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Die Tür öffnete sich, und Mrs. Saunders trat ein. Sie trug einen kanariengelben

Bademantel und Sandalen. Die Haut um ihre Augen glänzte fettig, und Laurie wusste, dass die Mutter eine Creme gegen ihre Fältchen aufgetragen hatte.

«Wie geht's den Krähenfüßen?«fragte sie gutmütig spöttisch.

Mrs. Saunders lächelte.»Eines Tages«, sagte sie und drohte mit dem Finger,»wirst du das gar nicht mehr so komisch finden.«

Sie kam zum Tisch und schaute über Lauries Schulter auf das Buch, in dem ihre Tochter gelesen hatte.»Shakespeare?«'

«Was hast du erwartet?«fragte Laurie.

«Meinetwegen alles, nur nichts von dieser Welle!«sagte Mrs. Saunders und setzte sich auf das Bett ihrer Tochter. Laurie wandte sich um und sah die Mutter an.»Wie meinst du das?«

«Ich meine nur, dass ich Elaine Billings im Supermarkt getroffen habe, und sie hat mir erzählt, ihr Robert sei ein völlig neuer Mensch geworden.«

«Und? Macht sie sich deswegen Sorgen?«fragte Laurie.»Sie nicht, aber ich«, antwortete ihre Mutter.»Du weißt doch, sie haben jahrelang Probleme mit ihm gehabt. Elaine hat oft mit mir darüber gesprochen. Sie war sehr besorgt. «Laurie nickte.

«Und jetzt ist sie ganz begeistert von dieser plötzlichen Veränderung«, erklärte Mrs.

Saunders.»Aber irgendwie traue ich der Sache nicht. Eine so dramatische Persönlichkeitsveränderung! Das klingt fast so, als hätte er sich irgendeiner religiösen Sekte angeschlossen.«»Was willst du damit sagen?«

«Laurie, wenn du einmal untersuchst, was für Menschen sich solchen

Gemeinschaften anschließen, dann ' wirst du feststellen, dass es fast immer Menschen sind, die mit sich selbst und ihrem Leben unzufrieden sind. Sie sehen diesen Kult als eine Möglichkeit der Veränderung, eines neuen Anfangs, einer Art Wiedergeburt, Und wie kannst du die Veränderung bei Robert sonst erklären?«

«Aber was ist denn schlecht daran?«»Das Problem ist einfach, dass dieser Kult nichts mit der Realität zu tun hat, Laurie. Robert ist nur sicher, solange er sich innerhalb der Grenzen der Welle bewegt. Aber! was meinst du wohl, was aus ihm wird, wenn er die Welle verlässt? Die Außenwelt weiß nichts von der Welle oder sie kümmert sich nicht darum. Wenn Robert vor der Welle in der Schule nichts leisten konnte, dann wird; er es außerhalb der Schule auch nicht können, wo es die! Welle nicht gibt. «Laurie verstand.»Meinetwegen. Aber um mich brauchst du dir deswegen keine Gedanken zu machen. Meine Begeisterung hat sich schon etwas abgekühlt.«

Mrs. Saunders nickte.»Ich war ganz sicher, dass du nach reiflicher Überlegung zu diesem Ergebnis kommen würdest.«

«Und wo liegt also das Problem?«fragte Laurie.»Es Hegt bei allen anderen in der Schule, die diese Welle noch immer ernst nehmen«, erklärte ihre Mutter.»Ach, du bist die einzige, die es zu ernst nimmt. Ich jedenfalls denke, es ist einfach eine Mode.

So etwas wie Punk oder dergleichen. In zwei Monaten erinnert sich keiner mehr, was es mit der Welle eigentlich auf sich hatte.«

«Mrs. Billings hat mir erzählt, dass es am Freitag Nachmittag eine Versammlung der Welle gibt«, sagte Mrs. Saunders.

«Ja, eigentlich ist das eine Versammlung des Fanclubs für das Footballteam«, erklärte Laurie.»Anders ist nur, dass sie es diesmal eben als eine Versammlung der Welle bezeichnen.«

«Und dabei werden sie zweihundert neue Mitglieder indoktrinieren?«fragte Mrs.

Saunders skeptisch. Laurie seufzte.»Hör zu! Du machst dich wirklich verrückt wegen dieser ganzen Geschichte. Niemand indoktriniert hier irgendwen. Sie werden bei dieser Versammlung neue Mitglieder in die Welle aufnehmen. Aber die wären sowieso gekommen. Wirklich. Die Welle ist nur ein Spiel, weiter nichts. So, wie kleine Jungen Soldaten spielen. Du müsstest einmal Mr. ROSS kennenlernen, dann wüsstest du sofort, dass Sorgen überflüssig sind. Er ist so ein guter Lehrer! Er will bestimmt nichts mit Dingen wie Kultgemeinden und Indoktrination zu tun haben.«

«Und dich verwirrt das alles ganz und gar nicht?«fragte Mrs. Saunders.

«Mich verwirrt daran nur eines, nämlich, dass es so viele in meiner Klasse gibt, die sich von einer so kindischen Geschichte so einfangen lassen. Ich meine, ich kann schon verstehen, warum David dabei ist. Er ist überzeugt, dass sich seine Footballmannschaft dadurch verbessern lässt. Aber bei Amy verstehe ich es nicht.

Ich meine, du kennst sie doch auch. Sie ist so klug, und trotzdem nimmt sie das alles sehr ernst.«»Du machst dir also doch Sorgen«, bemerkte ihre Mutter, doch Laurie schüttelte den Kopf.»Das ist das einzige, was mich daran wundert, und das ist doch wirklich nicht viel. Die ganze Welle ist ein Maulwurfshügel, und du machst ein Gebirge daraus. Wirklich, glaub mir!«Mrs. Saunders stand langsam auf.»Also gut, Laurie. Zumindest weiß ich, dass du dich von dieser Welle nicht mitreißen lässt. Ich denke, dafür kann man schon dankbar sein. Aber, bitte, sei vorsichtig!«Sie beugte sich zu ihrer Tochter und streichelte ihr über den Kopf, dann verließ sie das Zimmer.

Laurie saß ein paar Minuten an ihrem Tisch, ohne die Schularbeit wieder aufzunehmen. Sie kaute an ihrem Kugelschreiber und dachte über die Sorgen ihrer Mutter nach. Man konnte das alles wirklich zu sehr aufblähen. Es war doch nichts weiter als ein Spiel! Oder?

Kapitel 10

Ben ROSS saß beim Kaffee im Lehrerzimmer, als ein Kollege kam und ihm sagte, Direktor Owens wünsche ihn in seinem Büro zu sprechen. ROSS fühlte sich ein wenig unsicher. War irgend etwas nicht in Ordnung? Wenn Owens ihn sprechen wollte, dann musste es mit der Welle zu tun haben.

ROSS trat auf den Flur und ging auf das Büro des Direktors zu. Unterwegs blieben mehr als ein Dutzend Schüler stehen und grüßten mit dem Gruß der Welle. ROSS grüßte zurück und ging schnell weiter. Was hatte Owens ihm zu sagen? In gewisser Hinsicht würde es eine Erleichterung bedeuten, dachte Ben, wenn Owens ihm mitteilte, es habe Klagen gegeben, und er solle das Experiment gefälligst abbrechen.

Er hatte wahrhaftig nicht erwartet, dass die Welle sich so sehr ausbreiten würde. Die Nachricht, dass jetzt auch Schüler anderer Klassen und sogar anderer Klassenstufen daran beteiligt waren, hatte ihn verwundert. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt.

Und doch musste er dabei auch an die positive Seite des Experiments denken, an Außenseiter wie diesen Robert Billings: Zum erstenmal in seinem Leben war Robert ein Gleicher unter Gleichen, ein Mitglied, war er Teil einer Gruppe. Niemand machte sich mehr über ihn lustig, niemand machte ihm das Leben schwer. Und die Veränderung, die mit Robert vor sich gegangen war, war in der l Tat bemerkenswert.

Nicht nur, dass sich seine äußere Erscheinung verbessert hatte. Er leistete jetzt auch eigene Beiträge. Zum erstenmal war er ein aktives Mitglied seiner Klasse. Und das galt nicht nur für den Geschichtskurs. Christy sagte, in der Musik sei es ebenfalls deutlich zu spüren. Robert kam ihnen allen vor wie ein neuer Mensch. Wenn man die Welle jetzt einfach enden ließ, stieß man Robert möglicherweise in die Rolle des Klassensonderlings zurück und nahm ihm damit seine einzige Chance.

Und würde das Ende der Welle nicht auch die anderen Schüler enttäuschen, die daran teilnahmen? Ben war sich nicht sicher. Man nahm ihnen jedenfalls damit die Chance, genau zu erkennen, wohin das Experiment schließlich führte. Und er selbst verlor die Möglichkeit, seine Schüler bis zu diesem Punkt zu führen. Plötzlich blieb Ben stehen. Moment mal! Seit wann führte er sie denn irgendwohin? Es handelte sich doch einfach um ein Experiment im Unterricht, nicht wahr? Er bot seinen Schülern die Gelegenheit, ein Gespür dafür zu gewinnen, wie das Leben in Nazi-Deutschland gewesen sein mochte. ROSS lächelte über sich selbst. Man soll sich nicht zu sehr mitreißen lassen, dachte er, und ging weiter den Flur entlang.