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Von Beruf war Toivo Glumow Progressor. Die Fachleute hatten mir gesagt, daß aus ihm ein Progressor der Spitzenklasse werden könnte, ein Progressoren-As. Seine Anlagen waren glänzend. Er verfügte über eine großartige Selbstbeherrschung und reagierte so schnell wie selten einer, er war außerordentlich kaltblütig, dazu der geborene Schauspieler und ein Meister der Einfühlung in eine fremde Rolle. Und da nahm er, der gerade erst reichlich drei Jahre als Progressor gearbeitet hatte, ganz ohne ersichtliche Gründe seinen Abschied und kehrte auf die Erde zurück. Kaum hatte er die Rekonditionierung durchlaufen, setzte er sich ans GGI und fand ohne besondere Mühe heraus, daß die einzige Organisation auf unserem Planeten, die etwas mit seinen neuen Zielen zu tun haben konnte, die KomKon 2 war.

Im Dezember ’94 tauchte er vor mir auf, voll eiskalter Bereitschaft, wieder und wieder auf die Fragen zu antworten, warum er, so vielversprechend, absolut gesund und in jeder Beziehung ermutigt, plötzlich seine Arbeit, seine Ausbilder, seine Genossen im Stich ließ, sorgsam ausgearbeitete Pläne zum Scheitern brachte, die in ihn gesetzten Hoffnungen enttäuschte … Natürlich fragte ich ihn nichts dergleichen. Mich interessierte überhaupt nicht, warum er nicht länger Progressor sein wollte, mich interessierte, warum er mit einemmal ein Konterprogressor werden wollte, wenn man das so nennen kann.

Seine Antwort hat sich mir eingeprägt. Er empfindet heftige Abneigung gegen die gesamte Idee des Progressorentums. Wenn es nicht sein muß, möchte er lieber nicht in die Einzelheiten gehen. Es ist einfach so, daß er, ein Progressor, ein negatives Verhältnis zum Progressorentum gewonnen hat. Und dort (er wies mit dem Daumen über die Schulter) ist ihm ein sehr trivialer Gedanke in den Sinn gekommen: Während er mit dem Degen fuchtelnd auf dem Kopfsteinpflaster der Plätze in Arkanar herumläuft, spaziert hier (er wies mit dem Zeigefinger auf seine Füße) irgend so ein gerissener Kerl im modischen Regenbogenmäntelchen, eine Metavisierbüchse geschultert, über die Plätze von Swerdlowsk. Soviel er, Toivo Glumow, weiß, kommt dieser simple Gedanke kaum einem in den Sinn, und wenn schon, dann in einer abstrusen humoristischen oder romantischen Gestalt. Ihm jedoch, Toivo, läßt dieser Gedanke keine Ruhe: Keinem Gott darf es erlaubt sein, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen, die Götter haben bei uns auf der Erde nichts verloren, denn „der Götter Wohltat ist der Wind, er füllt die Segel, doch er bringt auch Sturm“. (Später habe ich das Zitat mit viel Mühe gefunden — wie sich herausstellte, ist es von Verblibain.)

Mit bloßem Auge war zu sehen — ich hatte einen Fanatiker vor mir. Leider einen, der wie jeder Fanatiker zu extremen Anschauungen neigte. (Man bedenke nur seine Äußerungen über das Progressorentum, von denen noch die Rede sein wird.) Aber er war bereit zu handeln. Und ohne weiteres Gerede nahm ich ihn zu mir und setzte ihn sogleich an das Thema „Besuch der alten Dame“.

Toivo Glumow erwies sich als der Mitarbeiter! Er war energisch, er zeigte Initiative, er kannte keine Müdigkeit. Und — eine sehr seltene Eigenschaft in seinem Alter — er ließ sich von Mißerfolgen nicht entmutigen. Für ihn gab es keine negativen Ergebnisse. Mehr noch, die negativen Untersuchungsergebnisse bereiteten ihm ebensolche Freude wie die raren positiven. Er hatte sich gleichsam von vornherein darauf eingestellt, daß zu seinen Lebzeiten nichts Definitives zum Vorschein kommen würde, und verstand es, aus der (oft ziemlich langweiligen) Prozedur der Analyse jedes auch nur im mindesten verdächtigen BV an sich schon Befriedigung zu gewinnen. Es ist bemerkenswert, daß meine alten Mitarbeiter — Grischa Serossowin, Sandro Mtbewari, Andrjuscha Kikin und andere — sich in seiner Anwesenheit gleichsam einen Ruck gaben, aufhörten zu blödeln, viel weniger ironisch und dafür viel sachlicher wurden; und nicht, daß sie sich ein Beispiel an ihm genommen hätten — davon konnte keine Rede sein, er war für sie zu jung, zu grün —, aber er steckte sie an mit seiner Ernsthaftigkeit, seiner Konzentration auf die Sache, am meisten aber beeindruckte sie, wie ich glaube, jener tiefe Haß auf den Arbeitsgegenstand, der in ihm zu spüren war und der ihnen völlig abging. Einmal erwähnte ich Grischa Serossowin gegenüber zufällig den schmächtigen braunen Jungen Rivera, und bald stellte ich fest, daß sie alle diese Geschichte von Jack London herausgesucht und abermals gelesen hatten.

Wie auch Rivera hatte Toivo keine Freunde. Ihn umgaben aufrichtige und zuverlässige Kollegen, und er selbst war, worum es auch ging, ein aufrichtiger und verläßlicher Partner, aber Freunde fand er dennoch nicht. Ich nehme an, weil es zu schwierig war, sein Freund zu sein — er war nie und in keinerlei Hinsicht mit sich zufrieden und gab deshalb seinen Mitmenschen nie und in keinerlei Hinsicht einen Ansatzpunkt. Aus ihm sprach so eine unnachgiebige Konzentration auf ein Ziel, wie ich sie sonst höchstens bei bedeutenden Wissenschaftlern und Sportlern bemerkte. Was blieb da schon für die Freundschaft …

Übrigens, einen Freund hatte er dennoch. Ich meine seine Frau Assja — Anastasia Petrowna Stassowa. Als ich sie kennenlernte, war sie eine wunderschöne kleine Frau, quicklebendig, scharfzüngig und überaus rasch mit einer Meinung und einem Urteil zur Hand. Deshalb ähnelte die Lage bei ihnen zu Hause stets einem Kriegszustand, und es war ein reines Vergnügen (für den Außenstehenden), ihre fortwährend aufflammenden Wortgefechte zu beobachten.

Dieses Schauspiel war um so verwunderlicher, als Toivo in seiner normalen Umgebung, also im Dienst, eher bedächtig und wortkarg wirkte. Es war, als verharre er ständig bei einer bestimmten wichtigen Idee, die sorgsames Durchdenken erfordete. Nicht jedoch bei Assja. Bei ihr war er Demosthenes, Cicero, der Apostel Paulus, er sprach in Zungen, verkündete Maximen, er war, hol mich der Teufel, sogar ironisch! — Man kann sich gar nicht vorstellen, wie verschieden diese beiden Menschen waren: der schweigsame und bedächtige Toivo Glumow Im Dienst und der lebendige, gesprächige, philosophierende, sich immerzu verrennende und seine Irrwege vehement verteidigende Toivo Glumow Zu Hause. Zu Hause machte ihm sogar das Essen Spaß. Assja arbeitete als Gastronom-Degustator und kochte immer selbst. So war es im Haus ihrer Mutter, so auch im Haus ihrer Großmutter üblich gewesen. Diese von Toivo Glumow hochgeschätzte Tradition reichte bei den Stassows weit in die Jahrhunderte zurück, bis in jene unvorstellbaren Zeiten, da es noch keine molekulare Kochkunst gab und ein gewöhnliches Kotelett vermittels überaus komplizierter und nicht sehr appetitlicher Prozeduren hergestellt werden mußte …

Und dann hatte Toivo noch eine Mutter. Jeden Tag, was er auch gerade tat und wo er sich auch befand, nahm er sich unbedingt eine Minute, um sie über Video anzurufen und wenigstens ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Bei ihnen hieß das „der Kontrollanruf“. Viele Jahre zuvor hatte ich Maja Toivowna Glumowa kennengelernt, doch unsere Bekanntschaft erfolgte unter derart traurigen Umständen, daß wir uns nachher nie wieder getroffen haben. Was nicht meine Schuld war. Und überhaupt niemandes Schuld. Kurzum, sie hatte von mir eine ausgesprochen schlechte Meinung, und Toivo wußte das. Er sprach nie mit mir über sie. Doch mit ihr sprach er des öfteren über mich — wie ich erst viel später erfuhr … Dieser Zwiespalt reizte und bedrückte ihn zweifellos. Ich glaube nicht, daß Maja Toivowna zu ihm schlecht von mir sprach. Und schon ganz und gar unwahrscheinlich ist es, daß sie ihrem Sohn die schreckliche Geschichte vom Tod Lew Abalkins erzählte. Am ehesten hat sie, wenn Toivo auf seinen unmittelbaren Vorgesetzten zu sprechen kam, einfach nur kühl das Thema vermieden. Und das war mehr als genug.

Denn für Toivo war ich nicht schlechthin ein Vorgesetzter. Ich war im Grunde sein einziger Gleichgesinnter, der einzige Mensch in der ganzen unermeßlichen KomKon 2, der das Problem, das Toivo nicht losließ, absolut und ohne Vorbehalte ernst nahm. Außerdem brachte er mir gewaltige Ehrfurcht entgegen. Immerhin war sein Chef der legendäre Mak Sim! Toivo war noch nicht auf der Welt, als Mak Sim auf dem Saraksch schon Strahlentürme sprengte und mit Faschisten kämpfte … Der unübertreffliche Weiße Läufer! Der Organisator der Operation „Virus“, nach der ihm der Superpräsident persönlich den Spitznamen Big Bug verliehen hatte! Toivo ging noch zur Schule, als Big Bug ins Inselimperium eindrang … als erster Mensch von der Erde bis in die Hauptstadt, und übrigens auch als letzter … Natürlich waren das alles die Heldentaten eines Progressors, aber es hieß ja: Einen Progressor kann nur ein Progressor überwinden! Und Toivo hing dieser simplen Idee mit Inbrunst an.