»Was soll das heißen, du weißt es nicht? Wo warst du?«
»Weiß nicht.«
Ich fuhr mit der Hand vor seinem Gesicht hin und her. »Wie heißt du, George?«
»Weiß nicht.«
Ich nahm an, daß er allmählich ausgebrannt war, und lud ihn zum Abendessen ein. »He, Mann«, sagte ich, als er sich danach etwas erholt hatte, »ich könnte dich doch begleiten. Dann kannst du dich mit jemandem unterhalten, während du wartest.«
»Freds, du siehst einfach nicht wie eine Amtsperson aus.«
»Aber du auch nicht! Du siehst aus wie ein Trekker, der an der Höhenkrankheit gestorben ist.«
»Hm«, sagte er und betrachtete sein Spiegelbild im Fenster. »Vielleicht.«
Also gingen wir zu Yongten, um mehr Bakschisch zu holen und uns die Haare schneiden zu lassen. »Wir müssen aussehen, als wären wir gerade aus dem Flugzeug gestiegen«, sagte George zu ihm.
»Klar.«
»Wir müssen aussehen wie Burschen von einer Hilfsorganisation«, sagte ich, »mit jeder Menge Knete.«
»Das wird etwas länger dauern«, sagte er. Doch er machte sich mit einem kleinen Satz Nagelscheren bei uns an die Arbeit, bis wir fast aussahen wie junge Amerikaner für den Frieden.
Und so begleitete ich George, und wir kehrten zu einer anderen Abteilung des Straßenamts zurück, beide aufgemacht wie Burschen von einer Hilfsorganisation, die zu sein wir auch behaupteten. Das Büro sah aus wie das der Einwanderungsbehörde, nur größer; die Wände waren mit Regalen voller riesiger schwarzer Aktenordner bedeckt, von denen andere sich auch auf dem Boden und den Schreibtischen im Raum stapelten. Die Aktenordner setzten Staub an, während die Schreibtische mit Hindu-Bürokraten mit eimerförmigen Kappen und in abgetragenen, weiten, weichen, beigefarbenen Anzügen bemannt waren, die, soweit ich es sagen konnten, nichts weiter taten als sich zu unterhalten und uns gelegentlich einen Blick zuzuwerfen. Schließlich gewährte uns einer von ihnen eine Audienz, doch er stritt ab, daß das Straßenamt irgend etwas mit dieser Straße zu tun hatten, die wir erwähnten, ob nun alt oder neu, in den Bergen oder im Terai.
»Fragen wir die Schweizer, was sie wissen«, sagte ich an diesem Abend beim Essen. »Da sie das letzte Straßenstück gebaut haben, müßten sie eigentlich wissen, wer das neue bauen wird.«
»Gute Idee«, sagte George.
Die Tatsache, daß ich derjenige war, der mit neuen Ideen aufwartete, schien mir ein schlechtes Zeichen zu sein. George wirkte entmutigt, und seine Darmprobleme störten auch weiterhin seine Nachtruhe. Und Colonel John war in die Stadt zurückgekehrt, und jeden Abend, wenn wir nach Hause kamen, nahm er uns ins Kreuzverhör, wie der Tag gelaufen sei, und schimpfte uns wegen der geringen Fortschritte aus, die wir machten. George ließ sich das nicht gefallen und fauchte ihn an, und John brüllte dann los, und ich stimmte tibetanische Gesänge an, um ihn zu beruhigen, und manchmal, wurde er weich und stimmte mit ein, und an anderen Abenden wurde er einfach nur wütend und schrie uns noch lauter auf Englisch an, und gelegentlich geriet er ganz durcheinander, versuchte beides gleichzeitig und hatte eine Art katatonischen Anfall. Unsere Nachbarn im Hotel waren sauer auf uns, und George wurde immer matter.
Doch wir blieben dran. Am nächsten Tag fuhren wir in südliche Richtung über den Fluß Bagmati nach Patan, der alten heiligen Stadt. Dort hatten die Schweizerische Freiwillige für Entwicklungshilfe und die Schweizerische Vereinigung für technischen Beistand ihre Büros.
Nach Singha Durbar waren die Schweizer so tüchtig, daß wir es nicht glauben konnten. Es war, als sprächen wir mit Außerirdischen. Zwei von ihnen führten uns sofort in einen hell gestrichenen weißen Raum mit Kunstdrucken an den Wänden, baten uns, auf einem Sofa vor einem Kaffeetisch Platz zu nehmen, schenkten uns Espresso ein und fragten, was sie für uns tun konnten. Es war so erstaunlich, daß George glatt vergaß, weshalb wir dort waren, doch er riß sich zusammen und fragte nach der Straßenverlängerung.
Leider konnten sie uns nicht viel sagen. Sie hatten von dem Vorschlag gehört, die Straße bis nach Chhule zu führen, hielten das betreffende Gebiet allerdings nicht für geologisch geeignet. Sie vermuteten, daß Projekt könne von den Chinesen übernommen worden sein. Sie schlugen vor, wir sollten es im Verwaltungsministerium versuchen, warnten uns jedoch, daß jede Regierung, die Nepal unterstützte, eine halbwegs unabhängige Macht im Lande bildete, so daß die normale nepalesische Regierung vielleicht nicht unbedingt informiert war. Aber sie waren sich nicht ganz sicher — auf die typisch schweizerische Art hielten sie sich von allen anderen Regierungen so fern wie möglich und sprachen die meisten ihrer Hilfsaktionen direkt mit den örtlichen Behörden ab.
Also waren sie uns keine große Hilfe. Und am nächsten Tag fanden wir allen Bakschisch zum Trotz in den Verwaltungsbüros niemanden, der mit uns sprechen wollte.
George warf die Hände in die Luft und wandte sich wieder an unseren Freund Steve. »Nenne mir einen Kontaktmann«, bat er ihn. »Ganz gleich, wer er ist.«
Steve nannte ihm den Namen eines Burschen, der für die Nepal Gazette schrieb, der Zeitung, die Bekanntmachungen aller offiziellen Unternehmungen der Regierung veröffentlichte. Anscheinend hatte dieser Bursche B.P. Koirala unterstützt, den Premierminister, den König Birendras Vater in den sechziger Jahren ins Gefängnis geworfen hatte. Das war ein gutes Zeichen, und als wir in das Büro dieses Burschen im Singha Durbar gingen und George fünfhundert Rupien auf seinen Schreibtisch legte und sagte: »Wir möchten Sie zum Essen einladen und Ihnen ein paar Fragen stellen, nichts Geheimes, nur ein paar hilfreiche Informationen!«, da schien der Mann tatsächlich interessiert zu sein. Er sah auf seine Uhr und sagte: »Nun ja, Sir, ich wollte gerade zum Essen gehen. Wenn Sie mich begleiten, will ich mein Bestes geben, Ihre Fragen zu beantworten, falls mir die Antwort bekannt ist.«
Also luden wir ihn zum Mittagessen ein, und er saß da und betrachtete uns leicht amüsiert. Ein kleiner Hindu-Beamter mit einem roten Punkt auf der Stirn und so weiter. Sein Name war Bahadim Shrestha, und er war unten im Terai geboren. Er hatte die Universität Tribhuvan in Katmandu besucht und war dann in die öffentliche Verwaltung gegangen. Das waren alles gute Zeichen, denn die meisten Verwaltungsbeamte im Singha Durbar waren Brahmin oder Chetri, geboren in Katmandu, und hatten ihre Jobs durch Familienbeziehungen bekommen, als leichte Art, Geld zu verdienen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Bahadim stand außerhalb dieser Menge, und natürlich hatte er für seine Kollegen nichts übrig. »Die Armut und die schlechte Verwaltung sind die beiden größten Probleme Nepals«, sagte er, »und wir werden das erste niemals lösen, bevor wir nicht das zweite gelöst haben. Alle zwei oder drei Jahre kommen ausländische Verwaltungsexperten zu uns, um ein neues System zu entwerfen — Organisation, Beförderung, alles sehr genau und mit einer Punktbewertung, das endgültige Ende der Korruption, und das Palastsekretariat befiehlt uns, diese Systeme zu benutzen, und noch, bevor jemand sie verstanden hat, sind sie schon wieder in Vergessenheit geraten.« Er schüttelte verdrossen den Kopf. »Wir sind ein lebendiges Museum der Verwaltungssysteme.«
»Allerdings«; sagte George heftig. »Und wenn ich nun herausfinden will, wer im Singha Durbar für den Bau einer gewissen Straße verantwortlich ist?«
»Oh, Sir, da werden Sie im Singha Durbar niemanden finden!« Bahadim wirkte angesichts dieses Gedankens schockiert. »Dafür ist die Regierung zuständig.«
George und ich sahen einander an.
»Sie müssen wissen«, sagte Bahadim und rieb sich mit einem leichenschänderischen Vergnügen die Hände, »daß es in Nepal drei Machtzentren gibt. Singha Durbar und das Panchayat sind ein Zentrum, die ausländischen Hilforganisationen das zweite, und das Palastsekretariat, das direkt für König Birendra arbeitet, das dritte. Offiziell wurde nie geklärt, wer wofür verantwortlich ist, doch in der Praxis geschieht nichts ohne den König und seine Berater.«