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George ahnte von meinen Absichten noch nichts, doch als er zurückschaute und sah, was ich tat, war er immer noch sauer auf mich. »Du ermutigst sie nur, Freds.«

»Ja, ich weiß.«

George hatte nicht das geringste Mitgefühl für diesen oder irgendeinen anderen Bettler. Ich erinnere mich noch, wie wir uns einmal durch die schmale Hauptstraße kämpfen mußten, und dann hatte er zurückgeschaut und die ganzen Leute betrachtet, die uns alle anstarrten, und war regelrecht ausgeflippt. »Die stehen da wie Kegel auf einer Kegelbahn, meinst du nicht auch, Freds? Die stehen da und sehen dich an, als könntest du … he, warte mal!« Und er war in die German Pumpernickel Bakery gestürmt und mit einem dieser großen dunklen Brote herausgekommen, die einen mit ihrem Gewicht und ihrer allgemeinen Beschaffenheit tatsächlich an eine Bowlingkugel erinnern. Er drückte Löcher für den Daumen und einen Finger hinein, nahm einen langen Anlauf, bückte sich und kegelte das Brot mitten durch sie hindurch, wobei er wie ein Wahnsinniger lachte.

»Du riskierst es, als kleines und widerwärtiges Geschöpf wiedergeboren zu werden«, sagte ich zu ihm. Doch er hörte nicht auf mich.

Diesmal jedoch erreichten wir das Lokal ohne Schwierigkeiten.

»Hör mal, George«, sagte ich, während wir uns in einer kleinen abgelegenen Fensternische im Marco Polo über unsere Pizza hermachten, »du weißt ja, was passiert, wenn sie eine Straße zu einem der Bergdörfer bauen.«

»Die Leute fahren dahin.«

»Genau! Die Leute fahren dorthin und wieder zurück. Das ganze Dorf geht vor die Hunde. Wird für immer ausgelöscht.«

»Jetzt werd’ nicht melodramatisch, Freds.«

»Werd’ ich nicht! Kennst du Jiri?!«

»Ja.« Er rümpfte die Nase.

»Das war ein wunderschönes Dorf, bis die Straße dorthin gebaut wurde.«

Er glaubte mir nicht. »Freds, die betreiben wie verrückt Studien, bevor sie so eine Straße bauen, und vergewissern sich, daß sowas nicht passieren wird.«

Das war natürlich eine so dumme Antwort, daß ich merken mußte, daß er es nicht ernst meinte. Er wollte mich nur abwimmeln. »Eine Küchenschabe.«

»Wo?«

»Als die wirst du wiedergeboren werden.«

Ich sah aus dem Fenster. Normalerweise genieße ich die Aussicht aus dem Fenster des Marco Polo im dritten Stock, die bunten Teppiche der Händler auf der Straße, die Balkone darüber, auf denen Matratzen und Bettzeug lagen, das schwach in der Sonne dampfte, darüber das Gewirr der Gebetsflaggen und Telefonleitungen in der Luft, die zu so alten Dächern führten, daß grünes Unkraut und gelbes Gras auf ihnen wuchs. Und dann die großen Kiefern des Palastes im Hintergrund, hinter denen man gelegentlich einen Blick auf den Himalaja erhaschen konnte. Doch an diesem Tag hingen die Monsunwolken tief; man hatte die Matratzen und Teppiche hereingeholt, und die Gebäude wirkten in der dunklen, regnerischen Luft heruntergekommen. Und im Halbdunkel des Restaurants mampften die Gäste emsig vor sich hin, um das Gefühl zu unterdrücken, daß es sie in eine triste Welt verschlagen hatte, in der das gesamte Essen wie Pappe schmeckte, nicht nur der Pizzateig, sondern auch die Tomatensoße, der Käse und das Gemüse, einfach alles bis auf die großen krummen chinesischen Pilze, die sich auf den Pizzascheiben wanden und wirklich nach den bizarren Pilzgewächsen aussahen, die sie auch waren, und mit jedem Biß andeuteten, daß jemand in der Dosenfabrik einen schlimmen mykologischen Fehler begangen hatte.

Es war kein erheiternder Anblick. Und ich mußte mich mit einem dickköpfigen, gerissenen, faulen Freund befassen, und es war klar, daß ein ernsthafter Vertrauensbruch nötig war, um ihn dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollten. »George«, sagte müde, »kannst du ein Geheimnis bewahren?«

»Klar.«

»Es ist wichtig, George. Wie bei Nathan und Buddha, du weißt schon.«

»Sicher«, sagte er und schaute beleidigt drein. »Habe ich jemals etwas darüber erzählt?«

»Keine Ahnung. Aber von dieser Sache darfst du wirklich niemandem erzählen. Verstehst du, hinter dem Ende der Straße, die sie bauen wollen, direkt im nächsten Tal, liegt ein Dorf. Und es ist kein gewöhnliches Dorf. Es ist Kunga Norbus Dorf.«

»Ich dachte, er wäre Tibetaner.«

»Es ist ein tibetanisches Dorf.«

»Ein tibetanisches Dorf in Nepal?«

»Es liegt da oben an der Grenze, genau dort auf dem Grat, wo die Grenze mehr oder weniger zufällig verläuft. Da oben in —.« Was eins der halbwegs unabhängigen kleinen alten Königreiche ist, die zu Nepal gehören, sich aber nach Tibet erstrecken.

George nickte. Er wußte, daß eine Menge Hochland-Nepali tibetanischer Herkunft waren, die Sherpas im Osten, die Bhutani im Westen (›Bhutan‹ bedeutet auf Nepalesisch ›Tibet‹), so daß solch eine Situation gar nicht ungewöhnlich war. »Das ist doch ganz in der Nähe, wo wir Buddha ausgesetzt haben«, sagte er.

»Genau. Eine ganz besondere Gegend.« Ich erzählte ihm, wie wunderschön sie war, daß der Khumbu noch völlig unberührt sei, Buddha und eine Menge anderer Yetis in den Hochwäldern lebten, es eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt dort gäbe, und er kaute und nickte und machte keineswegs den Eindruck, sich besonders dafür zu interessieren.

»Und was ist das für ein Geheimnis?« fragte er.

Ich merkte, daß er es nur wissen wollte, weil es ein Geheimnis war. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen Wissen, das einem aufgezwungen wurde, und Wissen, um das man gebeten hat, und so beugte ich mich schnell vor und sagte wirklich leise:

»Das Dorf ist in Wirklichkeit Shangri-La.«

»Komm schon, Freds. Das ist ein erfundener Name aus einem Film. In den Fesseln von Shangri-La. Neu verfilmt als Der verlorene Horizont.«

»Ja, richtig. Ich hätte nicht gedacht, daß du so viel darüber weißt. Der wirkliche Name lautet Shambhala. Aber wie auch immer man ihn nennt, es bleibt derselbe Ort.«

»Ich dachte, Shambhala läge im nördlichen Tibet oder in der Mongolei.«

»Sie haben gezielte Falschinformationen darüber verbreitet. Aber es liegt da oben an der Grenze und hat große Schwierigkeiten, weil man jetzt eine Straße dorthin bauen will.«

George musterte mich. »Du willst mich verarschen, oder?«