«Es ist vielleicht eine Antwort, die sie selbst aus Erfahrung finden müssen.«
Christy nickte.»Dann kann ich mir schon vorstellen, was das heute für eine Nacht wird. Vergiss aber bitte nicht, dass du morgen ausgeschlafen genug sein musst, um einen ganzen Tag lang zu unterrichten. «Ihr Mann nickte.»Ja, ja, ich weiß. «Christy beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Stirn.»Und versuch bitte, mich nicht zu wecken, falls du heute nacht doch noch schlafen solltest.«
Kapitel 5
Am nächsten Morgen kamen die Schüler so langsam und träge wie immer zum Unterricht. Manche setzten sich, andere standen herum und redeten miteinander.
Robert Billings stand am Fenster und verknotete die Zugschnüre der Gardinen.
Während er damit beschäftigt war, ging sein ständiger Quäler Brad an ihm vorbei und schlug ihm auf den Rücken, womit er unauffällig einen Zettel mit der Aufschrift» Tritt mich!«an Roberts Hemd befestigte.
Es schien eine ganz normale Geschichtsstunde zu werden, bis die Schüler bemerkten, dass ihr Lehrer in großen Buchstaben an die Tafel geschrieben hatte:
MACHT DURCH DISZIPLIN
«Was soll denn das bedeuten?«fragte einer.»Das werde ich euch erklären, sobald ihr alle sitzt«, antwortete Ben ROSS, und als alle Schüler an ihren Plätzen saßen, begann er:»Ich werde heute mit euch über Disziplin sprechen.«
Man vernahm allgemeines Stöhnen. Es gab manche Lehrer, bei denen man vorher schon wusste, dass ihr Unterricht langweilig sein würde, aber die meisten Schüler erwarteten von Ben ROSS' Geschichtsstunden alles andere als langweilige Vorträge
über Disziplin und solchen Kram.
«Wartet ab!«riet Ben.»Ehe ihr urteilt, solltet ihr erst einmal zuhören. Es könnte ganz spannend werden.«»Ja, bestimmt«, sagte einer.
«Ja, ganz bestimmt sogar«, erwiderte Ben.»Wenn ich über Disziplin rede, dann rede ich auch von der Macht«, sagte er.»Und ich rede vom Erfolg. Erfolg durch Disziplin.
Ist hier irgend jemand, der sich nicht für Macht und Erfolg interessiert?«
«Robert, wahrscheinlich«, meinte Brad, und einige kicherten.
«Warten wir's ab«, entgegnete Ben.»David, Brian, Eric, ihr spielt Football. Also wisst ihr auch, dass Disziplin notwendig ist, wenn man gewinnen will.«»Wahrscheinlich haben wir deshalb seit zwei Jahren kein Spiel mehr gewonnen«, sagte Eric, und die Klasse lachte.
Der Lehrer brauchte einige Augenblicke, um alle wieder zu beruhigen.»Hört zu!«
sagte er und deutete auf eine besonders hübsche, rothaarige Schülerin, die aufrechter als die anderen auf ihrem Stuhl zu sitzen schien.»Andrea, du bist Ballett-Tänzerin. Müssen Tänzer nicht viele, viele Stunden lang hart arbeiten, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln?«
Sie nickte, und ROSS wandte sich an die übrige Klasse.»Genauso ist es mit allen Künsten. Das Malen, das Schreiben, die Musik — alles verlangt jahrelanges Üben, wenn man es wirklich beherrschen will. Harte Arbeit, Disziplin und Kontrolle.«
«Ja, und?«fragte ein Schüler, der mehr auf seinem Stuhl lag als saß.
«Ich werde es euch zeigen. Nehmen wir einmal an, ich könnte euch beweisen, dass wir durch Disziplin Macht gewinnen können. Nehmen wir an, wir könnten das gleich hier im Klassenzimmer tun. Was würdet ihr dazu sagen?«
ROSS hatte als Reaktion darauf irgendeinen Witz erwartet, und er war überrascht, als der ausblieb. Das Interesse und die Neugier der Schüler schienen geweckt zu sein. Ben ging an seinen Platz und stellte seinen Stuhl so, dass alle ihn sehen konnten.»Also gut«, sagte er.»Disziplin beginnt mit der Haltung. Amy, komm bitte einmal her!«Als Amy aufstand, murmelte Brian:»Die Vorzugsschülerin!«
Üblicherweise hätte die Klasse darüber gelacht, aber jetzt grinsten nur ein paar, die anderen achteten nicht darauf. Alle fragten sich, was ihr Lehrer vorhaben mochte.
Als Amy sich vor den anderen auf den Stuhl gesetzt hatte, erklärte er ihr, wie sie sitzen solle.»Kreuze die Hände auf dem Rücken und sitze absolut aufrecht. Merkst du, dass du jetzt leichter atmen kannst?«Mehrere Schüler ahmten Amys Haltung nach. Aber wenn sie jetzt auch sehr aufrecht saßen, konnten manche das doch nur komisch finden. David versuchte einen Scherz:»Ist das hier Geschichtsunterricht, oder bin ich versehentlich in die Sportstunde geraten?«fragte er. Einige lachten, versuchten aber zugleich, ihre Haltung zu verbessern.
«Versuch es, David«, sagte Ben.»Kluge Bemerkungen haben wir jetzt genug gehört. «Mürrisch richtete David sich auf seinem Stuhl auf. Inzwischen ging der Lehrer von einem Platz zum anderen und überprüfte die Haltung jedes einzelnen Schülers. Es ist erstaunlich, dachte ROSS. Irgendwie hatte er sie eingefangen… sogar Robert…
«Klasse!«sagte er.»Ich möchte, dass ihr euch alle anseht, wie Robert sitzt. Die Beine sind parallel, die Füße berühren einander, die Knie sind in einem Winkel von neunzig Grad gebeugt. Seht ihr, wie senkrecht seine Wirbelsäule ist? Das Kinn ist angezogen, der Kopf gehoben. Das ist sehr gut, Robert!«
Robert, der Prügelknabe der Klasse, sah seinen Lehrer an und lächelte kurz, dann verfiel er wieder in seine steife Haltung. Überall im Raum versuchten die Schüler, ihn nachzuahmen.
Ben ging nach vorn.»Gut. Und jetzt möchte ich, dass ihr alle aufsteht und in der Klasse auf und ab geht. Sobald ich es befehle, kehrt jeder so schnell wie möglich an seinen Platz zurück und nimmt die soeben eingeübte Haltung ein. Los, aufstehen!«
Die Schüler standen auf und schlenderten durch die Klasse. Ben wusste, dass er ihnen nicht zuviel Zeit geben durfte, weil sie sonst die nötige Konzentration verlieren würden. Darum sagte er bald:»Setzen!«Die Schüler eilten an ihre Plätze. Es gab ein ziemliches Gewirr, man lief gegeneinander, einige lachten, aber das vorherrschende Geräusch war das der schurrenden Stuhlbeine, als die Schüler sich wieder setzten.
Ben schüttelte den Kopf.»Das war das wildeste Durcheinander, das ich je gesehen habe. Wir spielen hier nicht irgendein Spielchen, sondern machen eine Haltungsund Bewegungsübung. Versuchen wir es noch einmal. Aber diesmal ohne Geschwätz. Je konzentrierter ihr seid, desto schneller werdet ihr eure Plätze erreichen. Fertig? Los, aufstehen!«
Zwanzig Minuten lang übte die Klasse aufzustehen, in scheinbarer Unordnung durch die Klasse zu schlendern, auf Befehl des Lehrers schnell an die Plätze zurückzukehren und die richtige Haltung einzunehmen. Ben gab seine Befehle nicht wie ein Lehrer, sondern wie ein Unteroffizier auf dem Kasernenhof. Sobald das reibungslos klappte, baute Ben eine neue Schwierigkeit ein. Die Schüler mussten noch immer ihre Plätze verlassen und zu ihnen zurückkehren, doch jetzt vom Flur her, und Ben stoppte die Zeit.
Beim ersten Versuch vergingen achtundvierzig Sekunden. Beim zweitenmal gelang es in einer halben Minute. Vor dem letzten Versuch hatte David eine Idee.»Hört mal!«sagte er zu seinen Mitschülern, als sie draußen auf den Befehl des Lehrers warteten.»Wir stellen uns gleich so auf, dass die ganz vorn stehen, die es bis zu ihrem Platz am weitesten haben. Dann laufen wir uns wenigstens nicht gegenseitig um. «Die anderen stimmten zu. Als sie sich in der richtigen Reihenfolge aufgestellt hatten, bemerkten sie, dass Robert jetzt ganz vorn stand.»Der neue Anführer der Klasse«, flüsterte einer, während sie auf das Zeichen warteten. Ben schnippte mit den Fingern, und die Reihe der Schüler eilte eifrig und still in den Raum. Als der letzte Schüler saß, stoppte Ben die Zeit. Er lächelte.»Sechzehn Sekunden!«Die Klasse jubelte.
«Ja, gut, seid jetzt still«, sagte der Lehrer. Zu seiner Überraschung beruhigten sich die Schüler fast augenblicklich. Die Ruhe, die plötzlich im Raum herrschte, war fast unheimlich. So still war es in der Klasse sonst nur, wenn sie leer war.
«Und nun gibt es noch drei Regeln, die ihr zu beachten habt«, erklärte Ben.