«Weißt du was?«sagte er.»Selbst mit dieser Versammlung heute Nachmittag und dem nationalen Führer der Bewegung, selbst wenn ich selbst dazugehört habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass es wirklich geschieht. Es ist so absolut wahnsinnig!«
«Das habe ich mir auch gedacht«, antwortete Laurie. Dann kam ihr ein Gedanke:
«Komm, David, wir gehen zur Schule zurück!«»Warum?«
«Ich möchte ihn sehen! Ich möchte diesen Führer sehen. Ich schwöre, ich kann nicht glauben, dass es wirklich geschieht, wenn ich es nicht selbst sehe.«»Aber Mr.
ROSS hat doch gesagt, es seien nur Mitglieder der Welle zugelassen.«»Wovor hast du Angst?«fragte ihn Laurie.
David zuckte die Achseln.»Ich weiß nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich hingehen möchte. Mir kommt es vor, als hätte die Welle mich einmal eingesogen, und als könnte sie es vielleicht noch einmal tun.«»Unmöglich!«versicherte Laurie lachend.
Kapitel 17
Es war unglaublich, fand Ben ROSS, als er auf dem Wege zur Aula war. Vor ihm saßen zwei seiner Schüler an einem kleinen Tisch vor der Tür und überprüften Mitgliedskarten. Wellenmitglieder strömten in den Saal. Viele hatten Fahnen und Poster mit dem Zeichen der Welle mitgebracht. ROSS konnte den Gedanken nicht verdrängen, dass er vor dem Beginn der Welle eine Woche gebraucht hätte, um so viele Schüler auf die Beine zu bringen. Heute hatten wenige Stunden genügt. Er seufzte. Soviel ließ sich also immerhin zu Disziplin, Gemeinschaft und Handeln sagen. Er fragte sich, ob es gelingen konnte, die» Programmierung «der Schüler für die Welle aufzuheben, und wie lange es dauern würde, bis er wieder die alten, nachlässigen Hausarbeiten zu sehen bekäme. Er lächelte. Vielleicht war auch das ein Preis der Freiheit.
Während Ben ihn beobachtete, kam Robert in Jacke und Krawatte aus der Aula und wechselte den Gruß mit Brad und Brian.
«Die Aula ist voll«, erklärte Robert.»Sind die Wächter an ihren Plätzen?«»Sind sie«, antwortete Brad.
«Gut. Dann wollen wir alle Türen überprüfen. Sorgt dafür, dass sie alle verschlossen sind.«
Ben rieb sich nervös die Hände. Es war Zeit hineinzugehen. Er ging zum Bühneneingang und sah, dass Christy dort auf ihn wartete.
«He, Ben!«Sie küsste ihn schnell auf die Wange.»Ich dachte, ich sollte dir vielleicht Glück wünschen.«»Danke, ich kann es brauchen«, antwortete Ben. Christy rückte seine Krawatte zurecht.»Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du im Anzug sehr gut aussiehst?«fragte sie.
«Ja. Owens hat das vor ein paar Tagen auch gemeint. «Er seufzte.»Ich werde mich wohl nach einem neuen Job umsehen müssen, und dann habe ich genug Zeit, Anzüge zu tragen.«
«Keine Sorge, es wird schon gut gehen«, versicherte Christy.
Ben lächelte ein wenig.»Ich wäre gern ebenso davon überzeugt wie du«, sagte er.
Jetzt lachte Christy und drehte ihn zur Bühnentür.»Los, Tiger, pack sie!«
Dann stand Ben plötzlich an der Seite der Tür und blickte in die gefüllte Aula. Wenig später trat Robert zu ihm und grüßte.»Mr. ROSS, alle Türen sind gesichert, die Wächter sind an ihren Plätzen!«»Danke, Robert!«sagte Ben.
Es war Zeit anzufangen. Während er zur Mitte der Bühne ging, blickte Ben schnell auf den Vorhang hinter sich und dann hinauf zur Kabine des Filmvorführers an der Rückwand des Saales. Zwischen zwei großen Fernsehmonitoren, die für heute ausgeliehen worden waren, blieb er stehen. Spontan schickten sich die Mädchen und Jungen dort unten an, die Grundsätze der Welle zu rufen. Dabei standen sie auf und erboten ihm den Gruß:»Macht durch Disziplin! Macht durch Gemeinschaft!
Macht durch Handeln!«
Ben stand bewegungslos vor ihnen. Als die Sprechchöre endeten, hob er den Arm und verlangte Ruhe. Auf einmal wurde es still. Welch ein Gehorsam, dachte Ben traurig. Er blickte über die Versammlung hinweg und war sich klar darüber, dass es wahrscheinlich das letzte Mal war, dass er diese geballte Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Und dann sprach er.»In wenigen Augenblicken wird unser nationaler Führer zu uns sprechen. «Er wandte den Kopf zur Seite.»Robert?«
«Mr. ROSS?«
«Schalte die Fernsehgeräte ein.«
Robert wandte sich den beiden Geräten zu, die Bildschirme wurden hell und bläulich, Bild und Ton waren noch nicht da. Hunderte von Wellenmitgliedern beugten sich auf ihren Sitzen ein wenig vor und starrten auf die leeren Bildschirme.
Draußen erprobten David und Laurie eine ganze Reihe von Türen zur Aula, fanden jedoch alle verschlossen. Sie versuchten es schnell auf der anderen Seite, hatten aber genauso wenig Erfolg. Es gab noch mehr Türen.
Die Bildschirme waren noch immer leer. Kein Gesicht erschien, und kein Geräusch drang aus den Lautsprechern. Unruhe entstand im Saal. Warum passierte denn nichts? Wo blieb ihr Führer? Was wurde von ihnen erwartet? Während die Spannung im Raum wuchs, ging immer wieder dieselbe Frage in den Köpfen der Schüler um.
Was erwartet man von uns? Von der Bühnenseite blickte Ben auf sie hinab, und ein Meer von Gesichtern schaute zu ihm auf. War es wirklich eine ganz natürliche Neigung der Menschen, nach einem Führer Ausschau zu halten, nach irgend jemandem, der alle Entscheidungen traf? Die Gesichter, die zu ihm aufblickten, drückten jedenfalls genau das aus. Und das war die fürchterliche Verantwortung jedes Führers: zu wissen, dass diese Gruppe ihm folgen würde. Ben begann zu begreifen, wie viel ernsthafter dieses kleine» Experiment «war, als er es sich jemals vorgestellt hatte. Es war furchterregend, wie leicht man den Glauben dieser jungen Menschen manipulieren konnte, wie leicht sie es zuließen, dass man ihnen Entscheidungen abnahm. Wenn die Menschen aber dazu bestimmt waren, dass man sie führte, so dachte Ben, dann musste er dafür sorgen, dass sie eines wirklich lernten: Gründlich zu fragen, nie jemandem blind zu vertrauen, sonst.. Plötzlich sprang im Publikum ein enttäuschtes Mitglied von seinem Platz auf und rief Mr.
ROSS zu:»Da ist ja gar kein Führer!«Schockierte Schüler überall im Saal wandten ihm die Köpfe zu, während zwei Wächter herbeieilten, um den Ruhestörer aus dem Saal zu befördern. In der darauffolgenden Verwirrung gelang es Laurie und David, durch die Tür zu schlüpfen. Ehe die Schüler noch Zeit hatten, über das Geschehene nachzudenken, trat Ben wieder zur Mitte der Bühne.»Doch, ihr habt einen Führer!«rief er. Auf dieses Stichwort hatte Carl Block hinter der Bühne gewartet. Jetzt öffnete er den Vorhang und gab dadurch eine große Filmleinwand frei. Im selben Augenblick schaltete Alex Cooper im Vorführraum den Projektor ein.»Dort!«rief Ben.»Dort ist euer Führer!«
Ein riesiges Bild von Adolf Hitler füllte die Leinwand aus.
«Das ist aus dem Film, den er uns damals gezeigt hat.«»Und jetzt hört genau zu!«rief Ben.»Es gibt keine nationale Bewegung der Welle, es gibt keinen Führer. Aber gäbe es ihn, dann wäre er es! Seht ihr denn nicht, was aus euch geworden ist? Seht ihr nicht, in welche Richtung ihr treibt?
Wie weit wärt ihr gegangen? Seht euch einmal eure Zukunft an.«
Die Kamera schwenkte vom Gesicht Hitlers auf die Gesichter der jungen Nationalsozialisten, die während des Zweiten Weltkriegs für ihn gekämpft hatten.
Viele von ihnen waren noch Jugendliche, manche sogar jünger als einige der Schüler im Saal.
«Ihr habt euch für etwas Besonderes gehalten!«erklärte ihnen ROSS.»Ihr kamt euch besser vor als alle anderen außerhalb dieser Aula. Ihr habt eure Freiheit gegen das verschachert, was man euch als Gleichheit vorgesetzt hat. Aber ihr habt die Gleichheit in Vorherrschaft über die Nicht-Mitglieder verwandelt. Ihr habt den Willen der Gruppe über eure eigenen Überzeugungen gestellt, auch wenn ihr dadurch andere verletzen musstet. Natürlich haben manche von euch geglaubt, sie könnten ja jederzeit wieder aussteigen. Aber hat es denn jemand wirklich versucht?