übertragen hatten. Im Laufe der letzten Jahre war der Biologielehrer Norm Schiller, der auch das Footballtraining leitete, der vielen Witze über seine Mannschaft so müde geworden, dass er während der Saison monatelang kaum noch mit einem anderen Lehrer sprach. Aber eines Morgens hatte er sich tatsächlich bei Ben ROSS dafür bedankt, dass er seinen Schülern die Prinzipien der Welle vermittelt habe!
Ben hatte intensiv nachgedacht, was seine Schüler an der Welle so sehr faszinierte.
Wenn er fragte, bekam er meist zur Antwort, die Welle sei einfach etwas Neues und Anderes und schon deswegen verlockend. Andere behaupteten, ihnen gefiele das Demokratische an dieser» Idee«: die Tatsache, dass sie jetzt alle gleich seien. Über diese Antwort freute sich ROSS. Es war gut, dass es gelungen war, den ständigen Popularitätswettbewerb und die Cliquenwirtschaft zu überwinden, auf die seine Schüler viel zuviel Zeit und Energie verschwendet hatten. Einige Schüler meinten sogar, eine straffere Disziplin sei gut für sie. Das hatte Ben überrascht. In den letzten Jahren war Disziplin zu einem immer schwierigeren Problem geworden. Übten die Schüler sie nicht von selbst, neigten die Lehrer immer weniger dazu, sich dafür verantwortlich zu fühlen. Vielleicht war das ein Fehler. Möglicherweise konnte bei seinem Versuch eine Stärkung der Schuldisziplin herauskommen. Insgeheim träumte er sogar von Zeitungsartikeln mit der Überschrift:
Disziplin hält wieder Einzug in die Klassen! Lehrer macht eine verblüffende Entdeckung!
Laurie Saunders saß an einem Schreibtisch im Redaktionsbüro der Schülerzeitung und kaute an ihrem Kugelschreiber. Mehrere Redaktionsmitglieder saßen rundum, kauten an ihren Fingernägeln oder auf ihrem Kaugummi. Alex Cooper wippte mit Armen und Beinen zum Takt der Musik aus seinen Kopfhörern. Eine Reporterin trug Rollschuhe. Es spielte sich das ab, was man die wöchentliche Redaktionssitzung nannte.»Also gut«, sagte Laurie.»Wir haben dasselbe Problem wie immer. Die Zeitung soll nächste Woche erscheinen, aber wir haben nicht genug Beiträge.«
Laurie schaute auf das Mädchen mit den Rollschuhen.»Jeanie, du solltest etwas
über neue Schülermoden schreiben! Hast du?«
«Ach, in diesem Jahr trägt doch niemand irgend etwas Interessantes«, antwortete Jeanie.»Es ist immer dasselbe: Laufschuhe, Jeans, T-Shirts.«»Gut, dann schreib doch darüber, dass es in diesem Jahr keine neue Mode gibt«, entschied Laurie und wandte sich dann an den Musikhörer.»Und du, Alex?«Alex konnte nicht hören.
«Alex!«wiederholte Laurie lauter. Endlich stieß ihn ein Nachbar an, und er blickte erschrocken auf und zog die Stöpsel aus den Ohren.»Ja, bitte?«
Laurie verdrehte die Augen.»Alex, das hier ist so etwas wie eine Redaktionssitzung!«»Ach, wirklich?«
«Also, gut! Wo ist dein Schallplattenreport?«»Ach so, ja, die Schallplatten, hm«, antwortete Alex.»Weißt du, das ist eine komplizierte Geschichte. Also, ich wollte gerade damit anfangen, aber du erinnerst dich doch, dass ich dir gesagt habe, ich müsste dringend nach Argentinien.«
Laurie verdrehte wieder die Augen.»Also, die Reise ist ausgefallen«, fuhr Alex grinsend fort.»Dafür musste ich nach Hongkong. «Laurie wandte sich an seinen Nachbarn.»Und du bist wahrscheinlich mitgefahren«, sagte sie spöttisch. Carl schüttelte den Kopf.»Nein, nein«, antwortete er ernsthaft.»Ich bin wie vorgesehen nach Argentinien gereist.«
«Ja, ich verstehe. «Sie umfasste mit einem Blick den Rest des Redaktionsteams.
«Und ich vermute, ihr anderen musstet euch auch alle irgendwo auf dem Globus herumtreiben, und keiner hat etwas geschrieben.«»Ich bin ins Kino gegangen«, antwortete Jeanie.»Und? Hast du darüber geschrieben?«
«Nein. Es war zu gut«, antwortete Jeanie.»Zu gut?«
«Es macht keinen Spaß, über gute Filme zu schreiben«, behauptete Jeanie.
«Ja«, pflichtete Alex, der weltreisende Plattenreporter, ihr bei.»Es macht keinen Spaß, über einen guten Film zu schreiben, weil man nichts Schlechtes darüber sagen kann. Eine Kritik ist überhaupt nur gut, wenn sie schlecht ist. Dann kann man alles in Stücke reißen. «Alex rieb sich die Hände und spielte händereibend und kichernd wieder einmal seine berühmte Rolle eines irrsinnigen Wissenschaftlers. Das konnte niemand so gut wie er. Außerdem hatte er auch eine Pantomime eines Windsurfers im Wirbelsturm in seinem Repertoire.»Wir brauchen aber Artikel für unsere Zeitung!«sagte Laurie entschieden.»Hat denn gar keiner eine Idee?«»Es gibt einen neuen Schulbus«, sagte jemand.»Wie spannend!«
«Ich habe gehört, dass Mr. Gabondi nächstes Jahr ein Freisemester nehmen wird.«
«Vielleicht kommt er nicht wieder.«»Irgendein Bursche in der zehnten hat gestern mit der Faust eine Fensterscheibe eingeschlagen.«»Wie kam das?«
«Er wollte beweisen, dass man ein Loch in ein Fenster schlagen könne, ohne sich dabei zu verletzen.«»Hat er's geschafft?«
«Nein, es hat ihn zwölf Schnittwunden gekostet.«»He, wartet mal«, sagte Carl.»Wie wäre es denn mit der Welle? Darüber will doch jetzt jeder etwas wissen.«»Bist du nicht im Geschichtskurs von ROSS, Laurie?«fragte einer.
«Das ist augenblicklich die größte >Geschichte< an der Schule.«
Laurie nickte. Ihr war klar, dass die Welle einen Bericht wert war, vielleicht sogar einen sehr umfangreichen. Vor einigen Tagen schon war ihr klargeworden, dass so etwas wie die Welle wahrscheinlich genau das war, was dieser wirre Redaktionshaufen der Schülerzeitung selbst dringend brauchte. Aber sie hatte den Gedanken verdrängt. Sie konnte sich den Grund dafür nicht einmal erklären. Da war nur dieses ein wenig unheimliche Gefühl, das allmählich in ihr wuchs, das Gefühl, dass man mit dieser Welle vielleicht sehr, sehr vorsichtig umgehen müsse. Bisher hatte sie nur erlebt, dass in Mr. ROSS' Geschichtskurs etwas Gutes dabei herausgekommen war. Und dem Footballteam hatte sie anscheinend auch geholfen. Trotzdem hatte Laurie ihre Bedenken.»Nun, was ist damit, Laurie?«fragte jemand.»Mit der Wellet«.
«Wieso hast du das Thema eigentlich noch keinem von uns gegeben?«fragte Alex.
«Willst du dir die Rosinen etwa selbst herauspicken?«
«Ich weiß nicht, ob sich schon jemand gut genug darin auskennt, um etwas darüber zu schreiben«, antwortete Laurie.»Wie meinst du das? Du bist doch in der Welle, oder?«fragte Alex.»Ja, das bin ich«, bestätigte sie.»Aber trotzdem…«»Immerhin müssten wir wenigstens berichten, dass die Welle überhaupt existiert«, meinte Carl.»Ich glaube, dass sich eine ganze Menge Leute fragen, was es damit auf sich hat.«
Laurie nickte.»Ja, ihr habt recht. Ich werde versuchen, es zu erklären. Aber inzwischen möchte ich, dass ihr alle auch etwas tut. Wir haben noch ein paar Tage bis zum Erscheinungstermin. Versucht doch einmal, alles herauszufinden, was die Schüler so über die Welle denken.«
Seitdem sie mit ihren Eltern am Abendbrottisch zum erstenmal über die Welle gesprochen hatte, war sie diesem Thema zu Hause bewusst ausgewichen. Es kam ihr unnütz vor, noch mehr Auseinandersetzungen, besonders mit ihrer Mutter, heraufzubeschwören, die ja schließlich in allem, was Laurie betraf, einen Anlass zur Sorge sah: Ob sie nun abends zu spät mit David ausging, ob sie an Kugelschreibern kaute, oder ob sie Mitglied der Welle war. Laurie hoffte, dass ihre Mutter nicht mehr daran dachte. An diesem Abend, als sie in ihrem Zimmer bei den Schulaufgaben saß, klopfte ihre Mutter an die Tür.»Darf ich hereinkommen?«»Ja, sicher!«