Ziemlich bald war er sternhagelblau. »Ich weiß einfach nicht mehr, wie’s weitergehen soll, Freds. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Ich nickte. Tja, mein Kumpel war wirklich überfordert. Ich meine, was konnte er schon tun? Die Leute, mit denen er sich eingelassen hatte, fraßen die Hilfsorganisationen aller Herren Länder mit Haut und Haaren, die Weltbank, die IMF, alle riesigen Geldgeber.
Und dann kam Steve und gesellte sich zu uns, und wir saßen da und tranken, und Steve erzählte uns ein paar seiner Horrorstories aus dem Peace Corps, wie der Palast einmal nicht flüssig gewesen war, aber Bestechungsgeld brauchte, damit ihr Kandidat ins Panchayat gewält wurde, und so waren sie kurzerhand ins Terai gezogen, hatten jede Menge Laubbäume gefällt und das Holz nach Indien verkauft, um die Mäuse aufzutreiben, und sich dann an die Weltbank gewandt und gesagt, Oh, Sir, Entwaldung, was für ein schreckliches Problem für uns, kommen Sie, sehen Sie sich das an, und hatten sie dann zu dem Stück Terai geführt, das sie gerade abgeholzt hatten, und natürlich war der Mutterboden schon in Bangladesh, und so gab die Weltbank ihnen Geld, und sie forsteten schnell dreißig Morgen wieder auf, bauten mitten drin einen Flugplatz und steckten den Rest in die eigene Tasche, und danach zeigten sie allen möglichen Leuten das Aufforstungsprojekt, ließen keine Gelegenheit aus, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, angeblich, um die große Aufgabe zu vollenden, während das Geld natürlich sofort für Operettenuniformen für die Armee und andere weniger wichtige Dinge ausgegeben wurde.
Und das waren die Leute, mit denen George es zu tun hatte. Mit begrenzten Geldmitteln und ohne Sprachkenntnisse. Was wollte er gegen solche Burschen schon ausrichten?
Er ließ sich vollaufen und schlug sich mit Bierdosen an den Kopf. Zumindest an diesem Abend. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Bierdosen aus Indien kamen und noch aus Blech bestanden. »Schon in Ochtnun, bin dran gewöhnt«, sagte George. »Bin jetzt seit ’nem Monat mit dem Kopf gegen ’ne Ziegelmauer gelaufen, hab’ da schon dicke Schwieln.« Er zeigte es uns. Krach. Ich brachte ihn nach Hause.
Wir wankten durch Thamels enge Straßen, und George trat in alle Pfützen, weil er sich ständig umsah. »Sieh doch, Freds. Sieh dir diese armen Scheißer an, ich mein, sieh sie dir an.«
»He, Mr. Nein!« sagte jemand.
George schüttelte den Kopf und wäre fast umgekippt. »Ich bin Mr. Ja! Mr. Ja! Ja ja ja!«
Ich verscheuchte die neugierigen Kinder und stützte George. Er wankte unsicher weiter. »Wäre es nicht toll, wenn Tibet und Nepal einfach die Plätze tauschen würden, Freds? Wenn sie einfach auf der anderen Seite der Himmies lägen? Verstehst du, was ich meine?«
»China hätte Nepal erobert.«
»Genau! Dann müßten die sich mit dieser Bürokratie abgeben! Die könnten sie zur Bevölkerungskontrolle benutzen! Man schickt Leute rein und sieht zu, wie sie verschwinden! Bald gäb’s in China nur noch ein paar Menschen, die die Ranas könnten Beijing übernehmen. Sie müßten um Gnade winseln.«
»Gute Idee.«
»Und die Tibetaner und der Dalai Lama wären auf der Südseite und könnten still und friedlich mit ihrem Bruder-von-einem-anderen-Planeten-Trip weitermachen, und wäre das nicht wunderbar, Freds? Wäre es das nicht?«
»Ja, das wär’s, George. Du bist betrunken. Das sind Alkoholtränen. Bringen wir dich nach Hause, rauchen ein paar Pfeifchen und nüchtern dich aus.«
»Gute Idee.«
Doch im Star wartete Colonel John auf uns, und er war nicht in der besten Laune und billigte unsere offensichtliche Pflichtvernachlässigung nicht. Das hielt uns nicht auf, doch während wir high wurden, schritt er wie ein mumifizierter Ausbildungssergeant auf und ab, drehte eine Gebetsmühle und schnappte: »Was sollen wir jetzt tun? Sie haben zweitausend Rupien ausgegeben, und wir können dafür nichts vorweisen! Wir sind an die verdächtigste Beamtenbande auf Erden geraten! Was sollen wir jetzt tun?«
George nahm einen tiefen Zug und hielt die Luft an, bis er blau anlief. »Keine Ahnung. Ich meine, was können wir schon tun? Wir haben eine indische Straße, mehr wissen wir nicht. Die Schweizer wollen nicht. Warum nicht? Keine Ahnung. Die Inder bauen sie. Den Chinesen wird das nicht grade gefallen, ich meine, die Inder waren auch nicht begeistert, als die Chinesen diese Straße von Lhasa nach Katmandu bauten. Oder? Was New Delhi und Beijing betrifft, sind diese Straßen nur Angriffskorridore, und die beiden benehmen sich ganz schön paranoid. Vielleicht könnten wir versuchen, ihnen solche Angst einzujagen, daß sie die Straße nicht bauen. Einen Überfall vortäuschen, oder sowas in der Art …«
Der Colonel packte ihn am Hals und hob ihn hoch. »JA!« kreischte er und ließ George aufs Bett zurück fallen. »JA!« Er zitterte, als wäre er mit dem Zeh in eine Steckdose geraten.
»Ja was?« sagte George und massierte seinen Hals.
Colonel John stach mit einem Finger auf ihn ein. »Überfall! Überfall! Überfall!«
»Völlig sinnlos. Die kleinen Mistkerle kriechen doch unter der Tür her.«
Der Colonel ignorierte ihn. »Wir verkleiden ein paar Khampas als Chinesen und überfallen des Nachts die Armeekasernen in Chhule.«
»Wie wollen Sie denn an chinesische Uniformen rankommen?« fragte ich.
»Haben jede Menge davon«, sagte er düster. »Müssen nur die Löcher zunähen.« Er dachte darüber nach. »Wir gehen in derselben Nacht noch nach Tibet rüber und greifen den nächsten chinesischen Heeresposten an. Gehen über den Nangpa La, damit beide Seiten glauben, der Angriff sei von der anderen Seite gekommen. Halten Shambhala heraus. Grenzzwischenfall, Chinesen reichen Protest ein, Birendra macht Rückzieher wie ’72, und das Straßenprojekt ist endgültig gestorben. JA!« Er beugte sich vor, um George ins Gesicht zu brüllen: »Hervorragender Plan, Soldat!«
Doch George war auf dem Bett ohnmächtig geworden.
Am nächsten Morgen konnte er sich nicht einmal daran erinnern, wie der Plan aussah, und als wir ihn ihm erklärten, konnte er nicht glauben, daß es seine Idee war. »O nein, nicht mit mir, Freds. Du versuchst es schon wieder, und ich will nichts damit zu tun haben!«
Colonel John packte schon.
»Denk ans Singha Durbar«, sagte ich zu George. »Denk an Birendra und die Ranas. Denk an A. Shumsher Jung Bahadur Rana.«
Das hatte seine Wirkung. Er hätte vielleicht noch etwas gemeckert, wenn er nicht so verkatert gewesen wäre. Er kroch zu seinem Fenster und sah auf die Dächer Thamels hinaus.
»Na schön«, sagte er nach einer Weile. »Ich mache es. Es ist ein dummer Plan, aber er ist besser als das …« Er deutete mit der Hand auf ganz Katmandu.
Also machten wir uns wieder reisefertig, was für Colonel John bedeutete, daß er in den Landrover sprang, und für mich, daß ich meinen Rucksack packte; doch George hatte noch einiges zu erledigen. Zuerst kaufte er ein paar große Kanister Benzin. Dann kaufte er fast alle Antibiotika in Katmandu auf, eine Suche, die ihn nicht nur in die kleinen Apotheken um Thamel führte, sondern auch zu vielen Straßenhändlern, die neben anderen Händlern, die kandierte Früchte oder Weihrauch verkauften, ihre Decken auf den Bürgersteigen ausgebreitet hatten und alle möglichen Medikamente verkauften; sie versorgten sich bei zurückkehrenden Bergsteigerexpeditionen. Er trieb unter anderem auch eine Packung Tinnidazol auf, ein Medikament gegen Giardia, das in den Staaten verboten war — eine richtige Ochsenkur, man nimmt vier große Pillen, und am nächsten Tag ist die Giardia in einem tot, zweifellos gemeinsam mit dem größten Teil der Gedärme. George schluckte dieses Gift auf die bloße Möglichkeit hin, daß er unter Giardia litt, und nahm seine weiteren Aufgaben in Angriff.
Eine davon bestand darin, bei unserem Freund Bahadim vorbeizuschauen und sich mit ihm zu beraten; er gab ihm eine Bekanntmachung, die er für die Nepal Gazette geschrieben hatte, und einige Briefe, die anscheinend auf A.S.J.B. Ranas Briefpapier geschrieben waren.