«Ja, das hat sie auch«, bestätigte der Vater,»und es tut mir leid. Wirklich. Ich habe ihn immer für einen netten Jungen gehalten.«
«Das war er auch«, sagte Laurie. Bis die Welle kam, setzte sie in Gedanken hinzu.
«Aber ich mache mir aus einem anderen Grund Sorgen, Laurie. Ich habe da heute abend auf dem Golfplatz etwas gehört…«Mr. Saunders beendete seine Arbeit am Freitag immer schon etwas früher, um vor Sonnenuntergang noch ein paar Löcher zu spielen.»Was denn?«
«Heute nach der Schule wurde ein Junge zusammengeschlagen«, erzählte ihr Vater.
«Nun habe ich diese Geschichte ja aus zweiter Hand, also weiß ich nicht, ob alles genau stimmt, aber anscheinend hat es in der Schule so etwas wie eine Versammlung gegeben, und ein Junge hatte sich geweigert, dieser Welle beizutreten, und obendrein hatte er noch irgendeine kritische Bemerkung gemacht.«
Laurie war sprachlos.
«Die Eltern des Jungen sind Nachbarn von einem meiner Golfpartner. Sie sind erst dieses Jahr zugezogen. Der Junge muss also neu in der Schule sein.«»Dann wäre er doch der ideale Kandidat für die Mitgliedschaft in der Welle«, sagte Laurie.
«Vielleicht«, sagte Mr. Saunders.»Aber dieser Junge ist ein Jude, Laurie. Ob es vielleicht damit etwas zu tun hat?«
Laurie schluckte.»Du meinst doch nicht.. Dad, du kannst doch nicht meinen, dass so etwas bei uns anfängt? Ich meine, ich mag die Welle nicht, aber so ist sie nun wirklich nicht!«
«Bist du ganz sicher?«fragte ihr Vater.»Nun ja, ich weiß, wer ursprünglich zur Welle gehörte. Ich war dabei, als alles angefangen hat. Die Grundidee war doch, uns zu zeigen, wie so etwas wie Nazi-Deutschland überhaupt entstehen konnte. Es war doch nicht das Ziel der Sache, uns selber zu kleinen Nazis zu machen. Das ist…«
«Dieser Versuch scheint außer Kontrolle geraten zu sein, Laurie«, sagte ihr Vater.
«Könnte das sein?«Laurie nickte. Sie war zu betroffen, um etwas zu sagen.»Einige der Golfpartner haben davon geredet, am Montag zur Schule zu gehen und mit dem Direktor zu sprechen«, berichtete Mr. Saunders.»Einfach um sicherzugehen, verstehst du?«
Laurie nickte.»Wir geben eine Sondernummer der Schülerzeitschrift heraus, und da werden wir diesen ganzen Fall darstellen.«
Ihr Vater schwieg ein paar Augenblicke, dann sagte er:»Das ist ein guter Gedanke, Kleines. Aber sei vorsichtig, ja?«»Ich werde vorsichtig sein«, versicherte sie.
Kapitel 13
In den letzten drei Jahren war es für Amy zur Gewohnheit geworden, samstags nachmittags bei den Footballspielen zu sein. David gehörte zum Team, und obwohl Amy keinen festen Freund hatte, waren die Jungen, mit denen sie sich gelegentlich verabredete, meistens Footballspieler.
Am Samstag Nachmittag konnte Laurie es gar nicht abwarten, Amy zu sehen. Sie musste ihr berichten, was sie von ihrem Vater erfahren hatte. Es hatte Laurie
überrascht, dass Amy bis jetzt immer noch zur Welle hielt. Nun war sie ganz sicher, dass Amy schnell zur Vernunft kommen würde, sobald sie erst von dem zusammengeschlagenen Jungen hörte. Außerdem musste Laurie unbedingt mit ihr
über David sprechen. Sie konnte noch immer nicht begreifen, wie so etwas
«Lächerliches «wie die Welle David dazu gebracht hatte, mit ihr Schluss zu machen.
Vielleicht wusste Amy etwas, was ihr unbekannt war. Vielleicht konnte sie sogar mit David über den Fall reden.
Laurie kam gerade rechtzeitig zum Beginn des Spiels. Es war das zahlenmäßig stärkste Publikum des Jahres, und Laurie brauchte einige Zeit, ehe sie Amys blonden Lockenkopf auf den gut gefüllten Rängen entdeckte. Sie war schon halb hinaufgestiegen zur obersten Reihe, wollte zu Amy hinüberlaufen, als jemand ihr zurief:»Halt!«Laurie blieb stehen und sah Brad auf sich zukommen.»Oh, Laurie, ich habe dich von hinten gar nicht erkannt«, sagte er. Dann vollführte er den Wellen-Gruß. Laurie stand da, ohne sich zu rühren. Brad zog die Augenbrauen zusammen.
«Los, Laurie, du brauchst nur zu grüßen, dann darfst du hinaufgehen.«»Wovon redest du eigentlich, Brad?«»Das weißt du doch! Vom Gruß der Welle!«»Du meinst, ich darf nicht auf die Tribüne, solange ich nicht grüße?«fragte Laurie.
Brad schaute sich verlegen um.»Ja, das haben sie beschlossen, Laurie.«»Wer — sie?«
«Die Welle, Laurie. Du weißt doch.«»Brad, ich habe immer gedacht, du gehörst genauso zur Welle wie die meisten. Du bist doch in der Klasse von Mr. ROSS.«
Brad hob die Schultern.»Ich weiß. Aber hör mal, was ist denn schon Großes dabei?
Du grüßt, und schon kannst du hinauf.«
Laurie betrachtete die gefüllten Reihen.»Willst du etwa behaupten, dass alle, die da sitzen, vorher gegrüßt haben?«
«Ja, jedenfalls hier an meinem Teil der Tribüne bestimmt.«
«Aber ich will hinauf, und ich will eben nicht grüßen!«fuhr Laurie ihn ärgerlich an.
«Aber das kannst du nicht!«antwortete Brad.»Wer sagt, dass ich das nicht kann?«fragte Laurie lautstark. Einige Schüler schauten schon in ihre Richtung. Brad errötete:»Hör mal, Laurie«, sagte er leise,»nun mach schon diesen blöden Gruß!«
Aber Laurie blieb unnachgiebig.»Nein! Das ist einfach lächerlich, und das weißt du genauso gut wie ich. «Brad kniff die Lippen zusammen, dann schaute er sich noch einmal um und sagte:»Okay, dann grüß nicht und geh weiter. Ich glaube, es schaut gerade niemand her. «Aber plötzlich wollte Laurie nicht mehr zu den anderen. Sie hatte nicht die Absicht, sich irgendwo einzuschleichen. Das alles war einfach aus den Fugen geraten. Und manche Mitglieder, wie zum Beispiel Brad, mussten das genau wissen.»Brad«, sagte sie,»warum machst du das eigentlich mit, wenn du genau weißt, dass es dumm ist? Warum gehörst du dazu?«
«Sieh mal, Laurie, ich kann jetzt nicht darüber reden«, antwortete Brad unsicher.
«Das Spiel fängt an. Ich soll hier einfach die Leute auf die Tribüne lassen. Ich habe viel zu tun.«
«Hast du Angst?«fragte Laurie.»Fürchtest du dich vor dem, was die anderen Wellenmitglieder mit dir anstellen, wenn du nicht mitmachst?«
Brad öffnete den Mund, sagte aber lange nichts. Dann sagte er endlich:»Ich fürchte mich vor keinem, Laurie. Und du solltest lieber den Mund halten. Du weißt, dass genug Leute bemerkt haben, dass du gestern nicht bei der Versammlung warst.«
«Na, und?«fragte Laurie.
«Ich will nichts gesagt haben, ich meine nur so«, antwortete Brad.
Laurie war verblüfft. Sie wollte gern wissen, was er anzudeuten versuchte, aber auf dem Feld lief ein großes Spiel. Brad wandte sich ab, und ihre Worte verloren sich im Geschrei der Menge.
Am Sonntag Nachmittag verwandelten Laurie und einige Redaktionsmitglieder der Schülerzeitung das Wohnzimmer der Familie Saunders in eine Redaktion, um die Sonderausgabe fertigzustellen, die fast ausschließlich der Welle gewidmet sein sollte. Einige Redakteure waren nicht gekommen, und als Laurie die Anwesenden nach dem Grund dafür fragte, schienen sie anfangs zu zögern. Dann sagte Carclass="underline" »Ich habe das Gefühl, dass einige unserer Mitarbeiter lieber nicht den Zorn der Welle auf sich ziehen wollen.«
Laurie sah, dass die anderen zustimmend nickten.»Diese rückgratlosen Amöben!«rief Alex, sprang auf und schüttelte mit großer Gebärde die Fäuste.»Ich verspreche, dass ich die Welle bis zum Ende bekämpfen werde! Freiheit oder Akne!«
Er schaute in die verblüfften Gesichter der anderen.»Na ja«, erklärte er,»ich denke mir eben, Akne ist noch schlimmer als Tod!«
«Setz dich, Alex«, sagte jemand milde. Alex setzte sich, und man ging wieder an die Arbeit. Aber Laurie spürte, dass alle an die abwesenden Mitarbeiter dachten. In der Sonderausgabe über die Welle sollte auch ein Artikel über den anonymen Briefschreiber stehen und ein Bericht von Carl über den zusammengeschlagenen Mitschüler.
Es hatte sich herausgestellt, dass der Junge nicht ernsthaft verletzt war, dass ihn eben» nur «ein paar Größere zusammengeschlagen hatten. Es gab auch Zweifel daran, ob dieser Vorfall wirklich von der Welle ausgegangen war oder ob andere die Welle zum Vorwand genommen hatten, um einen Streit vom Zaun zu brechen.