«Laurie, du musst damit aufhören!«sagte er.»David, las meinen Arm los!«
«Schreib diese Artikel nicht mehr! Verdirb den anderen die Welle nicht!«
Aber Laurie leistete weiter Widerstand.»Ich werde schreiben und sagen, was ich will, und du kannst mich daran nicht hindern.«
Von seinem Zorn überwältigt, packte David auch ihren anderen Arm. Warum musste sie nur so störrisch sein? Warum erkannte sie nicht, wie gut diese Welle sein konnte?
«Wir können dich daran hindern, und das werden wir auch tun!«
Aber Laurie gab sich nur größere Mühe, sich aus seinem Griff zu befreien.»Ich hasse dich!«schrie sie.»Ich hasse die Welle\ Ich hasse euch alle!«
Die Worte trafen David wie ein Schlag ins Gesicht. Unbeherrscht schrie er sie an:
«Hält's Maul!«und warf sie zu Boden. Ihre Bücher waren um sie verstreut.
Erschrocken erkannte David, was er getan hatte. Und er war voller Furcht, als er niederkniete und die Arme um sie legte.»Laurie, ist alles in Ordnung?«Laurie nickte nur, denn ein unterdrücktes Schluchzen schnürte ihr die Kehle zu.
David hielt sie fest umklammert.»Mein Gott, wie mir das leid tut!«sagte er leise. Er spürte ihr Zittern und fragte sich, wie er etwas so Dummes hatte tun können. Warum hatte er diesem Mädchen weh getan, dem einzigen, das er immer noch liebte? Laurie richtete sich langsam auf und rang schluchzend nach Atem. David konnte es nicht glauben. Es war fast so, als erwachte er aus einem Traum. Was hatte ihn denn in den letzten Tagen dazu bringen können, sich so dumm zu verhalten? Noch vor wenigen Minuten hatte er bestritten, dass die Welle irgendeinem Menschen Schmerz bereiten könne, und gleichzeitig hatte er Laurie weh getan, seiner einzigen Freundin, und das ausgerechnet im Namen der Welle!
Es war verrückt — aber David wusste plötzlich, dass er sich geirrt hatte. Alles, was ihn dazu bringen konnte, sich so zu verhalten, war schlecht. Es musste schlecht sein!
Inzwischen fuhr Brians Wagen langsam die Straße hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
Später im Laufe des Abends betrat Christy ROSS das Arbeitszimmer, in dem ihr Mann saß.»Ben«, sagte sie entschlossen,»es tut mir leid, wenn ich störe, aber ich habe nachgedacht, und ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen.«
Ben lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah seine Frau unsicher an.
«Ben, du musst diese Welle morgen enden lassen«, sagte sie.»Ich weiß, wie viel sie dir bedeutet und welchen Wert du ihr für die Schüler beimisst, aber das muss aufhören!«»Wie kannst du das sagen?«fragte Ben.
«Weil Direktor Owens der Sache ein Ende bereiten wird, wenn du es nicht tust, Ben«, erklärte sie.»Und wenn er eingreifen muss, dann wird dein Experiment auf jeden Fall zu einem Fehlschlag. Ich habe den ganzen Abend über das nachgedacht, was du bewirken willst, und ich glaube, ich fange an zu begreifen. Aber hast du jemals daran gedacht, als du damit angefangen hast, was sich ereignen könnte, wenn dein Experiment nicht funktioniert? Ist es dir jemals in den Sinn gekommen, dass du deinen Ruf als Lehrer aufs Spiel setzt? Wenn das schief geht, glaubst du, dass die Eltern ihre Kinder dann noch einmal in deine Klasse lassen?«»Übertreibst du jetzt nicht?«
«Nein«, versicherte Christy.»Ist es dir nie eingefallen, dass du nicht nur dich in Gefahr bringst, sondern auch mich? Manche glauben doch, dass ich auch in diese Wellen-Idiotie verwickelt sein muss, bloß weil ich deine Frau bin. Kommt dir das fair vor, Ben? Es tut mir leid, dass du nach zwei Jahren Arbeit an der Gordon High School in Gefahr bist, deinen Job zu verlieren. Du wirst morgen mit alledem aufhören, Ben! Du gehst morgen früh zum Direktor und sagst ihm, dass alles vorbei ist.«»Christy, wie kannst du mir sagen, was ich tun muss?«fragte Ben.»Wie kann ich denn an einem beliebigen Tag einfach aufhören und trotzdem den Schülern Gerechtigkeit widerfahren lassen?«
«Du musst dir eben etwas ausdenken«, beharrte Christy.»Du musst einfach!«
Ben rieb sich die Stirn und dachte an das Treffen mit Direktor Owens am nächsten Morgen. Owens war ein guter Mann und für neue Methoden und Ideen durchaus offen. Aber jetzt wurde ein erheblicher Druck auf ihn ausgeübt. Einerseits wandten sich Eltern und Lehrer gegen die Welle, und wenn dieser Druck noch weiter wuchs, dann musste der Direktor einschreiten und das Experiment verbieten. Auf der anderen Seite stand nur Ben ROSS, der ihn bitten konnte, sich nicht einzumischen, und der versuchen konnte, ihm zu erklären, dass es eine Katastrophe für die Schüler wäre, wenn das Experiment einfach nur abgebrochen würde. Die Welle ohne Erklärung zu beenden, das wäre so, als wollte man nur die erste Hälfte eines Romans lesen und die Lektüre nicht beenden. Aber Christy hatte recht. Ben wusste, dass ein Ende unvermeidlich war. Wichtig war nicht, wann es aufhörte, sondern wie.
Die Schüler mussten das Experiment selbst abbrechen und den Grund dafür verstehen. Sonst war alles unnütz vertan, was man in dieses Experiment eingebracht hatte.
«Christy«, sagte Ben,»ich weiß, dass es aufhören muss, aber ich weiß noch nicht wie.«
Seine Frau seufzte müde.»Willst du das etwa morgen dem Direktor erzählen? Ben, du bist doch der Führer der Welle. Du bist doch der, dem sie blindlings folgen!«Ben mochte ihren Spott nicht und auch nicht die Stimme seiner Frau bei diesen Worten.
Aber er wusste, dass sie recht hatte.
Die Schüler der Welle hatten ihn weit mehr zu ihrem Führer gemacht, als er es selber sein wollte. Aber er hatte sich dagegen auch nicht gewehrt. Er musste sogar zugeben, dass er die Augenblicke der Macht genossen hatte, ehe alles aus den Fugen zu geraten begann: ein ganzer Raum voller Schüler, die allen seinen Befehlen sofort und widerspruchslos gehorchten, das Symbol der Welle, das er geschaffen hatte, über die ganze Schule verteilt; sogar einen Leibwächter hatte er. Er hatte gelesen, Macht könne verführen. Jetzt hatte er es selbst erfahren. Ben fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Nicht nur die Mitglieder der Welle mussten durch dieses Experiment etwas über die Macht erfahren. Ihr Lehrer lernte ebenfalls daraus.
«Ben?«fragte Christy.
«Ja, ja, ich weiß. Ich denke nach«, antwortete er. Wenn er nun irgend etwas Abruptes und Endgültiges tat — würden sie ihm dann noch immer folgen? Und plötzlich war Ben klar, was er tun musste.»Gut, Christy, ich habe eine Idee!«Sie sah ihn skeptisch an.»Eine, die auch bestimmt funktionieren wird?«
Ben schüttelte den Kopf.»Nein, aber ich hoffe es«, sagte er.
Christy nickte und schaute auf die Uhr. Es war spät, und sie war müde. Sie beugte sich zu ihrem Mann und küsste ihn. Seine Stirn war schweißfeucht.»Kommst du zu Bett?«»Bald.«
Nachdem Christy ins Schlafzimmer gegangen war, beschäftigte Ben sich mit seinem Plan, der in seinen Gedanken immer deutlichere Form annahm. Der Plan schien sicher zu sein. Ben stand auf und wollte ins Schlafzimmer gehen. Gerade fing er an, die Lampen zu löschen, als es an der Tür läutete. Ben rieb sich vor Müdigkeit die Augen und ging zur Tür.»Wer ist da?«»David Collins und Laurie Saunders, Mr.
ROSS!«Überrascht öffnete Ben.»Was macht ihr denn hier? Es ist spät.«
«Mr. ROSS, wir müssen mit Ihnen sprechen«, sagte David.»Es ist wirklich wichtig.«
«Dann kommt herein und setzt euch!«antwortete Ben. Als David und Laurie das Wohnzimmer betraten, sah Ben, dass beide ganz durcheinander zu sein schienen.
Hatte sich etwas noch Schlimmeres durch die Welle ereignet? Die beiden Schüler setzten sich auf die Couch, und David beugte sich ein wenig vor.»Mr. ROSS, Sie müssen uns helfen«, sagte er mit einer Stimme voller Eifer.
«Was ist denn?«fragte Ben.»Was gibt es Schlechtes?«»Es geht um die Welle«, antwortete David.»Mr. ROSS«, warf Laurie ein,»wir wissen, wie wichtig Ihnen das alles ist, aber es geht zu weit. «Ehe ROSS antworten konnte, fügte David hinzu:»Die Welle hat sich verselbständigt. Man kann nichts mehr gegen sie sagen. Man fürchtet sich vor ihr.«»Die Schüler haben Angst!«erklärte ihm Laurie.»Sie haben wirklich Angst. Sie sprechen nicht mehr gegen die Welle, weil sie sich vor dem fürchten, was ihnen dann zustoßen könnte.«