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Immer weiter liefen wir, bis die Wände von Kaiapa von einem schmalen, steinernen Gang ersetzt wurden, und wir liefen weiter durch einen Tunnel, der von Butterlampen erhellt wurde, bis wir dann dunkle Stufen in eine große unterirdische Höhle hinabpolterten, deren Wände mit Gold beschlagen waren. Anscheinend handelte es sich dabei um den Hauptbahnhof des gewaltigen Tunnelsystems von Shambhala. »Mann«, sagt George. »Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.«

»Ich habe selbst nichts davon gewußt«, sagte ich. Die wenigen Lichtflecke der Butterlampen zeigten uns nicht gerade viel, doch ich schätzte, daß sich etwa zwanzig Tunneleingänge in diese goldene Höhle öffneten. »Hoffentlich müssen wir den Rückweg nicht allein finden.«

»Sag sowas nicht.«

Wir marschierten durch einen der Tunnels los und folgten Kunga Norbu und ein paar Khampas mit Fackeln, die in der Dunkelheit vorausliefen und die Butterlampen füllten und anzündeten. Die Lampen waren in Nischen angebracht, die Statuen von Bönpa-Dämonen oder Bodhisattvas bargen, so daß wir entweder erschrocken zusammenfuhren oder aufgemuntert wurden, wenn wir an ihnen vorbeigingen. Gelegentlich gelangten wir an Abzweigungen, und normalerweise wandten wir uns nach rechts, aber nicht immer. Wir bewegten uns im Laufschritt, größtenteils bergaufwärts, an manchen Stellen sogar Treppen hinauf, und schließlich wurde es ziemlich beschwerlich. Abgesehen von Pfützen und kleinen Stalagtiten und den Nischen für die Lampen ähnelte ein Tunnel dem nächsten wie ein Ei dem anderen, so daß wir unmöglich sagen konnten, wie weit wir schon gegangen waren. Doch es müssen mehrere Kilometer und über zwölfhundert Meter Höhenunterschied gewesen sein, denn soweit liegt der Nangpa La entfernt.

Dann blieben wir stehen und drängten uns zusammen, während die Führer eine Steintür öffneten, und wir traten unter nächtlichen, wogenden Monsunwolken hinaus auf einen steilen Grat etwas dreihundert Meter über dem Nangpa La. Unten im Paß konnten wir eine Reihe klappriger Gebetsmühlen und große schlanke Pfosten ausmachen, an denen einmal Gebetsflaggen gehangen hatten. Als ich sie beobachtete, erhaschte ich eine Bewegung, und ein schwaches, hohes Pfeifen trieb an uns vorbei und erzeugte auf meinen Unterarmen eine Gänsehaut. »Oh, ja«, sagte ich, und George zischte »Ein Hinterhalt!«, aber der Colonel schüttelte nur den Kopf.

»Yetis«, sagte er. »Der Manjushri Rimpoche hat sich ihrer Unterstützung versichert.«

»Scheiße«, sagte George. Aber im Augenblick wußte er nichts weiter darauf zu entgegnen. Unten im Paß bewegten sich Gestalten und verschwanden, und mehr sahen wir sowieso nicht von ihnen, und wir stiegen schnell zum Paß hinab, wobei wir nur auf freiliegende Steine traten, so daß keine Spuren verraten konnten, woher wir gekommen waren.

Bei den Gebetsmühlen trennten wir uns in zwei Gruppen und gingen auf beiden Seiten den Paß hinab. Danach kam es nur darauf an, mit dem Colonel mitzuhalten, der vorgab, in seinem Landrover zu sein und lief, wo immer es ihm möglich war, und uns anschrie und auf dem Arsch über steile Hänge und durch kalte Gletscherbäche rutschte und der uralten Handelsstraße folgte.

Ein paar Stunden später erreichen wir den Rhododendron-Wald über Chhule. Der Regen hatte alle Blüten abgeschlagen, und sie lagen wie geplatzte Luftballons einer Geburtstagsfeier auf dem Waldboden, so daß die Erde rosa war und der Himmel ein wogendes, bewölktes Weiß, seltsam von einem Vollmond indirekt erhellt. Zwischen dem rosafarbenen Boden und dem weißen Himmel bogen sich Hunderte schwarze, knorrige Rhododendronzweige zu einem leichten, nassen Schnee hoch, der zu fallen begonnen hatte. Es war ein unheimlicher Ort, und als der Mond wie eine Straßenlampe durch das Unterholz leuchtete, sah er nur noch unheimlicher aus — rosafarbener Boden, knorrige schwarze Äste, fallender Schnee, Wolken, die am Mond vorbeirasten, und dann und wann in den Augenwinkeln sich bewegende Gestalten.

Am unteren Waldrand lagen die Ausläufer von Chhule, und die Kasernen, in denen die nepalesischen Soldaten untergebracht waren, befanden sich auf unserer Seite des Dorfes, nur durch eine schmale Lichtung von uns getrennt — drei lange, zweistöckige Steingebäude mit Wellblechdächern und Fenstern mit Holzrahmen, alle friedlich schlafend in den Tiefen einer normalen Dorf nacht. Irgendwo im Dorf bellte eine Bulldogge, doch in jeder Nacht bellten in jedem Dorf in Nepal Hunde, so daß man sich darüber keine Sorgen machen mußte.

Schweigend folgten wir den Anweisungen des Colonels und schwärmten am Waldrand aus. Er ordnete die Mörser-Teams in einem Halbkreis um die Kasernen an und plazierte mich und George hinter einem kleinen, fetten, alten Rhododendron an das eine Ende des Halbkreises. Er sah zu den Kasernendächern hinüber und kicherte grimmig. »Es wird sich anhören, als würden wir ihnen Abfalleimerdeckel um die Ohren knallen. Hier, nehmt die Masken — ihr seid am Rand ihres Sichtfelds.«

Er gab uns Dämonenmasken und Taschenlampen, und wir setzten die Masken auf, und zum Glück hatten unsere Dämonen so große Glotzaugen, daß die eingeschnittenen Pupillenlöcher groß genug waren, um hindurchzusehen. George verwandelte sich in einen grünen, roten, blauen und goldenen Schrecken und grinste mit drei- oder viermal soviel Zähnen, wie er eigentlich haben sollte. Und ich sah wahrscheinlich ganz ähnlich aus. Sobald das Spektakel begann, sollten wir zwei Mörsersalven abfeuern, dann um die Bäume hervorkommen, die Taschenlampen auf unsere Gesichter richten, um etwas unterbewußte negative Werbung zu betreiben, und uns wieder hinter die Bäume zurückziehen, damit wir nicht von etwaigen Schüssen getroffen wurden.

Ein toller Plan. Obwohl George nicht viel davon hielt. Und als er die Felsbrocken aus seinem Rucksack nahm, um unseren Mörser zu laden, war er noch weniger beeindruckt. »Freds, was ist das? Siehst du das? Diese Steine, sie sind blau! Sind sie nicht blau?« Er richtete eine Sekunde lang seine Taschenlampe auf sie. »Freds, das sind Türkise!«

Er lief zwischen den Bäumen her, holte den Colonel ein und zerrte ihn zurück. »Colonel, wieso zum Teufel bombardieren wir diese Burschen mit Türkisen?«

Der Colonel hatte schon eine besonders groteske Dämonenmaske aufgesetzt, doch irgendwie wurde offensichtlich, daß das wilde Grinsen der Maske dem auf dem Gesicht darunter entsprach. »Wunderschön, nicht wahr?« sagte der Colonel. »Sie kommen aus ihren Kasernen gelaufen und sehen überall dieses Zeug liegen und werden denken, daß der Himmel einstürzt. Sie werden vor Furcht glatt durchdrehen.«

Keine Antwort von George.

Schließlich schüttelte er heftig den Kopf, wobei die Maske verrutschte, und sagte mit gedämpfter Stimme: »Colonel, ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, daß Sie, wenn Sie diese Burschen mit Türkisen bombardieren, dann machen Sie es ihnen bestimmt schwer, morgen früh daran zu glauben, daß sie von den Chinesen angegriffen worden sind …«

Doch bevor er seine Frage zu Ende bringen und seine Maske zurecht schieben konnte, war der Colonel schon wieder weg und hatte den Pfiff gegeben, der das Signal für den Angriff war. Einer der Khampas, der eine Maske trug, die besonders häßlich war, hatte sich zu einem der Fenster geschlichen, das Gesicht vor das Fenster gehoben, mit der Taschenlampe in das Zimmer und dann auf seine Maske geleuchtet und laut losgekreischt, und das war das Zeichen für uns alle, unsere Mörser abzufeuern, in einer aufeinanderfolgenden Salve, die etwa eine halbe Minute dauerte. Der Khampa am Fenster schleppte seinen Arsch wieder in die Deckung der Bäume, und die Schützen eröffneten das Feuer und ballerten aus allen Barackenfenstern heraus, und dann pfiffen ein Dutzend Mörserladungen Türkise aus dem Himmel, und zumindest ein paar davon knallten auf die Metalldächer, die unter den Aufschlägen fürchterlich zu dröhnen anfingen. Und die ganze Zeit über tanzten wir Dämonen zwischen den Bäumen und ließen das Licht unserer Taschenlampen auf die Masken blitzen, und aus dem Inneren der Baracke erklangen Schreie der sinnlosen Panik, die das Herz des Colonels noch mehrere zukünftige Inkarnationen lang wärmen würden.