drückte ihren Kopf nach hinten. Aus dem Schrei, zu dem sie angesetzt hatte, wurde ein Gurgeln.