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George ließ sich jedoch weder überzeugen, daß dies eine brauchbare Lagerstätte war, noch, daß wir wirklich auf dem Weg nach Shambhala waren.

»Was hast du dir vorgestellt?« sagte ich. »Hast du gedacht, es sei leicht, nach Shambhala zu kommen? Es führen keine breiten Autobahnen dorthin. Wir haben soeben das letzte Stück Trail hinter uns gelassen. Der Rest des Weges geht querfeldein.«

Das stimmte, doch nachdem wir Chhule hinter uns gelassen hatten, konnten wir wieder auf den Talgrund hinabsteigen. Dort marschierten wir augenblicklich in den Schutz eines gewaltigen Rhododendron-Waldes, der gute drei Kilometer des Tals ausfüllte. Da der Monsun dieses Jahr so früh gekommen war, stand der ganze Wald noch in Blüte; jeder Baum war eine Explosion üppiger rosa- oder lavendelfarbiger oder weißer Blüten, jede Blüte war groß und hell und schimmerte feucht. Wir schritten unter einem Dach aus Millionen dieser Wunder einher, während der Nebel zwischen den knorrigen schwarzen Ästen wogte, und der Anblick war so seltsam und beeindruckend, daß sogar George die Klappe hielt und mit aufstehendem Mund marschierte.

Hinter dem Rhododendron-Wald gerieten wir in das seltsame tropisch-arktische Unterholz, das die Täler des Himalaja in einer Höhe zwischen etwa viertausend bis fünftausend Metern bedeckt. Das ist Gottes Land, wenn Sie mich fragen, Bergwiesen, auf denen Heidekraut wächst, dornige Moosarten, Flechten, kleine Sträucher und Hochgebirgs- und Tundrablumen. Das Tal hier war eindeutig U-förmig, ein Gletscherding mit steilen Felswänden, und wir krochen hinauf wie Ameisen auf dem Boden eines leeren Swimming-Pools. Der Talgrund wurde von zahlreichen silbernen Wasserläufen durchzogen, und als wir neben diesen Gletscherbächen wanderten, konnten wir hören, wie Felsen über ihren Grund rumpelten und die Bäche praktisch umleiteten, während wir zusahen. Und auf beiden Seiten des Tals türmten sich die schneebedeckten steilen Gipfel des Himalaja-Massivs auf, obwohl wir sie auf diesem Trek wegen der Wolken so gut wie nie sahen.

Wir näherten uns der Grenze zwischen Nepal und Tibet. Im allgemeinen verlaufen die Gebirgszüge von Osten nach Westen, doch es gibt unzählige Ausläufer, alle dermaßen verzogen und verdreht, wie man es nur erwarten kann, wenn ein Kontinent mit hoher Geschwindigkeit unter einen anderen stößt. Die politische Grenze versucht dem Verlauf des Gipfelkamms zu folgen, doch an einigen Stellen bilden die Gebirgszüge praktisch Knoten, und man kann gar nicht mehr so genau erkennen, was eigentlich der ›Kamm‹ ist. In solchen Gegenden wird der Grenzverlauf immer zweifelhaft, und genau an einer dieser zweifelhaften Stellen, an der sechstausend Meter hohe Bergzüge ineinanderstoßen und einige Gipfel auf über siebentausend Meter hochstoßen, liegt das Hochtal von Shambhala.

Doch noch einige Kilometer südlich davon gerieten George und ich an eine Y-förmige Kluft in unserem Tal, die Wege nach Westen und Norden anbot. Die rechte Gabel stieg langsam zu einem Paß an, der jahrhundertelang als bedeutende Handelsstrecke zwischen Nepal und Tibet gedient hat. Wegen diesem Paß, dem Nangpa La, befand sich der Armeeposten in Chhule — er hatte die Aufgabe, ihn zu schließen.

Die linke Gabelung wurde von einer hohen Felswand blockiert, die wir erkletterten, und darüber lag ein langes schmales Hochtal, dessen Grund noch von einem Gletscher erfüllt wurde. Wir folgten dem Gletscher hinauf zu einem hufeisenförmigen Ring spitzer Gipfel. Diese Hufeisenwand war Shambhalas letzter Schutz vor zufälligen Besuchern, und als wir zum Kopf des Gletschers marschierten und auf das Trümmergestein, die Schmelzteiche und blauen Eisnadeln hinabsahen, und dann hinauf zu der großen gebogenen Wand aus zerschmetterten Gestein, sagte George plötzlich: »Verdammt, Freds, bist du sicher, daß du dich nicht verirrt hast?«

Dummerweise war das genau die Stelle, an der ich mich immer verirre. Ich wußte, welche niedrige Stelle in dem hufeisenförmigen Ring unser Paß war, doch den Gletscher und die Schneebetten zu überqueren, um zu seinem Fuß zu gelangen, war nicht einfach, besonders, wenn Wolken aufzogen und das Tal mit Nebel füllten, der so dick wie Erbsensuppe war. Doch schließlich brachte ich uns dorthin, indem ich vereinzelten Spuren von Yetis folgte. Die Yetis nehmen immer den einfachsten Weg über zerrissenes Land, doch sie springen auch über Schluchten, die Menschen nur erschaudernd anstarren können, und so kann man sich nicht immer darauf verlassen, daß sie einen auch zum Ziel führen.

Am Fuß der Wand mußten wir auf einer felsigen Ebene, die wie der Golfplatz des Teufels aussah, unser Lager aufschlagen. Und am nächsten Morgen schneite es heftig, elende Bedingungen für einen Paß von über sechstausend Metern Höhe, doch es war sinnlos, den Sturm abzuwarten, da es vielleicht zwei Monate lang schneien würde, und so legten wir Steigeisen an und machten uns an den Aufstieg. Bald waren wir so hoch, daß nicht einmal Flechten wuchsen. Dann und wann sahen wir Abdrücke im Schnee, von Menschen, Yetis und Schneeleoparden, und noch höher sahen wir gelegentlich Vogelkot. Und am Nachmittag wurden zu Georges Überraschung die Wolken fortgeweht. Der Monsun regnet sich an der nepalesischen Seite der Gebirgszüge ab, und man hat jedes Jahr ein paar tausend Millimeter Niederschlag, doch gut dreißig Kilometer nördlich, in Tibet, liegt die Einöde völlig im Regenschatten und bekommt so gut wie keinen Tropfen ab. Also gibt es auf dem Gebirgszug selbst alle möglichen kleinen Nischen, in denen der Niederschlag zwischen den beiden Extremen liegt und in denen es wesentlich bessere Lebensumstände gibt. Das Tal von Shambhala hat in etwa das bestmögliche Klima, das es in dieser Gegend gibt, und ich bin sicher, daß der Ort nicht zuletzt aus diesem Grund dort errichtet wurde.

Auf jeden Fall hatten wir die Wolken unter uns gelassen und standen nun in strahlendem, kaltem, windigem Sonnenschein über einem Wolkenmeer; hier oben waren die Schatten schwarz wie die Nacht, und jeder Fels stach so deutlich aus dem windgepeitschten Schnee hervor, als sähe man ihn unter einem Mikroskop. Wir waren kaum noch zweihundert Meter unter dem Sattel, und nun ließ sich deutlich eine schwache Linie von Fußabdrücken ausmachen, einzelne Abdrücke, die riesige dicke Zehen enthüllten. »Sieh mal«, sagte ich. »Spuren von Yetis.«

»Komm schon, Freds. Ich glaube nicht an diesen Unsinn.«

»George, du selbst hast in Katmandu einen Yeti gerettet! Du hast ihn angezogen! Du hast ihn Jimmy Carter vorgestellt! Du hast ihm deine Dodgers-Mütze geschenkt!«

»Ja, ja.« Er schien dieser Erinnerung nicht besonders zu trauen. »Aber was hätte ein Yeti hier oben verloren?«

»Was hätte ein Mensch hier oben verloren, der hier barfuß marschiert?«

Keine Antwort von George.

Wir folgten den Fußabdrücken, die einen Zickzackkurs für unter ihrer Würde hielten und zielstrebig dem Paß entgegenstrebten. Die Luft war in der Tat dünn, und wir brauchten eine Weile, um das letzte Stück zu schaffen, doch dann sahen wir in dem Paß Mani-Mauern und Pfosten mit Gebetsflaggen, die schon längst vom unablässigen Wind zerfetzt waren, und dieser Anblick half einem den Paß hinauf; der letzte Abschnitt kam einem vor wie eine Rolltreppe.

Wir konnten es nur ein paar Minuten lang ertragen, im Paß zu bleiben, so kalt war der Wind. Um uns herum liefen alle Gebirgszüge zusammen, nahmen uns die Sicht nach Tibet im Norden und eigentlich auch in jede andere Richtung. Hoch über dem Wind erklang ein kurzes, schriller Schrei, und ich zeigte mit dem Finger auf etwas, das wie ein sich bewegender Schneefleck aussah. Ein Schneeleopard, der half, das heilige Tal zu bewachen. Doch George schenkte diesem Anblick nicht mehr Glauben als seinem Gedächtnis.

Dann begannen wir den Abstieg in ein schmales Tal, ein ziemlich hoch gelegenes, obwohl es in diesem Augenblick nicht so hoch schien, da wir ja schon höher gewesen waren. Auf dem Talgrund lag das übliche Geröll der mäandernden Bäche verstreut, die sich durch winzige, grün und gelb bewachsene Terrassen schnitten. Darüber lagen verlassene Hütten von Yakhirten, ein paar kahle braune Kartoffelfelder, einige von Steinmauern umsäumte Weiden und Mauern mit Gebetsmühlen. Weiter talwärts hockten auf einer uralten Endmoräne ein paar Steingebäude, deren Schindeldächer in der Mittagssonne dampften. Die Gebäude waren von Nomadenzelten umgeben. Kurz gesagt war es ein völlig normales Himalaja-Gebirgsdorf, das sich vielleicht nur durch die Ruinen eines alten Klosters, das im Dzowg-Festungsstil auf einem Felsvorsprung der Seitenwand des Tals erbaut worden war, von jedem anderen unterschied.