David lächelte nicht mehr. Das hatte er nicht erwartet. Mr. ROSS schien die Welle nicht auflösen, sondern ihre Arbeit noch verstärken zu wollen.»Wir müssen beweisen, dass durch Disziplin, Gemeinschaft und Handeln dieses Land verändert werden kann«, erklärte ROSS der Klasse.»Bedenkt nur einmal, was wir allein in den letzten Tagen an dieser Schule vollbracht haben. Wenn wir die
Dinge hier bei uns verändern können, dann können wir es auch überall. «Laurie warf David einen ängstlichen Blick zu. Mr. ROSS sprach weiter.»In Fabriken und Krankenhäusern, in Universitäten und allen Institutionen…«David sprang auf, um zu protestieren.»Mr. ROSS, Mr. ROSS!«
«Setz dich, David!«
«Aber, Mr. ROSS, Sie haben doch gesagt.. «ROSS unterbrach ihn hastig.»Ich habe gesagt, du sollst dich setzen, David. Unterbrich mich nicht!«David setzte sich und konnte nicht glauben, was er hörte, als der Lehrer fortfuhr:»Und jetzt hört genau zu. Während der Versammlung wird der Begründer und Führer der Welle im Kabelfernsehen erscheinen und die Gründung einer nationalen Jugendbewegung mit dem Namen >Die Welle< verkünden.«
Überall begannen Schüler zu jubeln. Das war zuviel für Laurie und David. Beide sprangen auf und wandten sich diesmal der Klasse zu.
«Wartet! Wartet doch ab!«bat David.»Hört nicht auf ihn! Er lügt!«
«Merkt ihr denn gar nicht, was ihr tut?«rief Laurie leidenschaftlich.»Könnt ihr denn gar nicht mehr selber denken?«Alle starrten sie an, und es wurde still. ROSS wusste, dass er schnell handeln musste, ehe Laurie und David zuviel verrieten. Ihm wurde klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte Laurie und David gebeten, ihm zu vertrauen, und er hatte keinen Ungehorsam erwartet. Aber im Augenblick war er ganz sicher, dass sie reden würden. Er sagte scharf:»Robert, ich möchte, dass du die Klasse übernimmst, bis ich zurück bin. Ich werde David und Laurie zum Direktor bringen.«
«Jawohl, Mr. ROSS.«
Der Lehrer ging zur Tür und öffnete sie für Laurie und David. Draußen gingen beide vor ihm her langsam auf das Direktionsbüro zu. Hinter sich hörten sie lautes und rhythmisches Rufen:»Macht durch Disziplin! Macht durch Gemeinschaft! Macht durch Handeln!«»Mr. ROSS, Sie haben uns gestern abend belegen«, sagte David verbittert.»Nein, das habe ich nicht, David. Aber ich habe gesagt, dass ihr mir vertrauen müsstet.«»Und warum sollten wir das?«fragte Laurie.»Sie haben doch die Welle angefangen!«
Das war unbestreitbar. Ben wusste nicht, warum sie ihm vertrauen sollten. Er wusste nur, dass es notwendig war. Und er hoffte, dass sie ihn am Abend verstehen würden.
Den größten Teil des Nachmittags verbrachten sie damit, vor dem Zimmer von Direktor Owens zu warten. Sie waren niedergeschlagen und sicher, dass Mr. ROSS sie durch einen Trick dazu gebracht hatte, mit ihm zusammenzuarbeiten, damit sie nicht verhindern konnten, was jetzt geschehen sollte, damit sie in den letzten Stunden vor dem Übergang der Welle in eine nationale Jugendbewegung ausgeschaltet waren. Selbst Direktor Owens schien nicht bereit zu sein, sie anzuhören, als sie endlich vorgelassen wurden. Auf seinem Schreibtisch lag ein kurzer Bericht von Mr. ROSS, und obwohl sie nicht sehen konnten, was da geschrieben stand, war ihnen klar, dass ROSS darin behauptete, David und Laurie hätten den Unterricht gestört. Beide drängten sie den Direktor, die Welle und die Versammlung um fünf Uhr zu verbieten, doch Direktor Owens antwortete darauf nur, es werde alles in Ordnung kommen.
Endlich schickte er sie in ihre Klassen zurück. David und Laurie konnten es nicht glauben. Sie versuchten hier, das Schlimmste zu verhindern, das sich in dieser Schule jemals zugetragen hatte, und der Direktor schien einfach nicht sehen und hören zu wollen. In der Halle schloss David seine Bücher in den Schrank und schmetterte die Tür zu.»Vergiss es!«sagte er.»Ich halte mich hier heute nicht mehr auf. Ich gehe nach Hause!«
«Warte, bis ich meine Bücher weggeräumt habe. Ich komme mit.«
Ein paar Minuten später, als sie die Schule verlassen hatten, spürte Laurie Davids Niedergeschlagenheit.»Ich kann gar nicht fassen, wie dumm ich war«, sagte er immer wieder.»Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich auf so etwas reinfallen konnte.«
Laurie drückte seine Hand.»Du warst nicht dumm, David, du warst ein Idealist. Ich meine, es gab ja auch Gutes an der Welle. Es konnte gar nicht alles schlecht sein, sonst hätte sich niemand angeschlossen. Schlimm ist nur, dass kaum jemand das Schlechte daran erkennt. Sie glauben, dass durch die Welle alle gleich werden, aber sie begreifen nicht, dass dadurch jeder das Recht verliert, unabhängig zu sein.«
«Laurie, ist es nicht vielleicht doch möglich, dass unsere Meinung über die Welle falsch ist?«»Nein, David, wir haben recht!«antwortete sie entschieden.
«Aber warum erkennt das dann sonst niemand?«fragte er.
«Das weiß ich nicht. Ich glaube, sie sind alle wie in Trance. Sie hören einfach nicht mehr zu. «David nickte hoffnungslos. Es war noch früh, und sie beschlossen, in einen nahe gelegenen Park zu gehen. Keiner wollte schon heim. David war nicht mehr sicher, was er von der Welle und von Mr. ROSS halten sollte. Laurie glaubte noch immer, dass es sich nur um eine Mode handeln konnte, dass die Schüler der Sache endlich müde werden würden, gleichgültig, wie und durch wen alles organisiert würde. Sie empfand nur Furcht bei dem Gedanken daran, was die Schüler, die zur Welle gehörten, alles anrichten konnten, ehe sie genug davon hatten.
«Plötzlich fühle ich mich allein«, sagte David, als sie durch den Park gingen.»Es ist so, als gehörten alle meine Freunde zu einer verrückten Bewegung, und ich bin ein Ausgestoßener, bloß weil ich mich weigere, genau wie sie zu sein.«
Laurie wusste, wie er empfand, denn bei ihr war es ganz ähnlich. Sie drängte sich näher an ihn, und er legte den Arm um sie. Laurie fühlte sich David enger verbunden denn je. War es nicht seltsam, dass man einander näherkam, wenn man gemeinsam etwas Schlimmes erlebte? Sie dachte an den Vorabend zurück, als David plötzlich die Welle völlig vergessen hatte, sobald ihm klargeworden war, dass er ihr weh getan hatte. Sie umarmte ihn heftig.
«Was ist?«fragte David überrascht.»Ach, nichts!«David wandte den Kopf ab.
Laurie fühlte, dass ihre Gedanken wieder um die Welle kreisten. Sie versuchte, sich die Aula an diesem Nachmittag voller Wellenmitglieder vorzustellen. Und irgendein Führer sprach von irgendwoher über das Fernsehen zu ihnen. Was würde er ihnen sagen? Dass sie Bücher verbrennen sollten? Dass sie alle Nichtmitglieder zwingen sollten, Handschellen zu tragen? Es kam ihr alles so unglaublich verrückt vor, dass solche Dinge keineswegs auszuschließen waren.
«Also…«Plötzlich erinnerte sie sich an etwas.»David«, sagte sie,»erinnerst du dich noch an den Tag, an dem alles angefangen hat?«»Den Tag, an dem uns Mr. ROSS den ersten Grundsatz beigebracht hat?«fragte David.
«Nein, an den Tag davor, als wir den Film über die Konzentrationslager der Nazis gesehen haben. Der Tag, an dem ich so aufgeregt war. Erinnerst du dich? Niemand wollte verstehen, wieso die anderen Deutschen so tun konnten, als hätten sie nichts von dem gewusst, was da vor sich ging.«»Ja, und?«fragte David.
«Erinnerst du dich auch, was du damals am Nachmittag zu mir gesagt hast?«
David dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er den Kopf.»Du hast mir gesagt, so etwas könnte sich nie wiederholen.«
Einen Augenblick schaute David sie an und meinte, dass sie ironisch lächelte.