2. Bis zum Jahr ’85 wurde die Fukamisations-Prozedur entsprechend dem „Gesetz über die obligatorische Bioblockade“ allgemeinverbindlich angewandt. Im Jahre ’82 wurde dem Weltrat ein Novellierungsentwurf unterbreitet, der die Abschaffung der Fukamisationspflicht für auf der Erde geborene Kinder vorsah. Die Fukamisations-Prozedur sollte danach durch die sogenannte „Reifeimpfung“ bei Erreichen des sechzehnten Lebensjahres ersetzt werden. ’85 nahm der Weltrat (mit einer Mehrheit von nur zwölf Stimmen) die Novelle zum „Gesetz über die obligatorische Bioblockade“ an. Damit wurde die Fukamisationspflicht abgeschafft und die Anwendung der Prozedur völlig ins Ermessen der Eltern gestellt. Personen, die nicht als Kinder fukamisiert worden sind, erhielten das Recht, später auch die „Reifeimpfung“ abzulehnen, verloren in diesem Falle jedoch die Möglichkeit, in Berufen mit hohen physischen und psychischen Belastungen zu arbeiten. Nach den Angaben des GGI leben gegenwärtig auf der Erde etwa eine Million Halbwüchsige, die keine Fukamisation erhalten haben, und etwa zwanzigtausend Personen, die den Empfang der „Reifeimpfung“ verweigert haben.
Zum Wesen der Ereignisse, die im Februar ’85 zur Annahme der Novelle zum „Gesetz über die obligatorische Bioblockade“ führten, habe ich folgendes festgestellt:
1. In den anderthalb Jahrhunderten, in denen die Fukamisation global praktiziert wird, ist kein einziger Fall bekannt geworden, daß diese Prozedur dem Behandelten irgendeinen Schaden zugefügt hätte. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Fälle, in denen Mütter die Fukamisation verweigerten, bis zum Frühjahr ’81 außerordentlich selten waren. Die überwiegende Mehrheit der Ärzte, die ich konsultierte, hatte bis zum angegebenen Zeitpunkt nie von derartigen Fällen gehört. Auftritte gegen die Fukamisation von theoretischer und propagandistischer Art hatten sich jedoch mehrfach ereignet. Hier die charakteristischsten Publikationen aus unserem Jahrhundert:
C. Debouquet: Den Menschen bauen? Lyon ’32.
Eine postume Ausgabe vom letzten Buch des bedeutenden (heute vergessenen) Antieugenikers. Der zweite Teil des Buches befaßt sich ausschließlich mit der Kritik der Fukamisation als eines „dreist-einschmeichelnden Einbruchs in den Naturzustand des menschlichen Organismus“. Es wird der irreversible Charakter der von der Fukamisation hervorgerufenen Veränderungen unterstrichen („… niemandem ist es jemals gelungen, einen aktivierten Hypothalamus wieder zu hemmen …“), aber der Hauptangriff gilt dem Umstand, daß diese typisch eugenische Prozedur, von der Autorität des Weltgesetzes mit Glanz versehen, nun schon seit Jahren als verderblicher und verführerischer Präzedenzfall für weitere eugenische Experimente diene.
K. Pumivur: Der Reader — Rechte und Pflichten. Bangkok ’15.
Der Autor, Vizepräsident der Weltassoziation der Reader, ist ein Verfechter und Aktivist einer maximalen aktiven Beteiligung der Reader an allem Tun der Menschheit. Er begründet sein Auftreten gegen die Fukamisation mit Daten aus einer privaten Statistik. Danach wirke sich die Fukamisation ungünstig auf die Ausbildung des Reader-Potentials beim Menschen aus, und obwohl der relative Anteil der Reader in der Bevölkerung in der Epoche der Fukamisation nicht zurückgegangen sei, sei doch in diesem Zeitraum kein einziger Reader aufgetaucht, der den Readers an der Wende vom 21. zum 22. Jahrhundert an Kraft gleichkomme. Der Autor ruft dazu auf, die Fukamisationspflicht abzuschaffen — fürs erste wenigstens für die Kinder und Enkel von Readern. (Alle Materialien des Buches sind hoffnungslos veraltet: in den dreißiger Jahren erschien eine glänzende Plejade von Readern mit unglaublicher Kraft — Alexander Solemba, Peter Dzomny und andere.)
August Xesis: Der Stein des Anstoßes. Athen ’37.
Der bekannte Theoretiker und Prediger des Noophilismus hat seine Broschüre einer scharfen Kritik an der Fukamisation gewidmet, wobei die Kritik freilich eher poetisch als rational ist. Nach den Vorstellungen des Noophilismus (als einer eigenartigen Vulgarisierung der Theorie von Jakovitz) ist das Weltall das Gefäß des Nookosmos, in den nach dem Tode der mental-emotionale Code der menschlichen Persönlichkeit einfließt. Anscheinend hat Xesis absolut keine Ahnung von der Fukamisation, er stellt sie sich als eine Art Blinddarmoperation vor und ruft leidenschaftlich dazu auf, von einer derart groben Prozedur abzulassen, die den mental-emotionalen Code verkrüppelt und verfälscht. (Nach den Angaben des GGI hat seit der Annahme der Gesetzesnovelle kein Mitglied der Kongregation der Noophilisten mehr der Fukamisation seiner Kinder zugestimmt.)
J. Toceyville: Homo audax. Birmingham ’51.
Diese Monographie ist ein recht typisches Muster für eine ganze Bibliothek von Büchern und Broschüren, die der Propaganda für die Einstellung des technologischen Fortschritts gewidmet sind. Charakteristisch ist für alle Bücher dieser Art die Apologetik erstarrter Zivilisationen vom Typ des tagoranischen oder der Biozivilisation auf der Leonida. Es wird erklärt, der technologische Fortschritt der Erde habe seine Rolle zu Ende gespielt. Die Expansion der Menschheit im Kosmos wird als eine Art soziale Verschwendung dargestellt, die in der Perspektive zu bitterer Enttäuschung führen werde. Der Vernunftbegabte Mensch werde zum Tollkühnen Menschen, dem bei der Jagd nach der Quantität rationaler und emotionaler Information deren Qualität abhanden komme. (Es wird vorausgesetzt, daß die Information über den Psychokosmos von ungleich höherer Qualität sei als die über den Großen Kosmos im umfassendsten Sinne des Wortes.) Die Fukamisation leiste der Menschheit einen Bärendienst, weil gerade sie die Mutation des Homo sapiens zum Homo audax begünstige, indem sie seine expansionistischen Potenzen erweitere und de facto stimuliere. Es wird vorgeschlagen, in der ersten Phase wenigstens auf die Aktivierung des Hypothalamus zu verzichten.
C. Oxoview: Bewegung auf der Vertikale. Kalkutta ’61.
„C. Oxoview“ ist das Pseudonym eines Wissenschaftlers oder einer Gruppe von Wissenschaftlern, die die nicht unbekannte Idee vom sogenannten vertikalen Progreß des Menschen formuliert und in Umlauf gebracht haben. Das Pseudonym zu lüften ist mir nicht gelungen. Ich habe Grund zu der Annahme, daß C. Oxoview entweder der Vorsitzende der KomKon 1, G. Komow, oder einer seiner Gesinnungsgenossen in der Akademie für Sozialprognose ist. Die vorliegende Ausgabe ist die erste Monographie der „Vertikalisten“. Das sechste Kapitel bietet eine eingehende Betrachtung aller Aspekte der Fukamisation — der biologischen, sozialen und ethischen — aus der Sicht der Grundsätze des vertikalen Progresses. Die Hauptgefahr bei der Fukamisation wird in der Möglichkeit ihres unkontrollierten Einflusses auf den Genotyp gesehen. Zur Untermauerung dieser Idee werden — soweit ich feststellen konnte, erstmals — Angaben über zahlreiche Fälle aufgeführt, in denen Eigenschaften eines fukamisierten Organismus vererbt worden sind. Es werden über hundert Fälle dargelegt, in denen der Abwehrmechanismus der Frucht schon im Mutterleib mit der Produktion von Antikörpern begann, wie sie für die Einwirkung des UNBLAF-Serums charakteristisch ist, und über zweihundert Fälle, in denen Neugeborene über einen von Geburt an aktivierten Hypothalamus verfügten. Außerdem sind über dreißig Fälle verzeichnet, in denen solche Eigenschaften bereits in die dritte Generation vererbt wurden. Es wird unterstrichen, daß derartige Erscheinungen zwar keine unmittelbare Gefahr für die überwiegende Mehrheit der Menschen darstellen, aber auf vielsagende Weise die Tatsache illustrieren, daß die Fukamisation noch längst nicht so gut erforscht ist, wie ihre Anhänger behaupten. Es ist nicht zu leugnen, daß das Material mit ungewöhnlicher Sorgfalt ausgewählt und recht effektvoll dargelegt ist. Zum Beispiel sind mehrere beeindruckende Absätze den sogenannten GAllergien gewidmet, bei denen eine Aktivierung des Hypothalamus kontraindiziert ist. Die GAllergie ist ein äußerst seltener Zustand des Organismus, der schon an der Frucht im Mutterleib leicht festzustellen ist und daher keinerlei Gefahr darstellt — diese Säuglinge werden der zweiten Etappe der Fukamisation einfach nicht unterzogen. Wird jedoch ein aktivierter Hypothalamus an einen GAllergiker vererbt, ist die Medizin machtlos — zur Welt kommt ein unheilbar kranker Mensch. C. Oxoview ist es gelungen, einen solchen Fall ausfindig zu machen, und er spart nicht mit Farben bei seiner Schilderung. Ein noch apokalyptischeres Bild entwirft der Autor, wenn er eine Welt der Zukunft zeichnet, in der sich die Menschheit unter Einwirkung der Fukamisation in zwei Genotypen aufspaltet. Diese Monographie ist mehrfach aufgelegt worden und hat offensichtlich keine geringe Rolle bei der Erörterung der Gesetzesnovelle gespielt. Es ist jedoch bemerkenswert, daß die letzte Auflage dieses Buches (Los Angeles ’99) kein Wort über die Fukamisation enthält: Es sieht aus, als sei der Autor durch die Novelle vollauf zufriedengestellt, während ihn das Schicksal jener 99,9… Prozent der Menschheit, die ihre Kinder weiterhin der Fukamisation unterziehen, nicht interessiert.