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Ich versuchte, ihr zu helfen, aber als ich in ihre Nähe kam, schlugen die Ranken nach mir, und ich mußte zurückspringen. Ich sah mich nach etwas um, womit ich nach dem verdammten Ding schlagen konnte, fand aber nichts. Als ich mich Jane wieder zuwandte, drangen schon Ranken aus ihren Augen, und ihre Zunge, die nur noch lavadickes Blut war, tropfte aus ihrem Mund auf ihre Brüste, die wie ihr gesamter Körper mit stechenden Ranken bedeckt waren.

Ich lief davon. Ich konnte nichts für Jane tun. Ich sah andere Menschen, die von den Händen der Leichen und von den Ranken umklammert wurden, aber jetzt dachte ich nur noch an Mary. Unser Zelt stand im hinteren Teil des Lagers, und ich lief, so schnell ich konnte, dorthin.

In dem Augenblick, in dem ich anlangte, stolperte sie aus dem Zelt heraus. Die Schreie der anderen hatten sie geweckt. Sie sah mich und erstarrte. Als ich sie endlich erreichte, kamen zwei von Ranken besessene Körper von der anderen Seite auf das Zelt zu. Ich faßte Mary an der Hand und zog sie fort. Wir erreichten eines der Fahrzeuge, und ich schob sie hinein.

In dem Augenblick, in dem ich die Türen versperrte, erschienen Jacob, Susan, Jane und noch einige vor dem Wagen und beugten sich über den Kühler. Die Fühler und die Gehirnsäcke vibrierten wie Banner bei starkem Wind. Hände glitten schmierig über die Windschutzscheibe. Die Ranken schlugen, kratzten und klirrten wie dünne Fahrradketten auf das Glas.

Ich startete das Fahrzeug, stieg auf das Gaspedal, und die Rosenköpfe flogen davon. Jacob wurde auf den Kühler geschleudert und zerplatzte zu einem Sprühregen aus Fleisch, eitrigem Sekret und Blütenblättern.

Ich hatte das Fahrzeug nie gefahren und hatte deshalb Schwierigkeiten mit der Steuerung. Aber das spielte keine Rolle. Der Verkehr war nicht gerade dicht.

Nach etwa einer Stunde drehte ich mich zu Mary um. Sie starrte mich an, und ihre Augen waren wie die beiden Läufe eines doppelläufigen Gewehrs. Sie schienen zu sagen: ›Auch daran bist du schuld‹, und in gewissem Sinn hatte sie recht. Ich fuhr weiter.

Bei Tagesanbruch erreichten wir den Leuchtturm. Ich weiß nicht, wieso er überlebt hatte. Einer dieser verrückten Zufälle. Sogar das Glas war ganz geblieben. Er sah wie ein riesiger Finger aus, der uns den Vogel zeigte.

Der Tank des Vehikels war beinahe leer, deshalb fand ich, daß wir genauso gut hierbleiben konnten. Wir hatten wenigstens eine Unterkunft, etwas, das wir befestigen konnten. Es wäre unvernünftig gewesen weiterzufahren, bis der Treibstoff verbraucht war. Es gab keine Tankstellen mehr, und es würde vielleicht keine brauchbare zweite Unterkunft mehr geben.

Mary und ich luden (wie immer schweigend) die Vorräte vom Vehikel ab und schafften sie in den Leuchtturm. Wir besaßen Essen, Wasser, Chemikalien für das chemische WC, allerhand Krimskrams und Kleidung für ein Jahr. Wir verfügten auch über einige Waffen. Einen 0,45 Colt-Revolver, zwei Schrotflinten Kaliber 12, eine 0,38 und genügend Munition, um einen kleinen Krieg auszutragen.

Als alles ausgeladen war, fand ich im Erdgeschoß ein paar alte Möbel und verbarrikadierte mit ihnen sowohl die Tür am unteren als auch die am oberen Ende der Treppe. Als ich fertig war, fiel mir ein Satz aus einer Geschichte ein, die ich einmal gelesen hatte, ein Satz, der mich immer beunruhigt hatte. Er lautete ungefähr: »Jetzt sind wir für die Nacht eingeschlossen.«

Tage. Nächte. Einander immer gleich. Miteinander, unseren Erinnerungen und der schönen Tätowierung eingeschlossen.

Einige Tage später entdeckte ich die Rosen. Es war, als hätten sie uns gewittert. Vielleicht stimmte das sogar. Wenn ich sie durch den Feldstecher aus dieser Entfernung sah, erinnerten sie mich an alte Frauen mit hellen Sonnenhüten.

Sie brauchten den ganzen Tag, um den Leuchtturm zu erreichen, und sie kreisten ihn zielstrebig ein. Wenn ich am Geländer erschien, hoben sie die Köpfe und stöhnten.

Und damit sind wir beim heutigen Tag angelangt, Tagebuch.

Ich habe geglaubt, daß ich alles erzählt habe, Tagebuch. Daß ich den einzigen Teil meiner Lebensgeschichte erzählt habe, den ich jemals erzählen wollte, aber jetzt mache ich weiter. Man kann einen guten Weltzerstörer nicht bändigen.

Ich habe vergangene Nacht meine Tochter gesehen, die seit Jahren tot ist. Ich habe sie tatsächlich gesehen. Sie war nackt, lächelte mich an und wollte Huckepack reiten.

Es war so.

Gestern nacht war es kalt. Wahrscheinlich kommt der Winter. Ich war von meiner Pritsche auf den kalten Fußboden gerollt. Vielleicht war ich dadurch aufgewacht. Durch die Kälte. Oder es geschah instinktiv.

Es war in bezug auf die Tätowierung ein besonders wunderbarer Abend gewesen. Das Gesicht war so deutlich herausgearbeitet, daß es aus meinem Rücken hervorzuragen schien. Es war endlich deutlicher als der Atompilz. Die Nadeln bohrten sich hart und tief in meine Haut, aber ich habe sie so oft zu spüren bekommen, daß ich kaum noch Schmerz empfinde. Nachdem ich die Schönheit des Bildes im Spiegel betrachtet hatte, ging ich glücklich zu Bett, oder jedenfalls so glücklich, wie ich sein kann.

Während der Nacht rissen die Augen auf und die Nähte platzten auf, aber ich merkte es erst, als ich versuchte, mich von dem kalten Steinboden zu erheben und mein Rücken an ihm festklebte, weil das Blut getrocknet war.

Ich riß mich los und stand auf. Es war dunkel, aber der Mond schien in dieser Nacht hell, und ich ging zum Spiegel, um mich anzusehen. Es war so hell, daß ich Raes Spiegelung deutlich wahrnahm, die Farbe ihres Gesichtes, die Farbe der Wolke. Die Nähte waren aufgeplatzt, die Wunden waren jetzt weit geöffnet, und in den Wunden sah ich Augen, o Gott, Raes blaue Augen. Ihr Mund lächelte mich an, und ihre Zähne waren sehr weiß.

Ja, natürlich, ich höre dich, Tagebuch. Ich höre, was du sagst. Ich habe auch daran gedacht. Mein erster Eindruck war, daß ich jetzt endgültig den Verstand verloren hatte. Doch das stimmt nicht. Ich habe nämlich eine Kerze angezündet und sie über meine Schulter gehalten, und dank der Kerze und dem Mondlicht konnte ich noch deutlicher sehen. Es war tatsächlich Rae, nicht nur eine Tätowierung.

Ich schaute zu meiner Frau auf der Pritsche hinüber, die mir wie immer den Rücken zudrehte. Sie hatte sich nicht gerührt.

Ich wandte mich wieder dem Spiegelbild zu. Ich konnte meinen Körper kaum erkennen, sondern sah nur Raes Gesicht, das aus der Wolke lächelte.

»Rae«, flüsterte ich, »bist du es?«

»Aber, aber, Daddy«, sagte der Mund im Spiegel, »das ist eine dumme Frage. Natürlich bin ich es.«

»Aber … du bist … du bist …«

»Tot?«

»Ja … hat es … hat es sehr weh getan?«

Sie kicherte so laut, daß der Spiegel zitterte. Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich war davon überzeugt, daß Mary aufwachen würde, aber sie schlief weiter.

»Der Tod trat augenblicklich ein, Daddy, und dennoch war es der schlimmste Schmerz, den man sich vorstellen kann. Ich werde dir zeigen, wie weh es getan hat.«

Die Kerze erlosch, und ich ließ sie fallen. Ich brauchte sie ohnehin nicht. Der Spiegel wurde hell, und Raes Lächeln reichte von einem Ohr zum anderen – buchstäblich –, das Fleisch auf ihren Knochen wirkte wie Kreppapier vor einem starken Ventilator, und dieser Ventilator blies die Haare von ihrem Kopf, die Haut von ihrem Schädel und schmolz die schönen, blauen Augen und die leuchtend weißen Zähne zu einer fauligen Masse, die die Farbe und Konsistenz von frischer Vogelscheiße hatte. Dann war nur noch der Schädel da; er brach auseinander und flog nach hinten in die dunkle Welt des Spiegels, und nun gab es kein Spiegelbild mehr, sondern nur noch die davonfliegenden Fragmente eines Lebens, das einmal gewesen und jetzt nur noch wirbelnder, kosmischer Staub war.

Ich schloß die Augen und sah weg.